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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

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Alt 08.02.2012, 20:24   #1
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Registriert seit: 18.02.2009
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Beiträge: 8.570
Standard Winterabend auf dem Lande

Nacht legt ihre schwarzen Arme
kühl auf Waldessaum und Flur.
Menschen flüchten sich ins Warme,
und die Erde wird Natur.

Dunkel wächst im Tannengrunde
wie ein Wesen voller Macht.
Wispernd, wie von Mund zu Munde,
hebt sich Windesraunen sacht

von den schattentiefen Zweigen
nach des Lauschers stillem Gang,
dessen Sinne heimwärts zeigen
wie ein Zittern, zag und bang.

Ferne, wie verstreute Sterne,
locken Lichter nach den Seinen
ihn mit Macht, und er folgt gerne
ihrem losgelösten Scheinen.

Alles Menschenwerk, so denkt er,
es wird nächtens gar so klein,
und den Blick in Demut senkt er,
und die Stirne hinterdrein.
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (15.02.2012 um 21:05 Uhr)
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Alt 09.02.2012, 19:18   #2
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Beiträge: 9.909
Standard

Servus Erich,

das ist ein sehr schöner und eleganter, schmaler Text, der sich auch leichtfüßig durch den verwendeten Trochäus lesen lässt.

Auch daß die zweite und dritte Strophe sich verbinden, ist ein schönes Stilmittel.
Der Leser legt danach unwillkürlich eine kleine Pause ein und die braucht es auch, weil hier quasi ein Abschnitt erfolgt.

In den ersten drei Strophen erfolgt in schönen Bildern mehr eine Beschreibung des Zustandes der Umwelt.
Der "Lauscher" in S3 erscheint noch gar nicht als Individuum, sondern ganz allgemein, wie die "Menschen" in S1 und die "Wesen" in S2.

Ab S4 ändert sich das dann, weil hier etwas passiert mit "ihm", dem Lauscher, er wird nämlich angelockt.

Und in S5 schließlich zieht er ein persönliches Fazit.

Gut, dieses Fazit bedeutet ja nun nichts Neues, denn das Bild vom Menschen, der sich unter dem weiten Himmelszelt dank seiner Vorstellungskraft als klein und nichtig empfindet, gibt es seit Menschengedenken, aber, das will ich ausdrücklich betonen, es ist hier in einem wunderschönen lyrischen Gewande präsentiert worden, in einem fast perfekten Gedicht.

Ich schreibe fast perfekt, weil es nichts Perfektes gibt.

Und weil Gedichte eben auch nur Menschenwerk sind, sollte diese Aussage auch nicht verdrießlich machen, sondern nur im Sinne der Conclusio des vorliegenden Textes gesehen werden.

Also sagen wir mal so: Ich könnte es nicht besser machen.

Anders ja, aber besser nicht...


Gerne gelesen und ein schönes Stück Lyrik besenft...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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Alt 09.02.2012, 19:25   #3
Chavali
ADäquat
 
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Hallo Erich,

das ist wieder ein sehr sehr schönes Gedicht.
Der Kreuzreim fließt und man kann nix anderes dabei fühlen als Lesegenuss
Zitat:
Alles Menschenwerk, so denkt er,
wird des Nächtens gar so klein,
und den Blick in Demut senkt er,
und die Stirne hinterdrein.
Ja, manchmal sollte der Mensch ein wenig demütiger sein ob der Fülle der Natur und sich nicht über sie erheben -
das könnte sich eines Tages rächen.


Lobende Grüße!
Chavali
__________________
.
© auf alle meine Texte
Die Zeit heilt keine Wunden, man gewöhnt sich nur an den Schmerz

*
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Alt 09.02.2012, 22:46   #4
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, Faldi, Chavali!

Vielen Dank für eure wohlgesonnenen Beiträge!

Dieses Gedicht entstand fast fließend, fast so, wie es da steht, gleich in das "Neues Thema" - Feld getippt, innerhalb von ca. 10 Minuten. Da sieht man, was geht, wenn man den richtigen Moment innerer Konzentration, Kontemplation und Stimmung abpasst.

Das Thema ergab sich beim Blick aus dem Fenster in eine dunkelnde Winterlandschaft. Diese Aussicht erinnerte mich an Nachtspaziergänge aus meiner Jugend, eine intensive und lebendige Erinnerung.

LG, eKy
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
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Alt 11.02.2012, 21:14   #5
Dana
Slawische Seele
 
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Lieber eKy,

es liest sich, als würde man einem Romantiker lauschen und einem Maler zuschauen.
Die Krönung und Bestätigung für diese "Beiden" zeigt sich im gesenkten Demutblick.
Dichtung, wie ich sie liebe.

Ich streue dir Sternengrüße,
Dana
__________________
Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 12.02.2012, 00:32   #6
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, Dana!

Romantiker und Maler...das hast du schön gesagt, liebe Dana! Da grüßt wohl der Eichendorff in mir...

LG, eKy
__________________
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Alt 12.02.2012, 08:28   #7
a.c.larin
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hi erich,

am liebsten würde ich jetzt "ja, stimmt" dazu sagen - aber das klänge dann zu schnoddrig. also muss ich mir etwas gediegeneres einfallen lassen.
also:
den ländlichen winterabend hast du genau so beschrieben, wie ich ihn einige tage lang im urlaub erlebt habe, grade so, als hättest du meine inneren kopfbilder bedichtet! und worüber soll ,bitte, jetzt ich noch schreiben?


Zitat:
Dunkel wächst im Tannengrunde wie ein Wesen voller Macht..
an der stelle musste ich dreimal lesen, bis ich wusste, wer oder was da eigentlich wächst. ( hab "dunkel" immer wieder als adjektiv gelesen. )

Zitat:
und den Blick in Demut senkt er,
und die Stirne hinterdrein.
und der schluss gefällt mir auch vorzüglich: da erlebt man, wie das lyrich nach außen blickt und dann, nach verinnerlichung des wahrgenommenen -wieder in sich selbst hinein.

wahrscheinlich bildet sich dann das gesehene im inneren wieder ab - so wie mir dein gedicht die schöne landschaft umrahmt, in der ich mich einige tage lang bewegen durfte....


gerne gelesen!
lg, larin
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Cogito dichto sum - ich dichte, also bin ich!
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Alt 12.02.2012, 11:38   #8
Erich Kykal
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Hi, larin!

Sorry, dass ich dir bezüglich deiner Urlaubsimpressionen sozusagen den Wind aus den Segeln deiner Inspiration genommen habe. Obwohl, bei deinem Talent kann das bestenfalls eine Herausforderung darstellen!

Das mit dem missverständlichen "Dunkel" ist mir gleich beim Schreiben aufgefallen, aber jede andere Version war entweder zu lang, zu unmelodisch oder stilistisch weniger lyrisch. Daher bin ich das Risiko eingegangen, dass der Leser da erst mal Pause macht, um sich zu orientieren.

Winterlandschaften sind im Grunde nicht so "meins" - ich bin ein Frühlings- und Sommerfan! Wenn alles blüht und grünt, wenn tausend Schattierungen von Grün die Hänge sprenkeln, wenn Düfte und Bachrauschen sich zu einer Sinfonie der Sinne vereinigen - DANN bin ich gerne draußen!
Auch hier war es nur eine Erinnerung, die mich lockte, obendrein eine aus den Sommern meiner Jugend. Den Winter dichtete ich beim Blick aus dem Fenster sozusagen freiflottierend dazu, weil es eben grade so ist.

Vielen Dank für deine Gedanken!

LG, eKy
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