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Alt 25.03.2011, 06:13   #1
Galapapa
Galapapa
 
Registriert seit: 19.04.2009
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Standard Nestbeschmutzer

Siehst du im Schatten hinter deinem Haus den Tod?
In seiner rechten Hand hält er das Sensenblatt,
mit dem er aus dem Hinterhalt verborgen droht,
doch siehst du nicht, was er in seiner Linken hat.

Es ist geruch-, geschmacklos, unhörbar - ein Fluch.
Auf deine traute Welt mit ihren schönen Tagen
legt er ganz heimlich unbemerkt ein Leichentuch
aus Pestilenz und Siechtum, Jammern und aus Klagen.

Dort auf Tschernobyls Häusern, Straßen und Gewässern,
liegt es noch heut für eine halbe Ewigkeit.
Es lauert still in ungezählten Abfallfässern
und wartet gnadenlos auf seine böse Zeit.

Wer gab dem Sensenmann das Werkzeug in die Hand?
Er wird es weiter, wie in Fukushima, nutzen.
Wie lange noch beherrscht Profitgier den Verstand?
Wie lang noch wollen wir das eigne Nest beschmutzen?
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Alt 21.04.2011, 09:20   #2
Walther
Gelegenheitsdichter
 
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Lb. Galapapa,

das behandelte Thema ist deshalb so schwer, lyrisch zu behandeln, weil es noch sehr aktuell ist. Die Distanz fehlt, die die lyrische Verdichtung nach meiner Erfahrung erst möglich macht.

So gesehen ist Dir ein kleines Kunststück gelungen. Du hast die Ereignisse um Fukushima in einer interessanten Zusammenhang gestellt und zugleich den Begriff "Nestbeschmutzer" um einen nachdenkenswerten Aspekt erweitert. Es ist spannend, diese Situation so zu beschreiben und zu bedenken.

Die Sprache und die Form passen zur Bedeutungsschwere des Vorfalls. Vielleicht liegt es daran, daß er, obwohl doch so nahe am aktuellen (Er)Leben, nicht kommentiert wurde. Das ist eben ein eher sperriger, kein leichtgängiger Text.

Einzig mit diesem Vers
Zitat:
Dort auf Tschernobyls Häusern, Straßen und Gewässern,
habe ich ein kleines Problem, weil die Betonung nicht ganz ins Metrum passen will. Angesichts des sonst sehr gelungen Gedichts ist das aber vernachlässigbar; man könnte evtl. an dieser Zeile noch etwas feilen, muß das aber nicht.

Gerne gelesen, bedacht und kommentiert.

LG W.
__________________
Dichtung zu vielen Gelegenheiten -
mit einem leichtem Anflug von melancholischer Ironie gewürzt
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Geändert von Walther (23.04.2011 um 16:18 Uhr)
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Alt 23.04.2011, 16:13   #3
Galapapa
Galapapa
 
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Hallo Walther,
danke füe Deine lobenden Worte zu meinem Text.
Das Thema und die aktuellen Hintergründe können einen in der Tat sprachlos machen. Wie sehr die Ereignisse in Japan das Bewusstsein wachgerüttelt haben, zeigen die Ergebnisse der jüngsten Landtagswahlen.
Doch schon erfährt man, wo die nächsten Meiler gebaut werden auf der Welt, in Ländern, in denen Menschenleben und deren Sicherheit wohl nicht viel wert sind.
Ich erinnere mich noch genau: Nach Tschernobyl hat man gesagt: "Irgendwann passiert es wieder; es ist nur eine Frage der Zeit."
Die Zeit hat es bestätigt und wir können froh sein, dass Fukushima weit weg ist.

An der Stelle S3/V1 hatte ich ursprünglich stehen "In Tschernobyl, auf Straßen, Häusern und Gewässern...".Ich erfuhr jedoch, dass die Betonung des Namens Tschernobyl auf der ersten Silbe "Tscher" eigentlich falsch ist. Wie im Russischen müsste eigentlich die zweite Silbe "no" betont werden. Darauf hin habe ich den Vers umgeschrieben. Mit der richtigen Betonung passt der Vers dann auch ins Metrum.
Allerdings muss ich mich jedesmal wieder überwinden, die Betonung richtig zu setzen.
Mit einem herzlichen Gruß an Dich!
Galapapa
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Alt 29.04.2011, 07:12   #4
LyTau
Gast
 
Beiträge: n/a
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Hallo Galapappa,
ich freue mich sehr, dass ich dein Gedicht entdeckt habe, denn der Text ist thematisch - seit März dieses Jahres allgegenwärtig
und sprich mich an. Auch wenn die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung die Tatsache der Bedrohung zu ignorieren versucht. Dein Gedicht zeichnet sich sprachlich durch Bravour aus, die Bilder sind sehr eindrucksvoll gewählt, die Übergänge gleiten elegant,
ich bin beeindruckt. Ein Stück wahrer Poesie, inhaltlich wie technisch. Gerne gelesen.

viele Grüße
LyTau
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Alt 29.04.2011, 13:10   #5
Galapapa
Galapapa
 
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Hallo LyTau,
es freut mich, dass Dich mein Gedicht beeindruckt hat. Ebenso erging es mir mit Deinem Lob, danke!
Nicht zu übersehen ist auch, was die Katastrophe in Japan, zumindest in Deutschland, bewirkt hat, ob in Berlin oder in meinem Heimatbundesland Baden-Württemberg. Ich galube, dass etliche Zeitgenossen, die die Warnungen nach Tschernobyl für Panikmache grüner Spinner hielten, dazugelernt haben. Endlich!
Für die am schlimmsten Betroffenen ist das allerdings kein Trost. Angesichts des menschlichen Supergaus, den viele Japaner erlebt haben, empfinde ich sprachloses Entsetzen und es bleibt mir nur anteilnehmendes Schweigen.
Mit einem herzlichen Gruß an Dich!
Galapapa
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