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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

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Alt 11.12.2011, 12:17   #1
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Registriert seit: 18.02.2009
Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
Standard Wintergedanken

So manchen Weges bin ich hier gegangen,
als alles grünte, wuchs und frisch erblühte,
und manch Gedanken hab ich nachgehangen
an jene Zeit des Stillstands und der Stille
die alles bald, was über's Jahr sich mühte,
entwerden lässt wie ein bewußter Wille.

Die Bäume rauschten einst vor grünem Leben
und wisperten von Sommer und von Frucht.
Dort hinten hing verheißungsvoll an Reben
ein Werden süßer Trauben in der Lüften,
und einer Wiese windgewiegte Flucht
erfüllte mich mit frischen Blütendüften.

Erstarrt sind Wald nun und die dürren Wiesen,
Gewirr im Unterholz der wilde Wein.
Gefangen in den frostigen Verliesen
von Eis und Schnee versucht ein schmales Wasser
nicht ganz gefroren und erstarrt zu sein,
und rinnt doch, vage murmelnd, immer blasser.

So manchen Weges bin ich hier gegangen,
sah vieler Jahre Werden und Vergehen,
und fühlte zärtlich mich dabei umfangen
von einer Einsicht, die mich sanft belehrte:
Ob wir ein Blühen, ein Verblassen sehen -
zu danken bleibt der Zeit, die es gewährte.
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (25.08.2019 um 18:48 Uhr)
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Alt 11.12.2011, 12:56   #2
fee
asphaltwaldwesen
 
Registriert seit: 31.03.2009
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Beiträge: 961
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ein sanft-fließendes, wunderschönes gedicht vom werden und dem kreislauf von erblühen und welken, lieber erich!


wie du es stets so locker-flüssig hinbekommst, dass einen die worte durch den text wiegen und ihre bilder ganz von selbst entfalten, bewundere ich immer wieder. ich vermute, es liegt daran, dass du aus einem (mir auffallenden) großen wortschatz schöpfst, der unnötig macht, sätze zu verbiegen, um sie in einen sinn zu zwingen.

echt toll und immer wieder ein vergnügen zu lesen!


liebe grüße

fee
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Alt 11.12.2011, 16:16   #3
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Registriert seit: 18.02.2009
Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
Standard

Hi, fee!

Vielen Dank für deinen freundlichen Beitrag!

Zu meinem Wortschatz: Vergleiche ich ihn mit dem Volumen eines Rilke oder Goethe, nimmt er sich wohl eher bescheiden aus.
Mein Vater hat meine Kindheit mit Hörspielen auf Schallplatte gepflastert, so ging mir ein großer Sprachreichtum quasi merk- und mühelos ins Ohr, vor allem das ältere Deutsch der Märchen und Sagen, eines Goethe und anderer Klassiker.

LG, eKy
__________________
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Alt 11.12.2011, 16:18   #4
wüstenvogel
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Ort: Wetzlar/Hessen
Beiträge: 446
Standard Wintergedanken

Hallo Erich,

ich möchte mich meiner Vorrednerin anschließen:
Ein wunderschönes, leicht melancholisches, der Jahreszeit angemessenes
Gedicht!

Man kann, wenn man sich auf dein Gedicht einlässt, dich mühelos bei deinem
(Spazier-)Gang durch die Jahreszeiten begleiten.

Du hast das "Wesen des Seins" (Definition für Natur, habe ich irgendwo mal gelesen), das Werden und Vergehen, ausdrucksstark beschrieben.

Poesie in ihrer reinsten Form!

Liebe Grüße

Wüstenvogel
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Alt 11.12.2011, 16:28   #5
Stimme der Zeit
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Beiträge: 1.836
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Hallo, eKy,

das ist wirklich ein schönes Wintergedicht. Ganz frei von "dunklen Gedanken", es "plätschert" beim Lesen wie der im Gedicht erwähnte Bach "dahin". Nicht sorglos, durchaus gedankenvoll, aber auch erfüllt von einer gewissen "Leichtigkeit", die ich vielleicht eher "ruhige Akzeptanz" nennen möchte.

Für mich hält hier im Gedicht ein LI einen "Rückblick". Dieser bezieht sich auf die Jahreszeiten, aber vor allem auch auf dessen Leben. Das "Werden und Vergehen" wird ruhig, geradezu friedvoll zur Kenntnis genommen und, als ein Teil des Kreislaufs der Natur, wird die eigene Vergänglichkeit auch als etwas "Natürliches" betrachtet.

In dem kleinen Bach, der sich bemüht, nicht selbst zu einem "Eingefrorenen" zu werden, sieht das LI wohl auch einen Teil von sich selbst.

Zitat:
Ob wir ein Werden oder ein Vergehen sehn -
Stets ist es unser Sein, das es gewährte.
Die Conclusio gefällt mir (persönlich) am besten. Ja, das trifft vollkommen zu. Nur dadurch, dass wir sind, können wir das Werden und Vergehen überhaupt erst wahrnehmen. Weil wir leben, nehmen wir wahr - und weil wir wahrnehmen, leben wir. Auch das ist ein Kreis - im Kreislauf der Natur.

Formal ist es ein lebendiges Reimschema (abacbc), das durch den fünfhebigen Jambus wieder etwas verlangsamt wird, so dass es beim Lesen in "gemessenem Tempo" vorangeht. Auch "kehrt" hier das "Ende" zum "Anfang" zurück, indem sich in der ersten und der letzten Strophe der erste Vers wiederholt - auch hier "schließt sich der Kreis".

Das Reimschema hat auch Anklänge an Terzinenreime, da jede Strophe aus 6 Versen (also 2 x 3) besteht. Mit dem Unterschied natürlich, dass sich hier der jeweils "mittlere" Vers mit dem nächsten reimt. Ein schönes Muster.

In Strophe 2 ist dir mit den Endreimen sogar eine kleine "Besonderheit" gelungen, die ich gerne noch aufzeigen möchte:

Leben - Frucht - Reben
Luft - Flucht - Duft

Hier "umarmt" die Rebe (das Wachstum) gemeinsam mit dem Leben die "Frucht" und ebenso die Luft den "flüchtigen" Duft. Das ergibt ein schönes Bild!

Das Metrum ist übrigens gut, ich habe nichts zu "bemäkeln". Mir kam nur ein Gedanke, der mit irgendeinem "Fehler" wirklich gar nichts zu tun hat, es ist nur so eine "Idee":

Zitat:
entwerden lässt wie ein bewußter Wille.
"'Entwerden" ist eine Wortschöpfung, die dir sicher gefällt - aber ich würde, um auch hier den "Kreis" von der ersten zur letzten Strophe zu "schließen", vielleicht doch "vergehen" in Betracht ziehen. Das ist aber, wie gesagt, kein Vorschlag, nur so ein Gedanke, der mir beim Lesen kam.

Gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße

Stimme
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Im Forum findet sich in unserer "Eiland-Bibliothek" jetzt ein "Virtueller Schiller-Salon" mit einer Einladung zur "Offenen Tafel".

Dieser Salon entstammt einer Idee von unserem Forenmitglied Thomas, der sich über jeden Beitrag sehr freuen würde.


Stimme der Zeit ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.12.2011, 16:49   #6
a.c.larin
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hallo erich,
da seh ich ihn doch glatt spazierengehen den dichter: auf seiner täglichen runde ums haus oder rund um sein dorf.....
und mit der erinnerung an vergangene jahreszeiten im gepäck überzieht er die winterkarge landschaft dennoch mit wortreich bebilderter buntheit -
ein "echter kykal", halt! (name bürgt für qualität)

einzig und allein die conclusio stellt mich nicht zufrieden.
ich bin da ganz anderer ansicht: unser sein gewährt der natur gar nichts.
ich denke, das ist doch eher umgekehrt: das so-seiende gewährt uns etwas.
und das tut es, und zwar unabhängig davon, ob wir tölpel das überhaupt mitkriegen oder nicht ( meistens wohl eher nicht. )

im hamsterrrad der alltäglichkweiten steckend ist das ja auch gar nicht immer möglich.
gerade darum hat so ein winterspaziergang auch etwas befreiendes an sich.



Manch eines Weges bin ich hier gegangen,
ich schau zurück und mit vertrautem Sinn
erkenne ich: So hat es angefangen,
so trieb es weiter mich, all mein Verlangen:
Nun bin ich selbst der Weg, den ich gegangen bin!


allergernst gelesen,
larin
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Cogito dichto sum - ich dichte, also bin ich!
a.c.larin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.12.2011, 17:52   #7
Erich Kykal
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Hi, wüstenvogel!

Danke für die Blumen!

Hi, Stimme!

Danke für deine ausführliche - und richtige - Analyse! Einzig den "Umarmungsgedanken" kann ich nicht nachvollziehen, denn "Luft" und "Duft" umarmen "Flucht" - das passt nicht ins Bild. Oder verstehe ich da etwas falsch?

Das "entwerden" würde ich gern behalten - es gefällt mir einfach zu gut!

Die Conclusio hab ich noch etwas umgeschrieben, weil in Z2 dieser Str. "Werden und Vergehn" bereits vorkommen, und ich wollte eine Wiederholung vermeiden.

Hi, Larin!

Ich fürchte, du hast meine Conclusio missdeutet:
Unser Sein gewährt UNS, all das zu sehen - das Werden wie das Vergehn! So ist es gemeint, so ist es geschrieben.

Deine Endstrophe ist wunderbar gedichtet und wirklich gut - da würd ich an deiner Stelle was eigenes draus machen! Hier, fürchte ich, passt es schon deshalb nicht, weil es sich um einen 5-Zeiler handelt, der ein anderes Reimschema hat als der Rest - und ich bin, was das angeht, eher pingelig. Nix für ungut!


LG euch allen!

LG, eKy
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Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.12.2011, 18:35   #8
a.c.larin
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lieber erich,

jetzt, wo du's noch mal erklärt hats, versteh ichs auch - nur für michm leist es sich halt nicht direkt aus dem gedicht heraus.


mein fünfzeiler war übrigesn niemals als vorschlag für dein gedicht gemeint -sondern ist nur das das echo deiner worte in mir!
(weil die erste zeile deines gedichtes so eine ganz besonders schöne melodie hat, finde ich.)

ja, könnte vielleicht daraus noch was eigenes werden - so eine art "parallelgedicht". mal sehen.
etwa so:
wunderbares wandern - wanderbare wunder!

liebe grüße, frühwinterlich,
larin
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Cogito dichto sum - ich dichte, also bin ich!
a.c.larin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.12.2011, 19:48   #9
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Ähh...nebenbei, deine letzte Zeile ist falsch formuliert:
Cogito, ergo sum. Ich denke, also bin ich.

Dichto, ergo sum. Ich dichte, also bin ich. (ironisch)

Du schreibst aber: Cogito, dichto sum. Ich denke, dichte bin ich. Du ersetzt fälschlicherweise das "ergo" durch "dichto", das "also". DAS kann ich natürlich nicht so stehenlassen! (Hähä - erwischt! Minus, setzen!)

LG, eKy (mit rauchendem Colt...)
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