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Alt 03.04.2018, 12:28   #1
Eisenvorhang
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard Die Kerze

Die Kerze

Die Kerzendämmerung ist seltsam.
Denn wie ein Blinder schleicht sie leise
und einsam in die Nacht hinein.
Sie scheint ganz hell im kleinsten Kreise
aus ihrer Mitte hin zur Dunkelheit.

Ihr gelbes Leuchten ist ein starkes Ringen
mit dunkler Saat und der Vergänglichkeit;
ihr Leben ist das Wachs in allen Dingen,
bis es zerschmilzt und ewig ruht.

Doch schläfrig sitzt im Schimmerwahn
der Greise, der den Tisch bewohnt.
Er hebt im Nichts der Einsamkeit
sein Haupt durch das erregte Licht,
das wie ein Gott in seinen Augen thront.
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Alt 03.04.2018, 12:59   #2
Laie
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Benutzerbild von Laie
 
Registriert seit: 17.11.2015
Ort: Oberpfalz
Beiträge: 539
Standard

Hi EV,

ein sehr, sehr schöner Text über eine Kerze, die noch mehr ist als eine Lichtquelle. Dass sich nur einige Verse reimen, stört mich hier überhaupt nicht. Das gibt der Spache mehr Raum. Eine Stelle, die mir nicht ganz einleuchtet ist "ihr Leben ist das Wachs in allen Dingen". Ist hier auch die Vergänglichkeit aller Dinge gemeint? Eine Sache noch: Licht, das wie ein Gott im Auge des Betrachters thront... das ist ein wunderbares Bild!

Gruß,
Laie
__________________
Schreiben, wie Monet malte.
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Alt 03.04.2018, 16:35   #3
Sufnus
Gast
 
Beiträge: n/a
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Endlich mal wieder ein EV-Beitrag! Und, wie immer, ein sehr leselohnender!

Besonders schön finde ich die erste Zeile, weil sie zunächst Prosa-mäßig rüberkommt. Das klingt erst mal nicht, als würde es dann mit einem traditionellen Gedicht weitergehen, was es aber tut. Und nach dem Lesen der 2. Zeile fügt sich plötzlich auch die 1. in ein mehr oder weniger gebundenes Leseschema ein. Ein wirklich cooler Kniff!

Und als Bild finde ich gerade, die Formulierung "ihr Leben ist das Wachs in allen Dingen" besonders schön, eben weil sich dieses Bild einer zu einfachen Lesart etwas verweigert.

In S1Z3 ist mir das "einsam" etwas zu viel des Guten... eine einsam leuchtende Kerze, das ist ein etwas "gewöhnliches" Motiv.

Und in S2Z1 hadere ich ein bisschen mit dem "starken Ringen" - gäbe es nicht vielleicht ein treffenderes Substantiv, dass das "stark" unnötig macht? "Stark" ist so eine simple Steigerungsvokabel...

Und dann (ich habs gleich... wirklich... und sind ja echt nur Kleinigkeiten... ) fehlt im ersten Satz von S3 das Subjekt. Wahrscheinlich stand anstelle von "schläfrig" ursprünglich eine Personifikation des Schlafes oder?

Sehr gern gelesen!

S.

Geändert von Sufnus (03.04.2018 um 16:47 Uhr)
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Alt 03.04.2018, 18:25   #4
Erich Kykal
TENEBRAE
 
Benutzerbild von Erich Kykal
 
Registriert seit: 18.02.2009
Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
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Hi EV!

Ich schließe mich an - ein schöner Text fürwahr! Nur zu wenig Reime hat's für meinen Geschmack. Da juckt es mich doch gleich in den Fingern ...

Vorschlag:

Die Kerzendämmerung ist eigen.
Denn wie ein Blinder schleicht sie leise
und einsam in der Nächte Neigen.
Sie scheint ganz hell im kleinsten Kreise
als Mittelpunkt im dunklen Reigen.

Ihr gelbes Leuchten ist ein starkes Ringen
mit dunkler Saat und der Vergänglichkeit;
ihr Leben ist das Wachs in allen Dingen,
bis es zerschmilzt am blinden Saum der Zeit.

Doch schläfrig sitzt im Angesicht
der Kerze, die kein Leiden schont,
der Greis, der diesen Tisch bewohnt,
und müde löscht er dieses Licht,
das gottgleich ihm vor Augen thront.


Das wäre eine Version ohne reimlose Zeilen. Nur als so eine Spielerei von mir ...

Sehr gern gelesen!

LG, eKy
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
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Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
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Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.04.2018, 12:27   #5
Eisenvorhang
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard

Hallo,

vielen Dank für die lieben Kommentare und das schöne Lob. Deswegen nur kurz!


Im Moment zieht meine Freundin bei mir ein, weswegen ich im Moment kaum Zeit habe.

@Sufnus

Ist das Subjekt nicht "der Greise", auf dem sich alles bezieht?

@Erich

Deine Variante ist sehr schön - das sich nicht alles reimt ist bewusst gewählt.
Soll es doch gerade in dem Gedicht das Imperfekte zeigen.

vlg

EV
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Alt 04.04.2018, 16:45   #6
Chavali
ADäquat
 
Benutzerbild von Chavali
 
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Mitteldeutschland
Beiträge: 12.994
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Hallo Eisenvorhang,

so kann man natürlich auch eine Kerze und ihr Licht betrachten und als Gedicht verdichten
Da spielen noch einige andere Aspekte eine Rolle.

Besonders im letzten Abschnitt, als der greise Mensch ins Spiel kommt.
Das assoziiert Bilder, die im Kino vorkommen können oder als Gemälde alter Meister....

Gern gelesen. Wobei Erichs Version auch eine ganz Feine ist....


LG Chavali
__________________
.
© auf alle meine Texte
Die Zeit heilt keine Wunden, man gewöhnt sich nur an den Schmerz

*
Chavali ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.04.2018, 13:27   #7
Eisenvorhang
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Hallo Chavali,

das Gedicht ist durchaus mehr der Malerei angelehnt.

Hab großen Dank für Deinen Kommentar! :-)

vlg

EV
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