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Alt 18.01.2017, 03:21   #1
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Standard Gedichte an die Nacht

1)

Wünsch mir, Nacht, dass aus der Sterne Chöre
eine Stimme sich an mich verlöre,
eine Stimme ganz für mich allein,
die mich tröstet, wenn ich Hader höre
und dem Himmel, dem ich mich verschwöre,
stets verspricht, der Meinige zu sein.

2)

Dunkle Wasser der Ewigkeit, aufschäumend
an den Ufern nachtsamtener Wolkentürme,
euch treibt nicht der Atem vergänglicher Stürme.
Über dem scheuen Silber der Meere träumend
fließt ihr, die Ränder der Schöpfung säumend,
über von Sternen.

3)

Wo, sag mir, tröstet dein dunkelster Schatten
den lichtwunden Schläfer und kühlt sein Versagen?
Den Brand seines Willens vermochte er kaum zu ertragen.
So schlug er das aschene Herz seiner übersatten,
entmündigten Hoffnung dir zu, ihr Ermatten
im Dunkel der Gnade zu fassen, die seinen Tagen
versagt blieb, vom Glanz der Begierde erschlagen.

4)

Nacht, über Fernen kein Jota entfernter
als über dem Nahen, dem Teil, der gelernter
uns scheint, wenn die Farben verblassen -
Nacht, allen gleich, allen groß übersternter
Vergleich mit dem Ewigen, ewig verlernter
Beweis, den wir niemals erfassen.

5)

Verliere mich, o Nacht, in deinen Falten
wie blasse Ahnung, schon beinah vergessen,
verloren im Versuch, dich zu ermessen,
doch sanfter wie ein kleines Kind entschuldigt,
das dem Bedürfen seiner Neugier huldigt,
vom freundlichen Verständnis seiner Alten.

Verliere mich, o Nacht, in deiner Mitte
wie matte Hoffnung, die sich nie erfüllte,
als Tageslicht noch deinen Saum umhüllte,
doch, weit getragen von erschöpften Sinnen,
noch immer weiter glüht, sich zu beginnen -
gewähre, Nacht, dem Schläfernden die Bitte.
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (18.01.2017 um 13:14 Uhr)
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Alt 18.01.2017, 10:42   #2
Thomas
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Lieber Erich,

Nummer 2 ist mein Favorit! Insgesamt sehr schöne Variationen.

Liebe Grüße
Thomas
__________________
© Ralf Schauerhammer

Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller
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Alt 18.01.2017, 11:15   #3
juli
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Standard Moin Moin

Hallo eKy,

Wunderschön!

Ich schwärme für 1. und 5.

Hierhin werde ich sehr gerne zurückkehren. Die Nacht ist wie eine Decke, die alles in neuem Dunkel scheinen läßt.

Liebe Grüße sy

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Alt 18.01.2017, 13:19   #4
Erich Kykal
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Hi Thomas, Sy!

Ich las gestern Nacht meinen geliebten Rilke, und zwar die restaurierte Fassung seiner "Gedichte an die Nacht". Diese Sammlung ist in dieser Form bisher nie erschienen, die Werke wurden nach seinem Tod in seinem Gesamtwerk chronologisch aufgeteilt.

Nach der Lektüre wollte diese kleine Hommage an ihn einfach so aus mir heraus!

Vielen Dank für euer wohlwollendes Feedback!

LG, eKy
__________________
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Geändert von Erich Kykal (18.01.2017 um 14:10 Uhr)
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Alt 19.01.2017, 18:38   #5
Dana
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Lieber eKy,

ganz, ganz wunderbar. Mir fällt eine "Favoritentscheidung" schwer. Einem jeden hast Du Verse verliehen, die Deine Sprachbegabung bewundern lassen.
Während ich schreibe, lese ich immer wieder und picke nun doch eines heraus:


Zitat:
Zitat von Erich Kykal
Wo, sag mir, tröstet dein dunkelster Schatten
den lichtwunden Schläfer und kühlt sein Versagen?
Den Brand seines Willens vermochte er kaum zu ertragen.
So schlug er das aschene Herz seiner übersatten,
entmündigten Hoffnung dir zu, ihr Ermatten
im Dunkel der Gnade zu fassen, die seinen Tagen
versagt blieb, vom Glanz der Begierde erschlagen.
Imponierend der lichtwunde Schläfer, übersatte entmündigte Hoffnung ...

Sehr, sehr gern gelesen und staunend bewundert
liebe Grüße
Dana
__________________
Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 19.01.2017, 19:24   #6
Erich Kykal
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Hi Dana!

Es freut mich sehr, hiermit offenbar einen Nerv getroffen zu haben - ich hatte schon Sorge, es könnte zu pathetisch wirken ...

Es ist pures verbalisiertes Gefühl nach einem Stündchen Rilke-Lektüre gleicher Thematik und gleichzeitig eine Hommage an den großen Meister der deutschen Dichtkunst!

Ich schrieb es einfach so vor mich hin, randvoll des Gefühls, ohne Hebungen zu zählen oder auf Aufakte oder Kadenzen zu achten - einzig nur der inneren Melodie folgend und dem, was ich zum Ausdruck bringen wollte.
Überraschend wenige Korrekturen waren hinterher nötig und beschränkten sich auf die gröbsten Unebenheiten.

Vom Ergebnis war ich dann selbst überrascht - so nah an Rilke fühlte ich mich noch nie! (Dafür kann mich ein kritischer Mensch gern einen Epigonen schimpfen - ich fasse es als große lyrische Leistung auf, meinem Vorbild für sprachliche Schönheit und Eleganz bei gleichzeitig größtmöglicher Innigkeit und Verinnerlichung auch nur in etwa nahe gekommen zu sein!)

Vielen Dank für das so positive Feedback!

LG, Ky
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Alt 19.01.2017, 20:20   #7
Kokochanel
Gast
 
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schöne Oden an die Nacht, jede zart und voller Poesie, lieber Erich.
Kleinigkeiten, die mir auffielen:

in 2 sind mir zu viele Partizipien, das macht es mir zu hart. Geschmacksache vielleicht.
in 5 würde ich hier hinter sanfter ein Komma oder einen Gedankenstrich setzen, sonst wäre der Vergleich komparativisch sanfter als ( nicht wie).

Schläfernd... eine Wortneuschöpfung oder Dialekt?

Gerne gelesen mit lG von Koko
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Alt 19.01.2017, 20:44   #8
Erich Kykal
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Hi Koko!

Danke für deine Gedanken!

"Schläfern" kommt bei Rilke vor (Zwischen Tag und Traum), beschreibt einen Zustand, da man noch wach, aber schon sehr müde ist - dieser Zustand, wenn man immer schon ein wenig wegnickt.

Entsprechend ist ein "Schläfernder" eine sehr müde Person, die entweder gleich einschläft oder trotz bleierner Müdigkeit (noch) nicht einschafen kann oder will.

LG, eKy
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