Gedichte-Eiland  

Zurück   Gedichte-Eiland > Gedichte > Der Tag beginnt mit Spaß

Der Tag beginnt mit Spaß Humor und Übermut

Antwort
 
Themen-Optionen Ansicht
Alt 10.01.2015, 13:25   #1
Bodo Neumann
Gesperrt
 
Registriert seit: 14.12.2014
Beiträge: 351
Standard Kreislaufproblem

Was folgt, ist für mich ein Experiment, weil ich mich zum ersten Mal mit dieser Form beschäftige,
auf die ich gestern im Netz gestoßen bin und erstmal sehr spannend fand.
Hat jemand Erfahrung damit? Dann her mit euren Tipps...

Kreislaufproblem oder Hinke-Pauls Zyklus

Als Paul am nächsten Morgen aus der Bar rausflog,
(bloß weil er diese Nummer mit des Chefs Maus schob)
und seine Fresse sah in dieser Scheiß Pfütze,
beschloss er lallend: „Schluss mit diesem Suff! Stütze
besorg‘ ich mir grad noch vom Amt und geh. Schlafen!“
Bis abends, als wir Paul dann in der Bar trafen.

Als Paul am nächsten…
Bodo Neumann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.01.2015, 17:23   #2
Claudi
Senf-Ei
 
Registriert seit: 26.04.2014
Beiträge: 861
Standard

Hi Bodo,

ich würde sagen, für den ersten Hinkjambus
aus Deiner Feder wär ein fetter Fresssmiley
nicht übertrieben, wenn ich ihn parat hätte.
Trotz Reimen, die nicht reingehören, sitzt alles,
wo's sitzen sollte, selbst die Pointe. Viel besser
hätt's sicher auch Catull nicht übers Knie brechen
beziehungsweise aus dem Ärmel ziehn können.


Ein paar winzige kosmetische Empfehlungen baue ich aus reiner Bequemlichkeit direkt in Deine Verse ein und begründe sie unten.


Zitat:
1. Als Paul am nächsten Morgen || aus der Bar rausflog,
2. (bloß weil er diese Nummer || mit des Chefs Maus schob)
3. und seine Fresse grinste || aus der Scheißpfütze,
4. beschloss er lallend: || „Schluss mit diesem Suff! || Stütze
5. besorg ich schleunigst, || wetz zum Amt und geh schlafen!“
6. Bis abends, || als wir Paul dann || in der Bar trafen.

Die Versform leitet sich vom jambischen Trimeter ab. Die alten Griechen hatten feste Zäsuren, die Römer haben es weniger streng gesehen und ich denke, das müssen wir auch nicht. Eine schöne Zäsur, etwa in der Versmitte und auf jeden Fall mit betonter Weiterführung, also im Versfuß, gibt dem Vers allerdings ein Gegengewicht zu der immer sehr nach hinten ziehenden metrisch bedingten "Hinkzäsur", die man m.E. nicht allzu oft durch zusätzliche Sinneinschnitte überbetonen sollte. Mit Endreim wird so ein Vers natürlich noch "schwanzlastiger". Da würde ich das Gegengewicht sogar noch weiter nach vorne verlagern. Dein Vers 6 ist ein gutes Beispiel für eine "gesunde Balance".


3. und 5. Hier habe ich versucht, Dir eine solche Zäsur zu verschaffen, selbstverständlich nur als Vorschlag und auch nur beispielhaft, nicht unbedingt wörtlich, zu verstehen. Die Scheißpfütze würde ich auch sonst zusammenschreiben, hier aber erst recht.

4. hast Du gut hingekriegt. Siehst Du, wie Deine erste Satzzeichenzäsur die hintere ausbalanciert?

5. Hier habe ich außerdem noch den überflüssigen Apostroph getilgt. "Geh schlafen" braucht für geübte Leser kein extra Hinweisschild. Ich verstehe aber gut, wenn Du hier besonders deutlich werden wolltest. Gewohnheitsalternierer könnten hier leicht in Versuchung kommen, "geh" in der Senkung verschwinden zu lassen, wo es als gleichwertiges Prädikat zu "wetz" aber eindeutig nicht hingehört.


Ich freue mich immer sehr über solche Experimente und alles, was ein bisschen über den Tellerrand lugt. Das bringt frischen Wind ins Forum! Es war mir ein Vergnügen, bei Dir schnuppern zu dürfen.


Liebe Grüße
Claudi
__________________
.
Rasple die Süßholzwurzel so fein, dass es staubt, in den reichlich
Abgestandenen Quark; darüber verträufele Wermut,
Bis aus dem Rührwerk, Burps! endlich das Bäuerchen kommt.

Geändert von Claudi (14.01.2015 um 00:56 Uhr)
Claudi ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.01.2015, 12:57   #3
Bodo Neumann
Gesperrt
 
Registriert seit: 14.12.2014
Beiträge: 351
Standard

Hallo Claudi,

irgendwie hatte ich befürchtet, dass du mir den Fresssmiley unter die Nase reiben bzw. um die Ohren hauen würdest. Er ist mir beim Basteln der Verse selbst in Erinnerung gekommen...

Danke zunächst für deine sehr kompetente Rückmeldung. Sich mit dieser Form zu beschäftigen war insofern nicht einfach, weil im Netz zwar einige (halb)wissenschaftliche Abhandlungen über den Hinkjambus zu finden sind, aber relativ wenige Beispiele, an denen man sich orientieren kann. (Den einzig brauchbaren habe ich auf Wikipedia gefunden.) Deshalb finde ich es gut, dass du gleich mit einem Beispiel retourniert hast.

Sehr spannend (und darüber habe ich in den metriktheoretischen Erläuterungen nichts entdecken können) fand ich deine Erläuterungen zu den Zäsuren und deren Einfluss auf die "Balance" (wow! (ironiefrei!]) der Verse.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich alles verstanden habe bzw. die von dir beschriebenen Wirkungen genauso fühle, aber ich versuch mal, meine Gedanken zu beschreiben:
Die Endlastigkeit, die du gern vermeiden würdest, spüre ich - hatte aber das Gefühl, dass dabei dieser ziemlich coole "Hinkeffekt" stärker zur Geltung kommt. Was genau bewirkt denn die angestrebte Balance beim Lesen? Das kann ich noch nicht genau bestimmen. Ein wenig habe ich das Gefühl, dass man dann nicht so in die Leiermühle gerät - ist es so? Mit dem Enjabement habe ich versucht, dagegen zu arbeiten.

Und warum legst du Wert auf die Zäsur innerhalb des Versfußes? Ein objektiver Vergleich will mir mit deinen Beispielen nicht gelingen, weil ich inhaltlich nicht zufrieden mit deinen Vorschlägen bin (die Fresse grinst einfach nicht, und Paul wetzt auch nicht zum Amt) - das war auch nicht deine Aufgabe, ich verstehe, was du mir sagen wolltest.
und seine Fresse sah || in dieser Scheiß Pfütze,
und seine Fresse grinste || aus der Scheißpfütze,
und seine Fresse ansah || in der Scheißpfütze
"ansah" gefällt mir auch nicht, aber ich hab's jetzt noch ein paarmal gelesen und denke, die verschobene Zäsur zieht auch Gewicht nach vorne - also siehe oben?

Zur Scheißpfütze: die schreibe ich auch immer zusammen; nur hier in meinem ersten Experiment damit habe ich mich für die Trennung entschieden, damit der Leser den Hebungsprall mitnimmt und das Ding XXx und nicht Xxx liest. Aus diesem Grund auch (du hast es vermutet) ...geh. Schlafen!. Der Leser sollte gezwungen werden sowohl geh als auch Schlaf zu betonen. Nicht nötig - mag sein - für den, der Erfahrung damit hat.
Zitat:
sehr nach hinten ziehenden metrisch bedingten "Hinkzäsur", die man m.E. nicht allzu oft durch zusätzliche Sinneinschnitte überbetonen sollte
Mit Sinneinschnitt meinst du die Stütze in V4? Oder etwas anderes?

Eins noch (für mich zur Übung): Wo würdest du in diesem (deinem) Vers die Zäsur setzen - hinter Catull oder hinter nicht?
Zitat:
hätt's sicher auch Catull nicht übers Knie brechen
Gefühlsmäßig würde ich nach Catull kurz innehalten. Dann wäre aber die Zäsur nicht im Versfuß, richtig?

Noch eins: Ich bin nicht so der große Freund von langen Versen - man neigt mMn dazu, ins Schwafeln zu geraten und das Verdichten zu vernachlässigen. Aber das Hinkebein gefällt mir doch. Könntest du dir vorstellen, dass das Dings auch kürzer funktioniert - etwa fünf- oder gar vierhebig xXxXxXXx? Wird der Effekt verloren gehen? Ist das Blasphemie? Was meinst du?

lg Bodo

Nachtrag: Sorry, noch eins:
Die Reime - Meinst du, die Verse wurden klassischerweise nicht gereimt, weil Reime in der Antike einfach nicht chic waren oder verlieren sie in deinen Augen durch die Reime tatsächlich an Originalität/Wirkung?

Geändert von Bodo Neumann (12.01.2015 um 13:12 Uhr)
Bodo Neumann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.01.2015, 16:26   #4
Claudi
Senf-Ei
 
Registriert seit: 26.04.2014
Beiträge: 861
Standard

Hallo Bodo,

Zitat:
Die Endlastigkeit, die du gern vermeiden würdest, spüre ich - hatte aber das Gefühl, dass dabei dieser ziemlich coole "Hinkeffekt" stärker zur Geltung kommt. Was genau bewirkt denn die angestrebte Balance beim Lesen? Das kann ich noch nicht genau bestimmen. Ein wenig habe ich das Gefühl, dass man dann nicht so in die Leiermühle gerät - ist es so? Mit dem Enjabement habe ich versucht, dagegen zu arbeiten.
Ja, bei so langen Versen hört man dann nur noch:

bla-bla-bla-bla-bla-bla-bla-bla-bla-bla- HOPP-la

Im Inneren hat der Vers für das Ohr nichts zu bieten. Wenn es einem nur auf den Hinkeffekt ankommt, ist es natürlich eine gute Möglichkeit, den Rest des Verses absichtlich zu leiern. Soll er im Ganzen wirken, würde ich versuchen, der breiigen Restmasse etwas Form zu geben. Der Hebungsprall ist dann immer noch herausstechend. Enjambements sind da, finde ich, schon ein gutes Mittel.


Zitat:
Und warum legst du Wert auf die Zäsur innerhalb des Versfußes?
Die Idee dahinter (nicht von mir, sondern von den ollen Griechen, aber ich mag sie!) ist, den Vers nicht in seine metrischen Einheiten zu zerstückeln, sondern nach dem Einschnitt etwas anderes zu machen als vorher. Statt z.B. so etwas

und seine Fresse sah || in dieser Scheiß || Pfütze,

xX / xX / xX || xX / xX || Xx

finde ich es abwechslungsreicher für die Ohren, verschiedene rhythmische Einzelteile zu haben, also z.B. so:

und seine Fresse grinste || aus der Scheiß || pfütze,

xX / xX / xX / x || X / xX || Xx

Ich sehe aber ein, dass der Unterschied beim Vergleich an einem Einzelvers nicht so gravierend rauskommt. Im Gesamtpaket klingt es aber einfach gut, wenn sich die kleinen Sprechpausen leicht am Metrum reiben. Hm, ist das einigermaßen verständlich ausgedrückt? Das ist gar nicht so leicht zu beschreiben.



Zitat:
Eins noch (für mich zur Übung): Wo würdest du in diesem (deinem) Vers die Zäsur setzen - hinter Catull oder hinter nicht?
Vergiss das Beispiel am besten. Das war, wie ich jetzt sehe, doch sehr übers Knie gebrochen. Gemeint hatte ich es so:

hätt's sicher || auch Catull nicht || übers Knie brechen

Aber das ist alles andere als deutlich. Schwamm drüber!



Zitat:
"ansah" gefällt mir auch nicht, aber ich hab's jetzt noch ein paarmal gelesen und denke, die verschobene Zäsur zieht auch Gewicht nach vorne - also siehe oben?
Mir gefällt "ansah" ganz ausgezeichnet. Jetzt wirds richtig kreativ. Das könnte man nämlich auch so lesen:

und seine Fresse an || sah
in der Scheiß || pfütze

xX / xX / xX || X
xxX || Xx


Damit wären wir schon bei den von Dir vorgeschlagenen Kurzversen. Aber hallo! bin ich dafür zu haben! Alles, was ich Dir bisher geschrieben hatte, bezog sich darauf, die sechshebigen langen Dinger möglichst ansprechend zu gestalten. Wenn die kurzen Dir lieber sind, bin ich ganz bei Dir. Von mir aus darf da auch gerne was ganz anderes rauskommen als regelmäßige Verszeilen. Ich könnte mir auch gut vorstellen, solche anapästischen Anfänge regelmäßig mit einzubauen.

Aber bleiben wir erst nochmal beim Grundvers. Klar würde der mir vierhebig gefallen. Dann stellt sich das Strukturierungsproblem gar nicht erst in dieser Größenordnung. Keine Ahnung, ob Reime da reinpassen. Wir könnten ja mal ein bisschen experimentieren und die Ergebnisse dann vergleichen. Ich bin gespannt!


Liebe Grüße
Claudi
__________________
.
Rasple die Süßholzwurzel so fein, dass es staubt, in den reichlich
Abgestandenen Quark; darüber verträufele Wermut,
Bis aus dem Rührwerk, Burps! endlich das Bäuerchen kommt.

Geändert von Claudi (13.01.2015 um 01:05 Uhr)
Claudi ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen


Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1)
 

Forumregeln
Es ist Ihnen nicht erlaubt, neue Themen zu verfassen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, auf Beiträge zu antworten.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Anhänge hochzuladen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Ihre Beiträge zu bearbeiten.

BB-Code ist an.
Smileys sind an.
[IMG] Code ist an.
HTML-Code ist aus.

Gehe zu


Alle Zeitangaben in WEZ +1. Es ist jetzt 16:01 Uhr.


Powered by vBulletin® (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2024, Jelsoft Enterprises Ltd.

http://www.gedichte-eiland.de

Dana und Falderwald

Impressum: Ralf Dewald, Möllner Str. 14, 23909 Ratzeburg