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#1 |
Kiwifrüchtchen
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Aus
"Hugdietrichs Brautfahrt" von Wilhelm Hertz. Dieser Auszug fasziniert mich deshalb so sehr, weil er eindrucksvoll die Kraft der Bildersprache demonstriert. Aus der schier überwältigenden Fülle der hier in 28 Kurzzeilen geschilderten Eindrücke und Einzelheiten ließe sich ein exquisites Gemälde schaffen. In solchen Momenten wünsche ich mir nichts sehnlicher, als malen zu können. Sie trug ihn am Gestad entlang Und glitt durch einen Felsengang. Der mündete nach kurzer Zeit In eine Grotte hoch und weit. Still kreist die Fluth mit dichtem Schaum, Und grüne Dämm'rung füllt den Raum; Nur durch der Wölbung Ritzen bricht In Streifen goldnes Tageslicht. Doch durch die Pfeilerhallen, Da geht ein seltsam Schallen, Ein Klimpern und ein Klirren, Ein Schnurren und ein Schwirren: Es sitzt mit schilfdurchflocht'nem Haar Am Webstuhl rings der Nixen Schar. Die Stühle sind von schlankem Bau, Korallenroth und veilchenblau, Die Muschelschifflein hüpfen, Die Perlenfäden schlüpfen, Und von des Meersterns Spule rollt Melodisch das geschmeid'ge Gold. Sie weben Schleier und Gewand, Zu fein der feinsten Menschenhand. Sie weben Mäntel ohne Gleichen, Unschätzbar in der Erde Reichen, Mit lichten Wappenschildern Und wundersamen Bildern Aus uralt dunkeln Sagen Von längst vergess'nen Tagen.
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.................................................. ........................................... "Manchmal ist es so demütigend, ein Mensch sein zu müssen..." Erich Kykal Geändert von Lailany (15.07.2014 um 06:43 Uhr) |
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#2 |
ADäquat
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![]() Liebe Kiwi
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#3 |
Kiwifrüchtchen
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Liebe Chavi,
ich kannte Wilhelm Hertz auch nicht. Hatte nicht mal den Namen vorher gehört. Durch Ferdi bin ich auf ihn aufmerksam geworden. Übrigens: Hier im Faden darf ja auch diskutiert werden, oder? Wenn nicht, dann lösch bitte meinen Beitrag einfach, Chavi. Du, das Werk 'Hugdietrichs Brautfahrt' ist supertoll! Aber halt episch. ![]() Mir macht das nix aus, ich lieeeeeebe lange Werke. Du findest das ganze Stück Online. Ich mag Hertz wegen seines unterhaltsamen Schreibstils. ![]() LG von Ev
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.................................................. ........................................... "Manchmal ist es so demütigend, ein Mensch sein zu müssen..." Erich Kykal |
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#4 | |
ADäquat
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![]() Liebe Kiwi, Das Geisterschloß
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#5 |
verkannt
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He, dann darf ich auch einmal ;-).
Ich liebe Poes Gedichte und auch manche seiner Geschichten. Besonders Annabel Lee. Ich setze es mal im Original hier rein und dahinter die Übersetzung, welche ich aber nicht wirklich gelungen finde. Anabel Lee (E.A. Poe) It was many and many a year ago, In a kingdom by the sea, That a maiden there lived whom you may know By the name of Annabel Lee; And this maiden she lived with no other thought Than to love and be loved by me. I was a child and she was a child, In this kingdom by the sea: But we loved with a love that was more than love - I and my Annabel Lee; With a love that the winged seraphs of heaven Coveted her and me. And this was the reason that, long ago, In this kingdom by the sea, A wind blew out of a cloud, chilling My beautiful Annabel Lee; So that her high-born kinsmen came And bore her away from me, To shut her up in a sepulchre In this kingdom by the sea. The angels, not half so happy in heaven, Went envying her and me - Yes! that was the reason (as all men know, In this kingdom by the sea) That the wind came out of the cloud one night, Chilling and killing my Annabel Lee. But our love it was stronger by far than the love Of those who were older than we - Of many far wiser than we - And neither the angels in heaven above, Nor the demons down under the sea, Can ever dissever my soul from the soul Of the beautiful Annabel Lee; For the moon never beams without bringing me dreams Of the beautiful Annabel Lee; And the stars never rise but I feel the bright eyes Of the beautiful Annabel Lee; And so, all the night-tide, I lie down by the side Of my darling -my darling -my life and my bride, In the sepulchre there by the sea - In her tomb by the sounding sea. Übersetzung Es war vor vielen, vielen Jahren, In einem Königreich nahe dem Meer, Dort lebte ein Mädelein, von dem du vielleicht weißt Mit Namen Annabel Lee. Und dieses Mädelein, sie lebte ohne and'ren Gedanken, Als mich zu lieben und von mir geliebt zu sein. Ich war ein Kind und sie war ein Kind, In diesem Königreich nahe dem Meer; Und wir liebten eine Liebe, gar mehr als eine Liebe Ich und meine Annabel Lee; Mit einer Liebe, die die Engel darob Begehrten, ihre und meine. Und dies war der Grund, lange bevor, In diesem Königreich nahe dem Meer, Ein Sturm blies aus den Wolken, stahl Meine schöne Annabel Lee; Sodass ihr hochgeborener Verwandter kam Und nahm sie fort von mir, Um sie einzusperren in ein Grab In diesem Königreich nahe dem Meer. Die Engel, nicht halb so glücklich im Himmel, Beneideten sie und mich- Ja!- Dies war der Grund, wie die Männer wissen, In diesem Königreich nahe dem Meer. Als der Wind aus den Wolken sprang bei Nacht, Kühlte und mordete meine Annabel Lee. Doch uns're Liebe war stärker bei weitem als die Liebe Von den Älteren, Von weit Weiseren als wir- Und weder die Engel oben im Himmel, Noch die Dämonen tief unten im Meer, Können jemals trennen meine Seele und die Der schönen Annabel Lee. Der Mond niemals strahlt, ohne mir Träume zu bringen Von der schönen Annabel Lee. Und die Sterne niemals steigen, doch ich fühle ihre Augen Der schönen Annabel Lee. Und so, jede flutende Nacht, liege ich an der Seite Meines Liebling- mein Liebling- mein Leben und meine Braut, Im Grab dort nah dem Meer, In ihrer Grabesstätte nahe dem tosenden Meer. Gruß C.
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© auf alle meine Texte „Mir gefiel der Geschmack von Bier, sein lebendiger, weißer Schaum, seine kupferhellen Tiefen, die plötzlichen Welten, die sich durch die nassen braunen Glaswände hindurch auftaten, das schräge Anfluten an die Lippen und das langsame Schlucken hinunter zum verlangenden Bauch, das Salz auf der Zunge, der Schaum im Mundwinkel.“ Dylan Thomas |
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#6 |
Kiwifrüchtchen
Registriert seit: 23.05.2009
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Hallo Cebrail,
Poes Werke sind wunderbar. Seinen Raben jedoch konnte er mM nach nie toppen. ![]() Die 7 Jahre, die er angeblich daran gearbeitet hat, machen sich bezahlt für die Ewigkeit. ![]() Dass die Übersetzung dieses Werkes nicht gelungen ist, hast Du sehr milde ausgedrückt. Sie ist schlicht und einfach schauderhaft. Darf man erfahren, wer Annabel Lee so geschändet hat? ![]() LG von Lai ![]()
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.................................................. ........................................... "Manchmal ist es so demütigend, ein Mensch sein zu müssen..." Erich Kykal Geändert von Lailany (17.07.2014 um 22:28 Uhr) |
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#7 |
Von Raben umkreist
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Nun möchte ich auch eins von den Gedichten einstellen, die mich faszinieren. Nicht zuletzt hat mich Achim Reichel mit seiner Liedversion entsprechend beeinflusst.
Regenballade (Ina Seidel) Ich kam von meinem Wege ab, weil es so nebeldunstig war. Der Wald war feuchtkalt wie ein Grab und Finger griffen in mein Haar. Ein Vogel rief so hoch und hohl, wie wenn ein Kind im Schlummer klagt und mir war kalt, ich wusste wohl, was man von diesem Walde sagt! Dann setzt’ ich wieder Bein vor Bein und komme so gemach vom Fleck und quutsch’ im letzen Abendschein schwer vorwärts durch Morast und Dreck. Es nebelte, es nieselte, es roch nach Schlamm, verfault und nass, es raschelte und rieselte und kroch und sprang im hohen Gras. Auf einmal, eh ich’s mich versehn, bin ich am Strom, im Wasser schier. Am Rand bleib ich erschrocken steh’n, fast netzt die Flut die Sohle mir. Das Röhricht zieht sich bis zum Tann und wiegt und wogt soweit man blickt und flüstert böse ab und an, wenn es im feuchten Windhauch nickt. Das saß ein Kerl! Weiß Gott, mein Herz stand still, als ich ihn sitzen sah! Ich sah ihn nur von hinterwärts, und er saß klein und ruhig da. Saß in der Abenddämmerung, die Angelrute ausgestreckt, als ob ein toter Weidenstrunk den dürren Ast gespenstisch reckt. "He, Alter!" ruf ich, "beißt es gut?" Und sieh, der Baumstamm dreht sich um und wackelt mit dem runden Hut und grinst mit spitzen Zähnen stumm. Und spricht, doch nicht nach Landesart, wie Entenschnattern, schnell und breit, kommt’s aus dem algengrünen Bart: "Wenn’s regnet, hab’ ich gute Zeit!" "So scheint es", sag ich und ich schau in seinen Bottich neben ihn. Da wimmelt’s blank und silbergrau und müht sich mit zerfetzem Kiem’, Aale, die Flossen zart wie Flaum, glotzäugig Karpfen. Mittendrin, ich traue meinen Augen kaum, wälzt eine Natter sich darin! "Ein selt’nes Fischlein, Alter, traun!" Da springt er froschbehend empor. "Die Knorpel sind so gut zu kau’n" schnattert listig er hervor. "Gewiss seid ihr zur Nacht mein Gast! Wo wollt ihr heute auch noch hin? Nur zu, den Bottich angefasst! Genug ist für uns beide drin!" Und richtig watschelt er voraus, patsch, patsch am Uferrand entlang. Und wie im Traume heb ich auf und schleppe hinterdrein den Fang. Und krieche durch den Weidenhag, der eng den Rasenhang umschmiegt, wo, tief verborgen selbst am Tag, die schilfgebaute Hütte liegt. Da drinnen ist nicht Stuhl, nicht Tisch, der Alte sitzt am Boden platt, es riecht nach Aas und totem Fisch, mir wird vom bloßem Atmen satt. Er aber greift frisch in den Topf und frisst die Fische kalt und roh, packt sie beim Schwanz, beißt ab den Kopf und knirscht und schmatzt im Dunkeln froh. "Ihr esst ja nicht! Das ist nicht recht!" Die Schwimmhand klatscht mich fett aufs Knie. "Ihr seid vom trockenen Geschlecht, ich weiß, die Kerle essen nie! Ihr seid bekümmert? Sprecht doch aus, womit ich Euch erfreuen kann!" "Ja", klappre ich: "Ich will nach Haus, aus dem verfluchten Schnatermann." Da hebt der Kerl ein Lachen an, es klang nicht gut, mir wurde kalt. "Was wisst denn Ihr vom Schnatermann?" "Ja", sag ich stur," so heißt der Wald." "So heißt der Wald?" Nun geht es los, er grinst mich grün und phosphorn an: "Du dürrer Narr, was weißt du bloß vom Schnater-Schnater-Schnatermann?!" Und schnater-schnater, klitsch und klatsch, der Regen peitscht mir ins Gesicht. Quatsch’ durch den Sumpf, hoch spritzt der Matsch, ein Stiefel fehlt - ich acht es nicht. Und schnater-schnater um mich her, und Enten- ,Unken-, Froschgetöhn. Möwengelächter irr und leer und tief ein hohles Windgestöhn... Des andern Tags saß ich allein, nicht weit vom prasselnden Kamin und ließ mein schwer gekränkt’ Gebein wohlig von heißem Grog durchziehn. Wie golden war der Trank, wie klar, wie edel war sein starker Duft! Ich blickte nach dem Wald - es war noch sehr viel Regen in der Luft...
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Alle meine Texte: © Sidgrani "Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch"
»Erich Kästner« |
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#8 |
verkannt
Registriert seit: 05.08.2010
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Hallo Lai,
"Quoth the raven, `Nevermore.'" ;-) Das habe ich mit Absicht nicht eingestellt, sollte ja eigentlich jeder kennen. Denke ich zumindest. ... und die Überversetzung unter dem Gedicht ist ein Wikipediading, ich kann allerdings keinen Autor dazu finden. Vielleicht machst du uns ja mal eine Translation. ;-) Ich bin darin nicht wirklich gut muss ich zugeben, klar schreie ich dass eine Übersetzung besser sein könnte, hänge aber selber schon seit zwei Monaten an einer Verdeutschung für "In the Ghetto", von daher, wer bin ich, dass ich mit Steinen werfe. Einen lieben Gruß C.
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© auf alle meine Texte „Mir gefiel der Geschmack von Bier, sein lebendiger, weißer Schaum, seine kupferhellen Tiefen, die plötzlichen Welten, die sich durch die nassen braunen Glaswände hindurch auftaten, das schräge Anfluten an die Lippen und das langsame Schlucken hinunter zum verlangenden Bauch, das Salz auf der Zunge, der Schaum im Mundwinkel.“ Dylan Thomas |
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#9 |
Kiwifrüchtchen
Registriert seit: 23.05.2009
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Hallo Cebrail,
ja, ich könnte mich wohl wirklich mal an eine Übersetzung wagen. Zu übertragen, wie 'Unbekannt' es mit Annabel Lee gemacht hat, da ist nix dabei. Mir jedoch gefiele die Herausforderung, es gereimt zu versuchen. ![]() Ich werd mich mal dahinterklemmen und schauen, wie ich vorankomme. Da Du ein Poe-Fan bist, möchte ich Dir ans Herz legen, die Übersetzung / Nachdichtung des Rabens von unserem Forumkollegen Thomas zu lesen. Die ist mM nach um Längen besser als alle, die ich bisher gelesen habe, einschließlich die wohl bekannteste von Wollschläger, die von manchen Quellen auch als die beste bezeichnet wird. Für mich ist sie im Vergleich zu Thomas' schwach. Ich muß gleich nachgucken, ob Thomas' Werk hier am Eiland eingestellt ist. Fündig geworden. ![]() www.gedichte-eiland.de/showthread.php?t=8884 LG von Lai ![]() Lieber Sid, DAS ist ja ein tolles Werk! Der Name Ina Seidel ist mir völlig unbekannt. Bizarr, surreal und dabei witzig. Ganz super! Danke fürs Vorstellen. ![]()
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.................................................. ........................................... "Manchmal ist es so demütigend, ein Mensch sein zu müssen..." Erich Kykal Geändert von Lailany (18.07.2014 um 08:02 Uhr) |
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#10 |
TENEBRAE
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Rainer Maria Rilke
DER BLINDE KNABE An allen Türen blieb der blinde Knabe, auf den der Mutter bleiche Schönheit schien, und sang das Lied, das ihm sein Leid verliehn: "Oh hab mich lieb, weil ich den Himmel habe." Und alle weinten über ihn. An allen Türen blieb der blinde Knabe. Die Mutter aber zog ihn leise mit; weil sie die andern alle weinen schaute. Er aber, der nicht wusste, wie sie litt, und nur noch tiefer seinem Dunkel traute, sang: "Alles Leben ist in meiner Laute." Die Mutter aber zog ihn leise mit. So trug er seine Lieder durch das Land. Und als ein Greis ihn fragte, was sie deuten, da schwieg er, und auf seiner Stirne stand: Es sind die Funken, die die Stürme streuten, doch einmal werd ich breit sein wie ein Brand. So trug er seine Lieder durch das Land. Und allen Kindern kam ein Traurigsein. Sie mussten immer an den Blinden denken und wollten etwas seiner Armut weihn; er nahm sie lächelnd an den Handgelenken und sang: "Ich selbst bin kommen euch beschenken." Und allen Kindern kam ein Traurigsein. Und alle Mädchen wurden blass und bang. Und waren wie die Mutter dieses Knaben, der immer noch in ihren Nächten sang. Und fürchteten: wir werden Kinder haben, - und alle Mütter waren krank . . Da wurden ihre Wünsche wie ein Wort und flatterten wie Schwalben um die Eine, die mit dem Blinden zog von Ort zu Ort: "Maria, du Reine, sieh, wie ich weine. Und es ist seine Schuld. In die Haine führe ihn fort!" Bei allen Bäumen blieb der blinde Knabe, auf den der Mutter müde Schönheit schien, und sang das Lied, das ihm sein Leid verliehn: "Oh hab mich lieb, weil ich den Himmel habe -" Und alle blühten über ihm. DER SCHAUENDE Ich sehe den Bäumen die Stürme an, die aus laugewordenen Tagen an meine ängstlichen Fenster schlagen, und höre die Fernen Dinge sagen, die ich nicht ohne Freund ertragen, nicht ohne Schwester lieben kann. Da geht der Sturm, ein Umgestalter, geht durch den Wald und durch die Zeit, und alles ist wie ohne Alter: die Landschaft, wie ein Vers im Psalter, ist Ernst und Wucht und Ewigkeit. Wie ist das klein, womit wir ringen, was mit und ringt, wie ist das groß; ließen wir, ähnlicher den Dingen, uns so vom großen Sturm bezwingen, - wir würden weit und namenlos. Was wir besiegen, ist das Kleine, und der Erfolg selbst macht uns klein. Das Ewige und Ungemeine will nicht von uns gebogen sein. Das ist der Engel, der den Ringern des Alten Testaments erschien: wenn seiner Widersacher Sehnen im Kampfe sich metallen dehnen, fühlt er sie unter seinen Fingern wie Saiten tiefer Melodien. Wen dieser Engel überwand, welcher so oft auf Kampf verzichtet, der geht gerecht und aufgerichtet und groß aus jener harten Hand, die sich, wie formend, an ihn schmiegte. Die Siege laden ihn nicht ein. Sein Wachstum ist: der Tiefbesiegte von immer Größerem zu sein. DER APFELGARTEN Komm gleich nach dem Sonnenuntergange, sieh das Abendgrün des Rasengrunds; ist es nicht, als hätten wir es lange angesammelt und erspart in uns, um es jetzt aus Fühlen und Erinnern, neuer Hoffnung, halbvergeßnem Freun, noch vermischt mit Dunkel aus dem Innern, in Gedanken vor uns hinzustreun unter Bäume wie von Dürer, die das Gewicht von hundert Arbeitstagen in den überfüllten Früchten tragen, dienend, voll Geduld, versuchend, wie das, was alle Maße übersteigt, noch zu heben ist und hinzugeben, wenn man willig, durch ein ganzes Leben nur das Eine will und wächst und schweigt. DER FREMDE Ohne Sorgfalt, was die Nächsten dächten, die er müde nichtmehr fragen hieß, ging er wieder fort, verlor, verließ - . Denn er hing an solchen Reisenächten anders als an jeder Liebesnacht. Wunderbare hatte er durchwacht, die mit starken Sternen überzogen enge Fernen auseinanderbogen und sich wandelten wie eine Schlacht; andre, die mit in den Mond gestreuten Dörfern, wie mit hingehaltnen Beuten; sich ergaben, oder durch geschonte Parke graue Edelsitze zeigten, die er gerne in dem hingeneigten Haupte einen Augenblick bewohnte, tiefer wissend, dass man nirgends bleibt; und schon sah er bei dem nächsten Biegen wieder Wege, Brücken, Länder liegen bis an Städte, die man übertreibt. Und dies alles immer unbegehrend hinzulassen, schien ihm mehr als seines Lebens Lust, Besitz und Ruhm. Doch auf fremden Plätzen war ihm eines täglich ausgetretnen Brunnensteines Mulde manchmal wie ein Eigentum. RÖMISCHE FONTÄNE Zwei Becken, eins das andre übersteigend aus einem alten runden Marmorrand, und aus dem oberen Wasser leis sich neigend zum Wasser, welches unten wartend stand, dem leise redenden entgegenschweigend und heimlich, gleichsam in der hohlen Hand, ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend wie einen unbekannten Gegenstand; sich selber ruhig in der schönen Schale verbreitend ohne Heimweh, Kreis aus Kreis, nur manchmal träumerisch und tropfenweis sich niederlassend an den Moosbehängen zum letzten Spiegel, der sein Becken leis von unten lächeln macht mit Übergängen. SONETT XXIX (aus dem 2. Teil der Sonette an Orpheus) Stiller Freund der vielen Fernen, fühle, wie dein Atmen noch den Raum vermehrt. Im Gebälk der finstern Glockenstühle laß dich läuten. Das, was an dir zehrt, wird ein Starkes über dieser Nahrung. Geh in der Verwandlung aus und ein. Was ist deine leidenste Erfahrung? Ist dir Trinken bitter, werde Wein. Sei in dieser Nacht aus Übermaß Zauberkraft am Kreuzweg deiner Sinne, ihrer seltsamen Begegnung Sinn. Und wenn dich das Irdische vergaß, zu der stillen Erde sag: Ich rinne. Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin. DER BALL Du Runder, der das Warme aus zwei Händen im Fliegen, oben, fortgibt, sorglos wie sein eigenes; was in den Gegenständen nicht bleiben kann, zu unbeschwert für sie, zu wenig Ding und doch noch Ding genug, um nicht aus allem draußen Aufgereihten unsichtbar plötzlich in uns einzugleiten: das glitt in dich, du zwischen Fall und Flug noch Unentschlossener: der, wenn er steigt, als hätte er ihn mit hinaufgehoben, den Wurf entführt und freiläßt - , und sich neigt und einhält und den Spielenden von oben auf einmal eine neue Stelle zeigt, sie ordnend wie zu einer Tanzfigur, um dann, erwartet und erwünscht von allen, rasch, einfach, kunstlos, ganz Natur, dem Becher hoher Hände zuzufallen. DIE GAZELLE (Gazella Dorcas) Verzauberte: Wie kann der Einklang zweier erwählter Worte je den Reim erreichen, der in dir kommt und geht, wie auf ein Zeichen. Aus deiner Stirne steigen Laub und Leier, und alles Deine geht schon im Vergleich durch Liebeslieder, deren Worte, weich wie Rosenblätter, dem, der nicht mehr liest, sich auf die Augen legen, die er schließt: um dich zu sehen: hingetragen, als wäre mit Sprüngen jeder Lauf geladen und schösse nur nicht ab, solang der Hals das Haupt ins Horchen hält: wie wenn beim Baden im Wald die Badende sich unterbricht: den Waldsee im gewendeten Gesicht. DER SCHWAN Diese Mühsal, durch noch Ungetanes schwer und wie gebunden hinzugehn, gleicht dem ungeschaffnen Gang des Schwanes. Und das Sterben, dieses Nichtmehrfassen jenes Grunds, auf dem wir täglich stehn, seinem ängstlichen Sich-Niederlassen - : in die Wasser, die ihn sanft empfangen und die sich, wie glücklich und vergangen, unter ihm zurückziehn, Flut um Flut; während er unendlich still und heiter immer mündiger und königlicher und gelassener zu ziehn geruht. DIE HEILIGE Das Volk war durstig; also ging das eine durstlose Mädchen, ging die Steine um Wasser anflehn für ein ganzes Volk. Doch ohne Zeichen blieb der Zweig der Weide, und sie ermattete am langen Gehn und dachte endlich nur, dass einer leide, (ein kranker Knabe, und sie hatten beide sich einmal abends ahnend angesehn). Da neigte sich die junge Weidenrute in ihren Händen dürstend wie ein Tier: jetzt ging sie blühend über ihrem Blute, und rauschend ging ihr Blut tief unter ihr. EINSAMKEIT Die Einsamkeit ist wie ein Regen. Sie steigt vom Meer den Abenden entgegen; von Ebenen, die fern sind und entlegen, geht sie zum Himmel, der sie immer hat. Und erst vom Himmel fällt sie auf die Stadt. Regnet hernieder in den Zwitterstunden, wenn sich nach Morgen wenden alle Gassen und wenn die Leiber, welche nichts gefunden, enttäuscht und traurig voneinander lassen; und wenn die Menschen, die einander hassen, in einem Bett zusammen schlafen müssen: dann geht die Einsamkeit mit den Flüssen . . . WELCHE WIESEN . . Welche Wiesen duften deine Hände? Fühlst du wie auf deine Widerstände stärker sich der Duft von draußen stützt. Drüber stehn die Sterne schon in Bildern. Gib mir, Liebe, deinen Mund zu mildern; ach, dein ganzes Haar ist unbenützt. Sieh, ich will dich mit dir selbst umgeben und die welkende Erwartung heben von dem Rande deiner Augenbraun; wie mit lauter Liderinnenseiten will ich dir mit meinen Zärtlichkeiten alle Stellen schließen, welche schaun. DER TOD DER GELIEBTEN Er wusste nur vom Tod was alle wissen: dass er uns nimmt und in das Stumme stößt. Als aber sie, nicht von ihm fortgerissen, nein, leis aus seinen Augen ausgelöst, hinüberglitt zu unbekannten Schatten, und als er fühlte, dass sie drüben nun wie einen Mond ihr Mädchenlächeln hatten und ihre Weise wohlzutun: da wurden ihm die Toten so bekannt, als wäre er durch sie mit einem jeden ganz nah verwandt; er ließ die andern reden und glaubte nicht und nannte jenes Land das gutgelegene, das immersüße - und tastete es ab für ihre Füße. DER BLINDE (Paris) Sieh, er geht und unterbricht die Stadt, die nicht ist auf seiner dunkeln Stelle, wie ein dunkler Sprung durch eine helle Tasse geht. Und wie auf einem Blatt ist auf ihm der Widerschein der Dinge aufgemalt; er nimmt ihn nicht hinein. Nur sein Fühlen rührt sich, so als finge es die Welt in kleinen Wellen ein: eine Stille, einen Widerstand - , und dann scheint er wartend wen zu wählen: hingegeben hebt er seine Hand, festlich fast, wie um sich zu vermählen. EINE WELKE Leicht, wie nach ihrem Tode trägt sie die Handschuh, das Tuch. Ein Duft aus ihrer Kommode verdrängte den lieben Geruch, an dem sie sich früher erkannte. Jetzt fragte sie lange nicht, wer sie sei (: eine ferne Verwandte), und geht in Gedanken umher und sorgt für ein ängstliches Zimmer, das sie ordnet und schont, weil es vielleicht noch immer dasselbe Mädchen bewohnt. DER BALKON Von der Enge, oben, des Balkones angeordnet wie von einem Maler und gebunden wie zu einem Strauß alternder Gesichter und ovaler, klar im Abend, sehn sie idealer, rührender und wie für immer aus. Dieses aneinander angelehnten Schwestern, die, als ob sie sich von weit ohne Aussicht nacheinander sehnten, lehnen, Einsamkeit an Einsamkeit; und der Bruder mit dem feierlichen Schweigen, zugeschlossen, voll Geschick, doch von einem sanften Augenblick mit der Mutter unbemerkt verglichen; und dazwischen, abgelebt und länglich, längst mit keinem mehr verwandt, einer Greisin Maske, unzugänglich, wie im Fallen von der einen Hand aufgehalten, während eine zweite welkere, als ob sie weitergleite, unten von den Kleidern hängt zur Seite von dem Kinderangesicht, das das Letzte ist, versucht, verblichen, von den Stäben wieder durchgestrichen wie noch unbestimmbar, wie noch nicht. DON JUANS KINDHEIT In seiner Schlankheit war, schon fast entscheidend, der Bogen, der an Frauen nicht zerbricht; und manchmal, seine Stirne nicht mehr meidend, ging eine Neigung durch sein Angesicht zu einer die vorüberkam, zu einer die ihm ein fremdes altes Bild verschloss: er lächelte. Er war nicht mehr der Weiner, der sich ins Dunkel trug und sich vergoß. Und während ein ganz neues Selbstvertrauen ihn öfter tröstete und fast verzog, ertrug er ernst den ganzen Blick der Frauen, der ihn bewunderte und ihn bewog. DAME VOR DEM SPIEGEL Wie in einem Schlaftrunk Spezerein löst sie leise in dem flüssigklaren Spiegel ihr ermüdetes Gebaren; und sie tut ihr Lächeln ganz hinein. Und sie wartet, dass die Flüssigkeit davon steigt; dann gießt sie ihre Haare in den Spiegel, und, die wunderbare Schulter hebend aus dem Abendkleid, trinkt sie still aus ihrem Bild. Sie trinkt, wie ein Liebender im Taumel tränke, prüfend, voller Mißtraun; und sie winkt erst der Zofe, wenn sie auf dem Grunde ihres Spiegels Lichter findet, Schränke und das Trübe einer späten Stunde. DIE FLAMINGOS In Spiegelbildern wie von Fragonard ist doch von ihrem Weiß und ihrer Röte nicht mehr gegeben, als dir einer böte, wenn er von seiner Freundin sagt: sie war noch sanft von Schlaf. Denn steigen sie ins Grüne und stehn, auf rosa Stielen leicht gedreht, beisammen, blühend, wie in einem Beet, verführen sie verführender als Phryne sich selber; bis sie ihres Auges Bleiche hinhalsend bergen in der eignen Weiche, in welcher Schwarz und Fruchtrot sich versteckt. Auf einmal kreischt ein Neid durch die Volière; sie aber haben sich erstaunt gereckt und schreiten einzeln ins Imaginäre. DER PAVILLON Aber selbst noch durch die Flügeltüren mit dem grünen regentrüben Glas ist ein Spiegeln lächelnder Allüren und ein Glanz von jenem Glück zu spüren, das sich dort, wohin sie nicht mehr führen, einst verbarg, verklärte und vergaß. Aber selbst noch in den Steingirlanden über der nicht mehr berührten Tür ist ein Hang zur Heimlichkeit vorhanden und ein stilles Mitgefühl dafür - , und sie schauern manchmal, wie gespiegelt, wenn ein Wind sie schattig überlief; auch das Wappen, wie auf einem Brief viel zu glücklich, überstürzt gesiegelt, redet noch. Wie wenig man verscheuchte: alles weiß noch, weint noch, tut noch weh - , Und im Fortgehn durch die tränenfeuchte abgelegene Allee fühlt man lang noch auf dem Rand des Dachs jene Urnen stehen, kalt, zerspalten: doch entschlossen, noch zusammzuhalten um die Asche alter Achs.
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
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