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Alt 21.12.2016, 06:28   #1
Angelika
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Standard Trivialroman ohne Titel, 3. Kapitel

3. Kapitel

Und wieder vergingen die Jahre. Tobias führte Helga Johannsen den Hof, der jetzt gute Erträge einbrachte, mehr als erhofft. Im Dorf sprach alles von der glücklichen Hand des jungen Bauern, einige Bauern neidisch, andere anerkennend. Doch nun lag die Altbäuerin Helga Johannsen auf dem Sterbebett.

„Führ den Hof weiter, Tobias, mach dem Namen Johannsen keine Schande.“ Tobias versprach es der Sterbenden von ganzem Herzen und aus tiefster Dankbarkeit. Er hielt ihre Hand in der seinen, es war, als hielte er damit das Leben fest. Die Kranke hustete, und
Tobias flößte ihr einen Trank aus Milch und Honig ein. Die alte Frau blickte ihn dankbar an.

Abends verlor sie das Bewusstsein. Tobias hatte noch einmal den Arzt aus der Stadt geholt.
„Es sieht nicht gut aus“, sagte der besorgt. Tobias war es nicht peinlich, dass ihm bei den Worten des Arztes die Tränen kamen. Nachts starb Helga Johannsen.

Zur Beerdigung kam das ganze Dorf. Am offenen Grab war Pastor Winkler bewegt, mit zitternder Stimme sprach er das Gebet. Er kannte Helga Johannsen viele Jahre, sie hatte treu zum Glauben gestanden, und nun, da sie ihren Weg zu Ende gegangen war, musste er sie der Erde übergeben. Es war, als ginge ein Stück von ihm selbst.

Tobias ließ eine Totenfeier anrichten, als gelte sie der eigenen Mutter. Sie, die namenlos gestorben war und namenlos im Grabe lag, war nicht vergessen. Er hatte zwar kaum noch Erinnerungen an sie, aber wenn er an sie dachte so wie am heutigen Tage, da er seine Pflegemutter zu Grabe trug, wurde er nachdenklich. Es war gleichsam, als beerdige er beide, die Mutter und die Pflegemutter, die einzigen Menschen, die ihm nahegestanden hatten.

Als das Totenmahl verspeist war und als alles dem Bier und dem Wein zugesprochen hatte und Tobias die Trauergäste verabschieden wollte, kam es zu einem Vorfall, der Tobias zu denken gab. Der junge Hoferbe Schubertsen, stark angetrunken, stellte sich ihm in den Weg. „Du gehörst nicht auf den Johannsen-Hof“, lallte er, „du nicht. Du Findelkind!“

Tobias antwortete nichts. Freundlich und bestimmt verabschiedete er die Gäste. Lange aber musste er nachdenken über die Worte des Betrunkenen. Kaum, dass er diese Nacht schlief. „Du Findelkind!“, dieser Schimpf wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen.

Der traurige Anlass hatte ihn zum alleinigen Erben des Johannsen-Hofs gemacht. Er ließ ein halbes Jahr verstreichen, das gebot der Anstand vor den Dorfleuten, dann begann er sich Gedanken zu machen, wie er den Hof modernisieren könnte, brauchte er doch jetzt keine Rücksicht mehr auf die Altbäuerin zu nehmen.

Das, was ihm fehlte, war Geld. Ideen hatte er übergenug. Ohne den Hof zu verschulden, würde er nicht mit der Zeit gehen und von Grund auf modernisieren können. Tobias beschloss, demnächst in die Stadt zu fahren und bei der Bank vorzusprechen.

Elisa scharwenzelte um ihn herum. Fragte nach diesem und jenem, lobte ihn auch über den grünen Klee für seine neuartigen Überlegungen. Tobias aber war auf der Hut. Sie war schon beinahe dreißig und hatte immer noch keinen Bauern in ihre Fänge und in ihr Bett zerren können. Bald würde sie ihren Traum von einem tüchtigen jungen Bauern auf dem Hof aufgeben müssen. Wenn er Elisa kommen sah, hatte Tobias plötzlich mehr als sonst zu tun im Stall. Elisa lief ihm nach und versuchte, ihn in Gespräche zu verwickeln. Tobias gab spärlich Antwort, brummte hier und da nichts Genaues und vermied es, ihr in die Augen zu blicken.

Tobias war ein junger starker Kerl geworden, männlich und aufrecht. Mit dem vollem schwarzem Haar, den gesunden weißen Zähnen und seiner schlanken Taille zog er begehrliche Blicke der Mädchen aus dem Dorf auf sich. Es war Zeit, ans Heiraten zu denken. Wohl hatte er sich mit dieser und jener so manche Nacht heimlich in der Scheune getroffen, aber Tobias wusste: Eine, die er heiraten würde, müsste anders sein als alle Mädchen des Dorfes, nicht nur schöner und klüger. Sie müsste an seiner Seite stehen, in guten wie in schlechten Zeiten, eine gute Bäuerin und ein treuer Kamerad sein. Die Mädchen des Dorfes waren eigennützig, alle suchten nur einen Bauern für den Hof, den sie erben würden. Tobias wusste, wenn sie ihm lange in die Augen sahen, warum sie dies taten, und keine konnte sein Herz lange fesseln. Er wartete auf den Tag, an dem ihm das Glück seines Lebens begegnen würde, eine Frau, die er liebte und die ihn liebte. Jedem begegnet es einmal, das war sein fester Glaube.

Aber zuvor musste er den Hof modernisieren. Er warf zwar mehr ab als die der anderen Bauern, doch schon hatten einige aufgegeben. Sie waren in die Stadt gegangen und hatten ihr Landleben hinter sich gelassen wie etwas, an das sie nicht mehr gern zurückdachten.

Tobias fuhr in die Stadt, eine Hansestadt mit ehrwürdiger Tradition. Hier saß Bank an Bank, hier würde er ganz sicher einen Kredit für den Hof erhalten. Der Bankangestellte Herr Hilger war ein freundlicher junger Mann mit gepflegten Fingernägeln. Tobias hatte alle Unterlagen mitgebracht. Herr Hilger vertiefte sich darin.

„Soweit ich sehen kann“, Herr Hilger hob den Kopf, „prosperiert der Hof. Gegen einen Kredit in angemessener Höhe und bei angemessener Tilgung wäre meinerseits nichts einzuwenden. Aber“, jetzt wurde das Gesicht des Herrn Hilger sehr aufmerksam, „mir ist etwas eingefallen. Nach Ihren Unterlagen heißen Sie Johannsen, Sie wurden adoptiert. Mir ist erst kürzlich ein Fall bekannt geworden, ein Erbenaufruf, wonach ...“

Herr Hilger bückte sich und zog aus dem Schreibtisch ein dickes Buch hervor und blätterte aufgeregt darin. „Johannsen heißen Sie“, sagte er, wie um sich selbst zu vergewissern, „Tobias Johannsen. Gesucht wird ein heute Dreißigjähriger, gebürtig in Ostpommern, Vorname Tobias, ein markanter Name, Herr Johannsen - deshalb fiel mir der Fall wohl ein. Er ist der Erbe eines nicht geringen Vermögens und einer ausgesprochen gutgehenden Firma. Der Besitzer, ein Herr von Eckstein, ist voriges Jahr verstorben und hat außer diesem Tobias, seinem Sohn, Wohnort unbekannt, keinen Erben hinterlassen. Kennen Sie die Zusammenhänge, die zu Ihrer Adoption führten? Es wäre interessant für Sie, sich für den Fall zu engagieren, denke ich. Und wenn es Ihnen recht sein sollte, würde ich mich in Ihrem Namen um diese Angelegenheit bemühen, Herr Johannsen. Von meiner Ausbildung her bin ich Rechtsanwalt.“

Mit dieser Wendung hatte Tobias nicht gerechnet. Da wollte er die Bank um einen Kredit angehen, und verlassen würde sie als potentieller Millionenerbe. „Herr Hilger, Sie werden verstehen, dass ich überrascht bin. Aber wenn Sie meinen, zumal meine Herkunft ungeklärt ist, dass hier eine Möglichkeit besteht ... Ich bin einverstanden, Herr Hilger. Übernehmen Sie meine Rechtsvertretung.“

Tobias bekam den Kredit für den Hof. Nun konnte der Umbau beginnen. Er hatte an eine Schweinemastanlage gedacht. Dafür musste er das Gebäude errichten, das Vieh einkaufen und Arbeiter einstellen. Das würde eine ordentliche Stange Geld kosten. Aber das Unseligste: Er musste sich mit den behördlichen Vorschriften beschäftigen. Doch das tat er, nachts saß er über den Papieren, und ihm glühte der Kopf. Und wenn morgens die Sonne in sein Büro schien, fand sie ihn eingeschlafen, den Kopf auf dem Schreibtisch, vor sich die Papiere. Es war eine anstrengende Zeit.

Daran, dass er möglicherweise etwas über sein Herkommen erfahren würde, dachte er nicht lange. Und dass sein Vater ein richtiger Graf sein könnte, ein Graf von Eckstein, das war so unwahrscheinlich, dass er daran lieber nicht denken wollte. Die Aufgaben des Tages riefen, und Tobias stürzte sich in die Arbeit.
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