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Liebesträume Liebe und Romantik

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Alt 05.01.2016, 16:52   #1
charis
/ Bil-ly /
 
Registriert seit: 02.10.2015
Beiträge: 435
Standard Brief an den Liebsten (oder elfter Grad)

Prolog
Keine Antwort? Auf jede Frage folgt nur die nächste?
Schreiben hat keinen Sinn, Antworten lohnen sich nicht.
Nein, nur der ewig rauschende Tanz mit dem schrecklichen Engel,
stürmisch verzücktes Gefühl: Springen und fallen - ins Nichts!

I.
Tief war ich gefallen und dachte an Handkes Beschimpfung:
Einen Augenblick Wachheit, erniedrigt, ganz klein?
Nein!? Ihr fühlt euch erhöht - Gegröle, Begeisterungsrufe.
Armselig, sinn-loses Pack! Spuckt er euch Zorn ins Gesicht,
träumt ihr vom Geist des Genies, berührt euch das Schöne und Reine,
wühlt ihr willig im Müll, fresst auch noch gierig den Dreck.

II.
Langsam wächst die Lache aus Blut, es ist still und die Kälte
nimmt Gestalt an, lacht höhnisch und setzt sich zu mir.
Geister betreten die Bühne, erzählen: Weißt du noch, damals?:
Dieses einsame Haus, düster im schattigen Tal.
Winterlich starre Baumgerippe bewehrten es dräuend,
Stille schien absolut, greifbar, wie Honig so zäh.
Mein Gefängnis war warm, doch waren die Fenster vergittert.
Denke bloß nicht an Flucht, niemand entkommt dem Verlies!

III.
… wie der Schnee einst fiel?: Behäbig torkelnde Flocken -
schweres kristallenes Weiß – fanden den richtigen Platz.
Strenge Konturen lösten sich auf, und ein lichtes Geflimmer
wandelte leeres Geäst magisch in zärtliche Wunder.
Weiße Schmetterlinge, die Boten des sterbenden Vaters.
Wer soll ihn fürchten, den Tod? Trügt uns ein Engelsgesicht?
Nein! Gelassen pumpte mein Herz das Blut aus den Adern -
Lider bedeckt vom Schnee; trübes Bewusstsein erlosch.

IV.
Splitter zerbrochener Zähne, sie hängen noch immer in Seilen.
Wo bist du, der mich hielt? Blutete ich nicht für dich?
Deine Seele, so schön wie verletzt, so stehst du am Abgrund.
Niemand bot dir je Halt. Kindlicher Schätze beraubt
machte die Nähe dir Angst. Die Engel erbarmten sich niemals:
Liebe im elften Grad scheitert, sie stürzt und erfriert.

Epilog
Über die Liebe wollte ich schreiben und schreibe von … was nur?
Träte der Erzengel jetzt, der gefährliche, hinter den Sternen
eines Schrittes nur nieder und herwärts: hochauf-
schlagend erschlüg uns das eigene Herz. Wer seid ihr?
*)
Kennte das Herz nur die Angst, Liebster, es schlüge nicht mehr!




*) Rilke aus Duiniser Elegien „Die zweite Elegie“

Geändert von charis (16.01.2016 um 15:02 Uhr)
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Alt 11.01.2016, 01:35   #2
Lailany
Kiwifrüchtchen
 
Benutzerbild von Lailany
 
Registriert seit: 23.05.2009
Ort: nördlich von Auckland/Neuseeland
Beiträge: 945
Beitrag

So, liebe Charis,
warum hat sich hier noch niemand getraut?
Nun, dann mache ich mich da mal ran, vor allem deswegen, weil es von der Sprachwahl her genau meine Kragenweite ist, sowie auch von der Dramatik des Inhaltes.
Zum Handwerk kann ich hier nichts beitragen, da ich von den griechischen Formen nichts verstehe.
Zum Inhalt: Der Titel sagte mir erstmal nichts, aber was ich sonst schon von dir gelesen habe, verriet mir: Charis denkt/dachte sich dabei was und manchmal bin ich eben stur genug, etwas unbedingt wissen zu wollen. So auch hier.
Daher bemühte ich nach langem, einsamem Grübeln Tante Google, was denn, ausser denen, die jedes Kind kennt, sonst noch alles in "Graden" angegeben wird. Und bin ua auf die Schwierigkeitsgrade beim Klettern gestoßen.
AHA! Und auf ging der Knopf! Im Kopf (hoffe ich).

Also scheint es sich bei den Protagonisten um zwei Kletterer zu handeln, nicht die, die auf und über Hinkelsteine klettern. 11. Grad ist schon ernsthaftes profimäßiges Klettern.

Prolog und S1 deute ich so, dass sich das Protagonistenpaar, in ihrer gemeinsamen Liebe zum Berg, zum Hobby plötzlich, weit dort oben, in einer lebensgefährlichen Situation findet.
Hier spricht sozusagen der Berg, der ihnen, um es sehr einfach auszudrücken, zeigt/deutlich macht, wer hier der Herr ist.
Auch, wenn die beiden sich der Herausforderung und damit verbundenen Gefahren vorher sehr wohl bewusst waren (den 11.Grad legt man sich nicht einfach so auf den Teller, weil einem danach ist, so grad mal zwischen Frühstück zubereiten und Staubsaugen...), die beiden gingen die Risiken ein.
Und ich weiß (nicht aus eigener Erfahrung), dass Bergsteigen zu einer "Sucht" werden kann, Kletterer nehmen die damit verbunden Risiken in Kauf, für das Gipfelglück, die Euphorie, IHN bezwungen zu haben.
Und dann passiert es: einer unserer beiden Protagonisten - sie - stürzt ab.
Der "Herr" verhöhnt sie.

S2:
Das LI ist verletzt, verliert Blut, und ist in einem Stadium zwischen Bewusst- und Unterbewusstsein.
Z 7 und 8 beschreibt das Gefühls des "sich fallen lassen", der warmen, leichten, alles umfangenden Ohnmacht, daraus der sichere Tod wird, kämpft sie nicht dagegen an. Er macht ihr in dem Moment keine Angst, sie verspürt mehr Todessehnsucht als Überlebenswillen. "vergitterte Fenster": Ich sollte/müsste zwar raus, kann es aber nicht, ist mir auch zu anstrengend. Auch eine Stimme ist da, die mir sagt... du schaffst es sowieso nicht. Egal... es kümmert mich auch nicht.... ich lasse los...

S3: wunderbar beschrieben... LI gibt und ergibt sich willig dem Tod.
Huch... mein absolutes Highlight!!!

S4: LI wacht auf. Ihre Verletzungen spielen keine ROlle in dem Moment, sie sieht sich nach dem Klettnerpartner um, der sie gerettet hat. Sie liebt ihn, sie liebte ihn schon lange, vllt hat sie sich auch nur dieser Liebe wegen auf das Kletterabenteuer eingelassen, um für ihn ein ganz besonderes Zeichen der Gemeinsamkeit/Verbundenheit zu setzen.
Er wusste nichts von ihrer Liebe. Vllt hat er sie geahnt und konnte/wollte sie nicht annehmen und erwidern.
Vmtl wurde ihm jetzt, in dieser schrecklichen Situation klar, dass er sie auch liebt, bzw wie sehr er sie liebt. Das machte ihm Angst, er weist sie von sich. Warum? Darüber kann sich der Leser seine eigenen Schlüsse machen.
Ein Anhaltspunkt dafür könnte in seiner Vergangenheit zu finden sein: verletzt, kindlicher Schätze beraubt usw würden darauf hindeuten.
Er liebte sie auf seine Art, aber sie war für ihn auch ein Kletterpartner und als solchem hätte er fraglos jedem geholfen.
Und genau in dieser Situation, hoch droben am Berg wird es beiden, jedem für sich, sonnenklar, dass es kein Gemeinsam geben wird/kann.

Epilog: hier verlierst du mich, liebe Charis... der erschließt sich mir nicht.

Bin ich so komplett daneben gelegen? Ist es darum? Oder hab ich mich unterwegs irgendwo verirrt?
Nun, ich werds wohl erst dann wissen, wenn deine Antwort hier ist. Und die erwarte ich mit Spannung!
Ich hoffe, meine Gedankengänge machen Sinn, die Gedankenfülle überfordert manchmal die Tippselfinger. Ich schreib zwar sehr schnell und mit allen 10en, aber mehr hab ich leider nicht, was mich hin und wieder sehr verdrießt.

Sehr sehr gern gelesen und mich damit beschäftigt.

HG von Lai







S2
__________________
.................................................. ...........................................
"Manchmal ist es so demütigend, ein Mensch sein zu müssen..." Erich Kykal

Geändert von Lailany (11.01.2016 um 06:27 Uhr)
Lailany ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.01.2016, 20:48   #3
charis
/ Bil-ly /
 
Registriert seit: 02.10.2015
Beiträge: 435
Standard

Liebe Lai,

Ich dachte schon, es würde niemand etwas dazu sagen wollen, was mich nicht gewundert hätte, denn der Text ist ziemlich schräg.

Aber ich gebe zu, ich wäre doch ein bisschen traurig gewesen, weil es nicht ganz so einfach war, diesen Text zu schreiben, sowohl was die Geschichte selbst als auch die Distichenarbeit betrifft - die noch nicht abgeschlossen ist; ich bin ja noch Anfängerin in diesem Metier.

Ich werde also weiter daran arbeiten. Ich habe so die fixe Idee, die Distichen in die Gegenwart zu holen, sie mit "Prosa-Sprache" und zeitgemäßen Inhalten zu verbinden, ohne Recht zu wissen, was das nun wirklich bedeuten bzw. wohin das führen könnte. Hier habe ich einfach versucht, ein wenig mit "alt" und "neu" zu spielen.

Der Inhalt ist also ein zeitgemäßer; es geht um einen Kletterunfall und in diesem Zusammenhang um eine Nahtoderfahrung des LI, um die sich allerlei anderes rankt.

Besser als du hätte ich es selbst auch kaum "erklären" können.

Der Epilog ist eigentlich ganz einfach: Die Gestürzte schreibt dem Ex-Geliebten, ihren Kletterpartner und Lebensretter, aber irgendwie ist ihr das Ganze ein wenig entglitten.

Das Rilke Zitat verwende ich hier im Kontext - anders als Rilke, denke ich - als eine Anspielung auf die "Gefährlichkeit großer Gefühle" - der Liebe: "Träte der Erzengel jetzt, der gefährliche, hinter den Sternen eines Schrittes nur nieder und herwärts: hochauf-schlagend erschlüg uns das eigene Herz." "Wer seid ihr?", ist als direkte Frage an den Leser gedacht, um letztlich doch noch Mut zu machen: Nur die Angst lässt uns wirklich sterben, sprich: lebendig tot sein.

Man muss wohl das hier miteinbeziehen:
http://rainer-maria-rilke.de/110002elegie.html
Dieses Werk von Rilke hat mich inspiriert, oder besser: Aus der Stimmung heraus, die diese Elegie bei mir ausgelöst hat, ist mein Text entstanden.

Du hast mir (dank deiner Hartnäckigkeit ) jedenfalls eine große Freude gemacht! Herzlichen Dank!

Lieben Gruß
charis

Geändert von charis (11.01.2016 um 20:52 Uhr)
charis ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.01.2016, 21:10   #4
Chavali
ADäquat
 
Benutzerbild von Chavali
 
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Mitteldeutschland
Beiträge: 13.001
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Liebe charis,

ich gebe zu, auch ich bin um deinen Text herumgeschlichen, fand ihn sehr tiefgehend geschrieben - wusste aber mir keinen Reim
darauf zu machen.
Erst Lais Kommentar - den ich sehr bewundere, weil sie sich so rein gekniet hat in die Materie - hat mir die Augen geöffnet und
erst da bin ich auf die Idee gekommen, auch mal den elften Grad zu recherchieren.

Eure Beiträge taten ein übriges und unter diesem Aspekt bekommt der Text ein Kolorit, der einen schauern macht.
Positiv natürlich von der Schreibgestaltung her - traurig allerdings vom Inhalt.
So sollen Texte sein, die berühren.

Und das hat er getan - mich.

Was die Technik betrifft - den (das?) Hexameter - ich finde das sehr schwer und ich hab das noch
niemals versucht, auch, weil mir die Geduld dazu fehlt


Lieben Gruß,
Chavali
__________________
.
© auf alle meine Texte
Die Zeit heilt keine Wunden, man gewöhnt sich nur an den Schmerz

*
Chavali ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.01.2016, 11:26   #5
juli
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard

Hallo charis
Als Lai noch keinen Kommentar geschrieben hatte, bin ich schon um dein Gedicht herumgeschlichen. Lai hat die Nuss geknackt, und du hast dein Gedicht erklärt. Dann sind meine Schuppen von den Augen gefallen, und mir hat sich die ganze Tragik und dein Sprachtalent erschlossen. Am liebsten lese ich die S. III und IV. Die Form ist sehr schwer, ich habe mich noch nie an sie herangetraut, dafür hast du meine Bewunderung.

Sehr gerne gelesen, ich bin fasziniert von deinen Bildern, deiner Kreativität und deinem Wissensdurst.

Liebe Grüße sy

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Alt 13.01.2016, 17:54   #6
charis
/ Bil-ly /
 
Registriert seit: 02.10.2015
Beiträge: 435
Standard

Liebe Chavali, liebe Syriane,

Ich finde es ja sehr lieb von euch, dass ihr nicht wollt, dass ich traurig bin, weil keiner kommentiert. Aber übertreiben müsst ihr dann auch wieder nicht, denn sonst werde ich übermütig und glaube tatsächlich noch an mich

Nein, Spaß beiseite, ich habe mich richtig gefreut und danke euch herzlich, dass ihr diesen Text so positiv beurteilt und vor allem aber, dass ihr mit mir diese Zeilen mitgefühlt habt.

Lieben Gruß
charis
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