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Stammtisch Gesellschaft, Politik und Alltag

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Alt 12.07.2011, 11:20   #1
Galapapa
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Standard Die letzte Nacht

Überarbeitete Version:


Zwei Plastiktüten baumeln sacht am Lenker,
so schiebt er schweren Schritts sein altes Rad.
Sein Schmerz, er quält ihn und er denkt: „Zum Henker!“
Ein kalter Regen fällt, der Abend naht.

Verzweifelt sucht er einen Platz zum Schlafen,
die Brücke ist heut sicher schon belegt.
Das Schicksal, womit will es ihn noch strafen?
Er schleppt sich weiter, scheinbar unbewegt.

Zu Vieles schon ist stumm an diesem Leben,
an Pech, an Leid und Unglück abgeprallt,
es hieß schon viel zu oft, sich zu erheben,
ganz ohne Hoffnung, ohne Hilfe, ohne Halt.

Die Laderampe vier am alten Hafen,
sie bietet Schutz vor Regen für die Nacht.
Erschöpft legt er sich zwischen Unrat schlafen.
Am Morgen ist er nicht mehr aufgewacht.


Sechs klamme Regenstunden sind vergangen,
in Müll gebettet, lächelnd und entspannt,
so hat man ihn am Tag drauf gefunden,
die Plastiktüten fest in seiner Hand.


Voll Neugier stand so Mancher da und gaffte,
tat leise dazu seine Meinung kund,
als man den Blechsarg in das Einsatzauto schaffte.
„Ein arbeitsscheuer Penner nur, na und?!“

Ursprüngliche Version:


Zwei Plastiktüten am Lenker,
so schiebt er sein altes Rad
und denkt: „Dieser Schmerz, zum Henker!“
Es regnet, der Abend naht.

Er sucht einen Platz zum Schlafen,
die Brücke ist schon belegt.
Als wollte das Schicksal ihn strafen,
doch er zeigt sich unbewegt.

Zuviel ist an diesem Leben
an Pech und Leid abgeprallt,
zu oft hieß es, sich erheben,
ohne Hoffnung und ohne Halt.

Die Laderampe am Hafen,
sie bietet Schutz für die Nacht.
Er legt sich dort müde schlafen
und ist nicht mehr aufgewacht.


Nach sechs verregneten Stunden
in Müll gebettet, entspannt,
so hat man ihn dann gefunden,
die Tüten fest in der Hand.

So Mancher stand da und gaffte,
tat leis seine Meinung kund,
als man ihn ins Auto schaffte:
„Ein fauler Penner, na und?!“

Geändert von Galapapa (16.07.2011 um 11:59 Uhr)
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Alt 14.07.2011, 10:45   #2
Ida
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guten tag galapapa,

ja, so ist es, es trifft den penner wie den reichen und beider leben ist nicht mehr und nicht weniger als ein leben wert
es ließt sich gut, die metrik läuft glatt die endungen wechseln sich sauber ab
und die aussage nimmt mit

gern gelesen ida
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Alt 14.07.2011, 17:12   #3
Galapapa
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Hallo Ida,
danke für Deinen Kommentar und Dein Lob!
Du hast Recht, jedes Meschenleben ist gleich viel wert. Der Text wendet sich gegen die Ausgrenzung und Abwertung von Menschen.
Insbesondere die Vorurteile gegenüber bestimmten Mitmenschen sind nicht nur menschenunwürdig, sondern sehr oft auch nicht zutreffend.
Sog. Penner sind dafür ein gutes Beispiel. Nicht selten sind soziale Ungerechtigkeiten und gesetzlicher Schwachsinn, oft auch vernichtende Unglücke die Hintergründe für diese Schicksale. Da kenne ich ganz konkrete Beispiele.
Zur Metrik möchte ich anmerken, dass das Grundgerüst einheitlich ist, was ein rundes Lesen ohne Stolpern ermöglichen sollte. Anfang und Ende der Verse sind in ihren Betonungen gleich (männliche Kadenz am Anfang und abwechseln weiblicher und männlicher Ausklang). Dazwischen aber unregelmäßig wechselnde Betonungsschemata, die aber den Rhytmus nicht unrund machen. D.h., man kommt beim Lesen nicht ins Stolpern und findet den Rhythmus ohne Problem.
Ich experimentiere im Moment mit solchen Dingen und habe hier schon wieder etwas dazugelernt.
Auch welche Rolle die Silbenzahl pro Vers dabei spielt, ist eine interessante Frage.
Herzliche Grüße an Dich!
Galapapa
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Alt 14.07.2011, 18:12   #4
Stimme der Zeit
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Hallo, Galapapa,

dein Gedicht hat mich beim Lesen traurig gestimmt. Wie viele Menschen werden von Schicksalsschlägen getroffen und von diesen dann "aus der Bahn geworfen". Randexistenzen - das ist für mich ein absolutes "Unwort". Verbannt an den Rand des "Menschheitsrudels" leben sie von dem, was ihnen an Resten übrig gelassen wird.

Wer weiß, welche Härten einen Menschen zu solch einem Dasein verurteilen? Dass sich jemand aus freien Stücken dafür entscheidet - allein die Vorstellung ist absurd. Obwohl es immer wieder Leute gibt, die so darüber denken. Meist jene, die dann (siehe dein Gedicht) daneben stehen und gaffen ...

Anstatt zu helfen, wird verurteilt. Chancen? Wer einmal dort "gelandet" ist, kommt nur in extrem seltenen Einzelfällen wieder aus dem Elend heraus, und nur, wenn er viel Glück und Hilfe hat. "Der Schmerz" - ein Mensch leidet, aber er bleibt damit allein.

Besonders beeindruckt hat mich der "Bogen", den deine Intuition die beiden Tüten schlagen lässt: Sie enthalten seinen gesamte "weltliche Habe". Für ihn sind sie wertvoll, alles, was er noch besitzt, deshalb hält er sie auch im Tod noch fest. Ich sehe das wie einen "Hilfeschrei": "Ich muss sie festhalten, sonst kommt jemand und nimmt mir das Letzte auch noch weg ..."

Menschen sind (vom menschlichen Standpunkt aus leider!) vom Sozialverhalten her den Wölfen geradezu verblüffend ähnlich. Auch dort werden Tiere, die von der "Norm" abweichen, an den Rand des Rudels abgedrängt. Es genügt bereits eine andere Fellfarbe, um das auszulösen. Der betroffene Wolf hat nur zwei Möglichkeiten: Entweder er verbleibt am Rand, weicht den Attacken der Rudelmitglieder ständig aus (was auch schiefgehen kann, wenn er nicht gut genug aufpasst; sie können ihn durchaus töten), oder er verlässt das Rudel und lebt als Einzelgänger. Das senkt seine Überlebenschancen drastisch, denn Wölfe jagen im Rudel. Alleine kann er keine größeren Beutetiere jagen, also ist er gezwungen, von Mäusen und anderen Kleintieren zu leben. Im Winter wird das gefährlich, denn ein Einzelgänger steht dann jedes Mal vor dem drohenden Hungertod. So unglaublich fürsorglich Wölfe innerhalb der sozialen Struktur des eigenen Rudels sind, so gnadenlos sind sie gegenüber Abweichungen vom "Normalen" - und gegen Fremde. Die Parallelen sind unübersehbar.

Daher kommt unsere Affinität für Hunde. Sie stammen von Wölfen ab, der größte Teil der Verhaltensmuster ist noch vorhanden. Es ist die Ähnlichkeit der Sozialstruktur, die uns anzieht. Wobei: Ich sage nicht, dass Wölfe oder Hunde "böse" sind, bitte nicht falsch verstehen! Es dient nur als Vergleich - um aufzuzeigen, wie sehr wir Menschen doch immer noch Tier sind ...

Das Wichtigste ist hier die Aussage. Ich krittle auch nicht an deinem Metrum herum. Was du in deinem Kommentar zu Ida sagst, stimmt durchaus. Nur, ein Problem habe ich trotzdem damit. Ja, das flüssige Lesen ist möglich, der Rhythmus lässt sich finden, wenn man es als "Lied" nimmt und der "inneren Melodie" folgt. Und genau da steckt der Haken. Die einzelnen Verse mit 4 Hebungen kann ich "zurechtbetonen", und den überwiegendenden Dreihebigen "anpassen", das geht. Aber die Melodie selbst ...

Ich versuche, es darzustellen. Durch den Wechsel von Jamben, Trochäen und Daktylen entsteht ein "schwingender" Rhythmus. Ungefähr so:

Zwei Plastiktüten am Lenker,
so schiebt er sein altes Rad,

TaTamTaTamTaTaTamTa,
TaTamTaTaTamTaTam.

Dieser Rhythmus kann (mit ein wenig "Biegen") durch das ganze Gedicht hindurch beibehalten werden. Nur, leider, er klingt eben sehr "lebhaft", ja, beinahe "munter". Das ist mein "Problem". Auch der "Takt", der durch die stringent wechselnden weiblich/männlichen Kadenzen entsteht, unterstützt diese "Wirkung" noch. Es passt einfach nicht zum Thema, sorry ...

Bitte nicht falsch werten, das ist mein persönlicher Eindruck und enspringt meinem "Rhythmusgefühl", das auch mal "daneben liegen" kann. Ich wollte es nur anmerken.

Ich würde eine solche Thematik eher in einen fünfhebigen Jambus (mit durchgehend weiblichen Kadenzen) oder in Blankverse (Alexandriner, ohne Endreime) "packen". Beide Metren eignen sich sehr gut für den "Transport" eines traurigen bzw. tragischen Inhalts. (Nur ein Tipp.)

Mein "Fazit": Der Inhalt ist gut aufgebaut, die Reihenfolge ist stimmig, alles "passt". Deshalb finde ich dein Gedicht im Grunde genommen gut gelungen. (Bis auf die Melodie) Dazu kommt noch der sehr wichtige Umstand, dass derartige soziale Ausgrenzungen, für die hier ein Beispiel dargestellt wird, ein Teil unserer Welt sind. Sie sollten es aber nicht sein, daher ist es von großer Bedeutung, diese Misstände immer wieder ans "Tageslicht" zu bringen. Wie dir vielleicht auffiel, habe ich das Wort "Penner" nicht benutzt (bis auf hier, zur Anmerkung).

Die Feder ist mächtiger als das Schwert ...

Sehr gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße

Stimme
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Stimme der Zeit ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.07.2011, 11:57   #5
Galapapa
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Hallo Stimme,
hab Dank für Deinen ausführlichen Kommentar! Auch für Dein Lob vielen Dank!
Dankbar bin ich auch für die wichtige Kritik, auf die ich zuerst eingehen möchte:
Mir war aufgefallen, dass ich in letzter Zeit nur noch 12- und 13-silbige Verse verwendet hatte und obwohl diese bezüglich der Metrik nicht leicht zu beherrschen sind, habe ich mich da wohlgefühlt. Um nicht zu einseitig zu werden, nahm ich mir vor, aus diesem Schema auszubrechen. Dafür aber habe ich mir das falsche Thema ausgesucht. D.h., ich gebe Dir absolut Recht: Der dabei entstandene Rhythmus ist ungünstig für den beschriebenen Inhalt.
Ich habe mir in letzter Zeit zuviel Gedanken um die X-erei gemacht, deren Wichtigkeit ich damit nicht mindern möchte, doch ist letztlich eben auch der Rhythmus entscheidend für die Empfindungen des Lesers, wenn dieser sich mit dem Inhalt auseinandersetzt.
Ich bin Dir für diesen Hinweis besonders dankbar; man muss beides, Lesbarkeit und den inhalttragenden Rhythmus im Auge haben, um einen runden und stimmigen Text zu erzeugen.
Nun, ich experimentiere und habe wieder etwas dazugelernt. Und ich stelle mich auch der Herausforderung, dieses Gedicht umzuschreiben.
Mir selbst war dieser Umstand nach Fertigstellung aufgefallen als irgendwie heiterer Unterton, den ich als Kontrast zum Inhalt gesehen habe. Dass dies aber nicht positiv ist, habe ich nun erkannt. Es passt einfach nicht zum Inhalt.
Interessant fand ich Deine Anmerkungen über die Wölfe. Gerade an diesen Parallelen kann man erkennen, was Menschlichkeit ausmacht. Tiere können nicht böse sein, weil sie nicht entscheiden können, was sie tun werden. Sie handeln und reagieren einzig und streng nch einem vorgegebenen, angeborenen Muster, ihrem sog. Instinkt. Genau hier kann man erkennen, inwieweit ein Mensch sich von den Tieren unterscheidet, angeboren oder nicht...
Wie Du selbst sagst, ist der Absturz in das Aussenseitertum nur schwer wieder rückgängig zu machen; die meisten schaffen es nie. Kein Wunder, wenn man ihnen keine Chance gibt!
Mir selbst ist es passiert, dass ich am Rande dieses Abgrundes stand vor vielen Jahren. Nach einer Scheidung wurde ich zu Unterhaltszahlungen verurteilt, die mir nachweislich ein monatliches Minus von 40 DM bescherten, und dies, obwohl ich die Scheidungskosten zu tragen und eine Menge Schulden zu bewältigen hatte. Weiterzuarbeiten machte keinen Sinn mehr und ich stand vor der Entscheidung, zu kämpfen oder den Job an den Nagel zu hängen und abzustürzen. Mir graut vor der Vorstellung, was passiert wäre, wenn meine zwei Kinder nicht gewesen wären. Ihretwegen habe ich gekämpft und gewonnen; das Urteil wurde geändert.
Nur ein Beispiel, das Jenen, die vorurteilbeladen urteilen, zeigen soll, dass in den meisten Fällen Schicksalsschläge, die das Leben von heut auf Morgen brutal verändern können, hinter diesen leidgeprüften Menschen stehen und nicht arbeitsunwillige Schmarotzer, die sich der Trunksucht ergeben haben.
Natürlich gibt es auch Jene, die sich am Rande der Gesellschaft auf dem bequemsten Weg durchs Leben mogeln, meist auf Kosten der Anderen. Aber ich glaube, das sind die Ausnahmen von einer traurigen Regel unseres menschlichen Zusammenlebens.
Nochmals danke für Deine Hinweise! Das "Tam-en" war hier übrigens anschaulicher, als das X-en.
Mit einem herzlichen Gruß an Dich!
Galapapa

-------------------------------------------------------------------------------

Edit:

Hallo Stimme,

Deine Anregungen habe ich nun versucht umzusetzen in einer zweiten Fassung des Textes, die ich über die ursprüngliche stellen werde.
Nochmals danke und herzlichen Gruß!
Galapapa

Geändert von Stimme der Zeit (16.07.2011 um 13:44 Uhr) Grund: Doppelter Beitrag.
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Alt 16.07.2011, 13:48   #6
Stimme der Zeit
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Hallo, Galapapa,

ich habe deine beiden Beiträge zusammengeführt. Wenn in der Zwischenzeit eine andere Antwort erfolgt wäre, hättest du natürlich separat antworten können. Aber um auch unbeabsichtigtes Pushing von eigenen Werken zu vermeiden, benutze in Fällen wie diesem hier bitte künftig den "Ändern"-Button, und füge eine Ergänzung dem vorherigen Beitrag hinzu.

LG

Stimme/Mod
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Geändert von Stimme der Zeit (16.07.2011 um 13:50 Uhr)
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