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Finstere Nacht Trauer und Düsteres

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Alt 30.03.2012, 14:16   #1
Thomas
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Kız kulesi

Es sitzen drei Vögel in Trauer,
wie Schemen, wie Schatten, wie Traum,
im Moos auf der Friedhofsmauer,
du hörest ihr Klagelied kaum.

Die Taube, die saß auf dem Steine,
die Lerche, sie saß nah dabei,
der Falke saß abseits alleine,
als ob er ein Fremdling ihr sei.

Die Taube betrauert den Jüngling,
der liebte ein Mädchen so sehr,
wie Lerchengesänge im Frühling,
und sie liebte ihn noch viel mehr.

Der Vater, erzürnt ob der Schande,
der schlug seine Tochter und sprach:
'Dein Bruder zieht jetzt in die Lande
und rächt die Familienschmach!'

Als dieser den Jüngling erschlagen,
da klagte die Lerche so bang.
Das Mädchen mit Weinen und Klagen
vom Felsen dem Liebsten nachsprang.

Der Bruder, er wurde gefangen,
gebracht ins Gefängnis hinein,
dort hat er sich aufgehangen.
Er wurde so traurig allein.

Zur Schwester wollte er gehen,
wo sie mit dem Jüngling nun weilt,
und bitten, sie soll ihn verstehen.
Der Falke sitzt abseits und weint.

Es sitzen drei Vögel in Trauer,
wie Schatten aus finsterer Zeit,
im Moos auf der Friedhofsmauer.
Zwei Mütter tragen ihr Leid.


Melodie: Es waren zwei Königskinder


Dieses Gedicht ist ein Versuch einer deutsch-türkischen 'poetischen Berührung'.

Der Kız kulesi (Mädchenturm) befindet sich im Bosporus, um ihn rankt sich in der Türkei ein rührendes Märchen von einem Vater, der seine Tochter vergeblich versucht zu schützen, indem er sie in dem Turm verwahrt.

Die deutsche Bezeichnung Leanderturm erinnert an die Antike Fabel von Hero und Leander, die dem bekannten Volklied 'Es waren zwei Königskinder' zugrunde liegt.

Geändert von Thomas (30.03.2012 um 14:33 Uhr)
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Alt 01.04.2012, 12:20   #2
a.c.larin
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lieber thomas,
ich hab mir doch gleich gedacht, dass hier irgendetwas türkisches verborgen ist....( das i ohne punkt im titel hat es mir verraten

da ist dir ein kleines, feines gedichtlein gelungen.
den liedcharakter, das volksliedhafte merkt man ihm sehr an.

hinter der schlichtheit der zeilen verbrigt sich eine wahre tragödie:
vereitelte liebe, aus motiven der ehre / schande und der rache, des familienzwistes heraus entstanden!
traurig, aber wahr.
und so geht es auch zu herzen!

oder, um es mit einem anderen lied zu sagen:
wann wird man je verstehn?

liebe grüße, larin
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Cogito dichto sum - ich dichte, also bin ich!
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Alt 01.04.2012, 18:21   #3
Thomas
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Liebe Larin,

dein Kommentar freut mich sehr. Was du nicht wissen kannst ist, dass du und fee an dem Gedichtlein 'Mitschuld' tragen. Die Idee ist mir nämlich durch fees volkstümliche Ballade 'Rapunzel und Quendel' und deinen sehr interessanten Kommentar dazu gekommen.

Liebe Grüße
Thomas
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Alt 02.04.2012, 10:31   #4
fee
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so. jetzt drück ich mich schon seit tagen um einen kommentar zu der ballade rum, lieber thomas.....

und zwar, weil ich sie als sehr vermischt empfinde. und die ersten drei strophen sind tatsächlich ein wunderschönes lied und führen einen direkt hinein in die welt des erzählers. und dann kommt für mein empfinden in S4 ein bruch, der mich zwingt, mich umzuorientieren. grad noch warens vögel - schon klar, als platzhalter natürlich. plötzlich ein vater (wessen?) und schande - was war geschehen? der titel legt es nahe, dennoch: ich muss tatsächlich erst nochmal zurück zu S2, um mir auszuknobeln, wer jetzt wer ist. ich würde mir von einer ballade den komfort wünschen, alles "ausgedeutscht" vorgesetzt zu bekommen - erzählt eben und nicht bloß angedeutet bzw. so stark verdichtet. das scheint mir hier widersprüchlich zu wirken mit den "zusammenfassend wirkenden" strophen vier bis sechs und denen, wo die dramatik angedeutet und für mein gefühl eine erzählung "vorbereitet" wird. mag aber ev. auch an meiner ganz persönlichen erwartungshaltung an eine ballade liegen und an der doch sehr erzählerischen einleitung deiner ballade.

Zitat:
Zitat von Thomas Beitrag anzeigen
Als dieser den Jüngling erschlagen,
da klagte die Lerche so bang.
Das Mädchen mit Weinen und Klagen
vom Felsen dem Liebsten nachsprang.
xXxxXxXx
das sperrt metrisch dann doch sehr. nachsprang auf der letzten silbe betont lesen zu sollen, weil die metrik es erzwingt, legt sich für mein ohr dann doch quer. und wenn man es natürlich betont liest, wie das wort es nun mal erzwingt, geht es auch nicht.

eine umstellung vielleicht? (ich hab jetzt eine weile probiert, aber nichts brauchbares als vorschlag zustande gebracht). andererseits - als lied gesungen fällt die stelle vermutlich nicht ins gewicht, weil da die betonung ohnehin melodie und takt folgt und das metrum überlagert.

zurück zu dem, was mich so zwiegespalten macht. ich kanns nämlich nicht ganz fassen, will es aber versuchen, denn wenn man schon meckert, sollte man es auch begründen.

für mich beginnt es in dieser strophe:

Zitat:
Der Vater, erzürnt ob der Schande,
der schlug seine Tochter und sprach:
'Dein Bruder zieht jetzt in die Lande
und rächt die Familienschmach!'
die schande - ich hätte sie gerne durch mehr als den titel des gedichtes begründet - erzählerisch sozusagen. und seis auch nur die andeutung der "verbotenen/schändlichen liebe" oder sowas. und muss der vater die tochter auch noch schlagen? das will mir hier zuviel - ist es nicht schlimm genug, was der bruder auf seinen befehl hin tun wird? dieses vollpacken mit "allem", was da so kulturbarrierenbedingt bitter aufstößt, wirkt zu gewollt für mich und dann wirds - obwohl es das nicht verdient hat - zum klischee. für die geschichte hier ist es jedenfalls nicht von bedeutung, behaupte ich.

und wenn du dem bruder, der selbst an dieser familienehre zerbricht und sich - zwischen den kulturen alleingelassen und verloren fühlend - erhängt, eine strophe widmest, solltest du das mE auch der tat an sich. nicht, dass ich grausame einzelheiten lesen wollte. iwo. aber vielleicht ein "tun" - mit der andeutung der fehlgeleiteten gefühle dabei oder dem, was dieser befehl eigentlich mit dem bruder macht... irgendsowas.

deine ballade wechselt mir zwischen erzähltem und "vorausgesetztem" zu oft hin und her. das wirkt auf mich, als würden teile fehlen und man durch andeutungen in den folgenden strophen überhaupt erst darauf aufmerksam gemacht... ich hab ständig den drang zurückzublättern, ob ich nicht etwas überlesen habe. so fühlt es sich für mich an. ich hoffe, es ist halbwegs klar, was ich meine.


die letzten beiden strophen - wie auch die ersten drei : ein traum! wunderbar melodisch und stimmig. ich würd mir für den eigentlichen geschichtenteil ähnliches wünschen. vor allem die erzählung der geschichte. auch, wenn ich vermute, das ist nicht deine intention für die ballade bzw. widerstrebt dir. sonst hättest du es ja sicherlich so gemacht. dennoch - mir fehlt etwas.

dennoch gerne gelesen. und ich freu mich, wenn die ballade wieder ein wenig hochgehalten wird. die wird viel zu selten "bemüht".


lg

fee
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Geändert von fee (02.04.2012 um 10:34 Uhr)
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Alt 07.04.2012, 18:26   #5
fee
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Zitat:
zitat larin:
vom Felsen dem Liebsten nachsprang

wäre beim singen durch eine melodie sofort metrisch entschärft
ja, das hatte ich so auch schon als vermutung angemerkt. wenn larin es hier bestätigt, wird es wohl auch so stimmen und das problem wäre nur eins, wenn es als lese-gedicht gemeint wäre.
Zitat:
Zitat von fee Beitrag anzeigen
andererseits - als lied gesungen fällt die stelle vermutlich nicht ins gewicht, weil da die betonung ohnehin melodie und takt folgt und das metrum überlagert.
also alles halb so wild.

schönes osterfest!!!!


herzlichst

fee
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Alt 09.04.2012, 20:59   #6
Thomas
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Liebe fee,

schön, dass du es jetzt milder siehst. Wie gesagt. Ich bin mit dem 'nachsprang' auch nicht ganz glücklich, aber ich finde in der Kürze nichts besseres.

Liebe Grüße
Thomas
Thomas ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.04.2012, 10:46   #7
Thomas
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Liebe fee,

es ist gar nicht einfach auf deine Kritik zu antworten, weil es ja stimmt, was du sagst. Am einfachsten ist das technische Problem mit der Tonbeugung bei 'nachspringen', die ist mir bewusst. Sie ist nicht Absicht, aber ich habe sie nicht wegbekommen. Es muss deutlich werden, dass das Mädchen nicht einfach nur Liebeskummer hat, sondern zu ihrem toten Geliebte möchte, was durch die Zurückweisung in der Familie verstärkt wird. Ein anderes technisches Problem ist das Wort 'aufgehangen', das passt zwar ins Metrum, aber ich bin mit dem Wort nicht ganz glücklich.

Was soll ich nun auf deinen Vorwurf des Klischeehaften sagen? Eigentlich will ich genau das nicht, und das mit den Schlägen des Vaters habe ich sogar aus Verhältnissen in Deutschland genommen. Es leben noch nicht wenige Frauen, die von ihren Vätern geschlagen wurden, weil sie es gewagt hatten, sich zu schminken, oder weil sie sich mit dem Freund getroffen haben und nachts nicht rechtzeitig nachhause kamen. An diese archaischen zustände bei uns habe ich gedacht. Das war natürlich vor den 68ern, aber so ewig lange ist das noch nicht her, jedenfalls nicht, bezogen aus das Zeitmaß der Abläufe in Kulturen. Und auch damals haben die Väter in großer Hilflosigkeit versucht, ihre Töchter zu bewahren, genau wie der Sultan, der seine Tochter im Kız kulesi einsperrte, um sie vor dem Tod durch Gift zu bewahren, und nicht verhindern konnte, dass sie von einer Schlagen gebissen wurde und starb.

Das Tragische ist doch, dass eine gesellschaftliche Norm, wie eine Naturgewalt (z.B. ein Berg für den Jüngling, der seiner Geliebten Blumen holt) wirkt. Eine althergebrachte Norm, die eigentlich schützen sollte, aber in einer Zeit, in der sich die Welt verändert hat, wird zerstörerisch. Im Grunde habe ich das Gedicht für Türken, die in Deutschland leben, geschrieben.

Auch deine Kritik an dem 'hin und her' ist berechtigt, und wenn es ein reines 'Erzählgedicht' wäre, dann wäre das auch sehr falsch. Es ist aber eigentlich ein Lied, in dem mehrerer Ebenen verwoben sind.

Das schreibe ich jetzt nicht als Antwort oder gar Widerlegung deiner Argumente, sondern als Erklärung. Eine Erklärung sollte eigentlich nicht nötig sein, deshalb muss ich mir noch einige ernsthafte Gedanken machen. Vielen Dank für die Anregung.

Liebe Grüße
Thomas
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Alt 06.04.2012, 20:00   #8
a.c.larin
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hmmm,

jetzt habe ich fees kommentar noch mal nachgelesen und mich erinnert -also ja doch, ich brauchte auch zwei anläufe , um zu wissen, wer jetzt wer ist in dem gedicht.
mich hat das nur nicht sehr gestört.
das kommt ja doch öfter vor, das man erst beim zweiten durchgang wirklich eintaucht in einen text.

klischeehaft habe ich ihn aber nicht empfunden, ich denke nämlich, dass die von dir beschriebene situation weniger klischee denn bittere wahrheit ist in so manchen fällen.....
dein liedhaftes gedicht hat die situation aber märchenhaft überzeichnet.
das wäre dann aber in "romeo und julia" oder "othello" auch nicht anders gewesen....

eine geschichte macht ein problem überdeutlich, in dem sie verstärkt, wiederholt, dramatisiert - und so lässt sich das eigentliche problem im spiegel der darstellung vielleicht besser erkennen.
das macht, denke ich, einen gut teil der fasziniation durch kunst aus.

diese stelle:
Als dieser den Jüngling erschlagen,
da klagte die Lerche so bang.
Das Mädchen mit Weinen und Klagen
vom Felsen dem Liebsten nachsprang

wäre beim singen durch eine melodie sofort metrisch entschärft ( also, so wie ich sie im kopf höre - ich brauch da gar nicht die "königskinder" dazu)

ich denke also, dass der text als lied funktioniert - und so hattest du ihn ja nach eigener aussage auch gemeint.

liebe grüße, larin
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Alt 07.04.2012, 18:22   #9
Thomas
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Liebe larin,

vielen dank für deinen Kommentar, der mich etwas beruhigt. Ich muss das Gedicht ohnehin etwas liegen lassen, um es nicht zu verschlimmbessern. Gewisse Problemchen habe ich ja schon zugegeben. Aber wirklich verbessern ist manchmal schwer. Das nicht alles beim ersten Lesen ganz klar wird, hängt tatsächlich mit der von dir sehr schön beschriebenen 'Spiegelei' zusammen. Ich hätte es nicht so sagen können, aber das war meine Absicht.

Liebe Grüße
Thomas
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