Thema: Kriegskind
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Alt 22.12.2012, 13:05   #9
Antigone
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Standard Kriegskind

Hallo Erich,

ich bin ein Kriegskind, ich bin Jahrgang 41, ich habe die ersten Lebensjahre im schwer bombardierten Zentrum Berlins zwischen nächtlichem Sirenengeheul, Luftangriffen und Todesangst verbracht. Was ich dabei empfunden hatte, so klein, wie ich war, und obwohl ich vieles noch nicht verstand, macht mir noch heute, ohne dass ich es will, Gänsehaut. Da hat sich mir etwas meinem Unterbewussten für das ganze Leben eingeprägt.

Natürlich interessiert mich aus diesem Grunde ein Gedicht mit dieser Thematik sehr. Wenn ich dein Gedicht lese, fällt mir als erstes auf, dass hier kein Kind spricht, sondern eine Erwachsene, die über Erlebnisse ihrer Kindheit spricht. Und wenn ich diesen Aspekt in Betracht ziehe, dann erscheint mir das Gedicht nicht nur sprachlich zu sehr "geglättet" - wie übrigens alle deine Texte. Was mich aber wirklich an diesem Gedicht unberührt lässt, ist nicht das sprachliche Glatthobeln, sondern die Substanzlosigkeit der Einsichten, die das LI daraus schöpft und die du ebenfalls "glatthobelst", vorausgesetzt, Einsichten von Substanz waren überhaupt vorhanden. Schließlich spricht hier ein Erwachsener, der eine tiefgründigere Einsicht in Zusammenhänge haben müsste, als du sie hier offenbarst. Eine wirkliche Rückschau auf schreckliche Kindheitserlebnisse ist dein Gedicht für mich nicht. Selbst wenn ich ein angenommenes Trauma deines LI in Betracht ziehe, das es ihm verweigert, sich zu erinnern.

Für deine Generation ist Krieg ein Teil Geschichte, die vorbei war, als du auf die Welt kamst. Du kannst also nicht aus eigenem Erleben sprechen, stellst dir irgend etwas vor, dass es so hätte gewesen sein können, und das erklärt auch die nicht zu übersehende "Flachheit" beim Herangehen an das Thema, um es mal so zu nennen. Ehe man solche, durchaus gutgemeinte Gedichte schreibt, sollte man lieber keines zu diesem Thema schreiben, das ist meine Ansicht. Weil es den Krieg zu einer harmlosen Angelegenheit erklärt, die man als "Kindheitserlebnis" hinter sich lassen könnte oder müsste oder sollte - auch wenn dir das nicht bewusst sein sollte. Aber nicht nur deshalb. In meiner literarischen Ausbildung gab es einen Standardsatz: Schreibe nur darüber, was du kennst. Und wie sich an diesem Text erweist, reicht es eben nicht, etwas nur "irgendwie" zu kennen.

Lieben Gruß
Antigone

Geändert von Antigone (22.12.2012 um 13:12 Uhr)
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