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Alt 09.11.2011, 18:40   #1
Stimme der Zeit
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Johann Christoph Friedrich von Schiller (* 10. November 1759 in Marbach am Neckar, Württemberg; † 9. Mai 1805 in Weimar, Sachsen-Weimar)

Anlässlich seines Geburtstages möchte ich heute eines seiner Werke hier einstellen:

Die Macht des Gesanges

Ein Regenstrom aus Felsenrissen,
Er kommt mit Donners Ungestüm,
Bergtrümmer folgen seinen Güssen,
Und Eichen stürzen unter ihm;
Erstaunt mit wolllustvollem Grausen,
Hört ihn der Wanderer und lauscht,
Er hört die Flut vom Felsen brausen,
Doch weiß er nicht, woher sie rauscht:
So strömen des Gesanges Wellen
Hervor aus nie entdeckten Quellen.

Verbündet mit den furchtbarn Wesen,
Die still des Lebens Faden drehn,
Wer kann des Sängers Zauber lösen,
Wer seinen Tönen widerstehn?
Wie mit dem Stab des Götterboten
Beherrscht er das bewegte Herz,
Er taucht es in das Reich der Todten,
Er hebt es staunend himmelwärts,
Und wiegt es zwischen Ernst und Spiele
Auf schwanker Leiter der Gefühle.

Wie wenn auf einmal in die Kreise
Der Freude, mit Gigantenschritt,
Geheimnißvoll nach Geisterweise,
Ein ungeheures Schicksal tritt;
Da beugt sich jede Erdengröße
Dem Fremdling aus der andern Welt,
Des Jubels nichtiges Getöse
Verstummt, und jede Larve fällt,
Und vor der Wahrheit mächt’gem Siege
Verschwindet jedes Werk der Lüge:

So rafft von jeder eiteln Bürde,
Wenn des Gesanges Ruf erschallt,
Der Mensch sich auf zur Geisterwürde
Und tritt in heilige Gewalt;
Den hohen Göttern ist er eigen,
Ihm darf nichts Irdisches sich nahn,
Und jede andre Macht muß schweigen,
Und kein Verhängnis fällt ihn an;
Es schwinden jedes Kummers Falten,
Solang des Liedes Zauber walten.

Und wie nach hoffnungslosem Sehnen,
Nach langer Trennung bitterm Schmerz,
Ein Kind mit heißen Reuethränen
Sich stürzt an seiner Mutter Herz:
So führt zu seiner Jugend Hütten,
Zu seiner Unschuld reinem Glück,
Vom fernen Ausland fremder Sitten
Den Flüchtling der Gesang zurück,
In der Natur getreuen Armen
Von kalten Regeln zu erwarmen.

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Alt 17.11.2011, 08:07   #2
Friedhelm Götz
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Christian Morgenstern gehört schon seit meiner Jugendzeit zu meinen Lieblingsautoren, und ich habe schon damals mit grotesken Gedichten versucht, auf Morgensterns Pfaden zu wandeln. Daraus entstand dann auch mal eine Rundfunksendung im damaligen Süddeutschen Rundfunk mit dem Titel "Flöhezimt und Morgenstern", gesprochen von Hanns Dieter Hüsch.

Hier nun als besonderes Schmankerl die wenig bekannte Legende "Das Vermächtnis" von Christian Morgenstern, gesprochen von Hanns Dieter Hüsch:

Das Vermächtnis - eine Legende von Christian Morgenstern

Wer nur oder auch lesen will:

Das Vermächtnis
eine Legende von Christian Morgenstern

Es war um die Zeit, da der Affe zum Menschen wurde. Und am Vorabend seiner Menschwerdung versammelte der Affe noch einmal alle Tiere der Erde um sich, um von ihnen Abschied zu nehmen. "Morgen will ich Mensch werden, sprach er wehmütig zu ihnen, und ihr werdet mich alle verlassen und meiden, und ein Kampf wird entstehen zwischen meinem Samen und eurem Samen."

"Jawoll, ein Kampf!" brüllte der Löwe.
"Du willst mehr werden als wir!" brummte das Nashorn.
"Das wirst du büßen müssen!" wiederholte giftig der Floh.
"Lassen wir das!" sagte mit einem Anflug unbeschreiblicher Müdigkeit der Affe,
und feiern wir heute noch ein Fest des Friedens und der Freude miteinander.
"So sei es!" riefen die Tiere und drängten sich gutmütig und wohlwollend um den scheidenden Bruder und fragten ihn, ob sie ihm nicht noch etwas Liebes tun oder mitgeben könnten.
Da ward dem Affen noch trübseliger zumute, und er setzte sich unter eine Palme und fing jämmerlich an zu schluchzen. Ein tiefes Mitleid ging durch die weichen Tierherzen.
"Wir wollen den Armen trösten", begann endlich das Schaf und schritt allen voran auf den Weinenden zu.
Lange sah das Schaf dem Affen in die Augen, und dann sprach es: "Trage mein Bild stets in deinem Herzen, so wird es sein, als ob ich mit und in dir weiterlebte."
Dem Schaf folgte das Kamel, sah dem Affen tief in die Augen und sagte das gleiche zu ihm.
Und herzu traten der Ochs, der Esel, das Schwein, der Pfau, die Gans, der Tiger, der Wolf, die Hyäne und viele andere Tiere, und jedes sah dem Affen tief in die Augen und sprach feierlich zu ihm: "Trage mein Bild stets in deiner Seele, so wird es sein, als ob ich mit dir weiterlebte."
Die letzen, die herantraten, waren der Löwe, der Adler und die Schlange.

Der Affe konnte vor Abgespanntheit kaum mehr aus den Augen schauen, und als die Schlange sich verabschiedet hatte, sank er sofort in tiefen Schlaf. Aber wirre und schreckliche Träume ängstigten ihn, und gegen Morgengrauen erhob er sich im Halbschlummer von seinem Lager und tastete sich zur nahen Quelle.
Mit Augen, deren Schleier klares Bewusstsein noch nicht zu zerreißen vermochte, blickte er in den Wasserspiegel, der, leicht bewegt, sein Bild wiedergab.
Wie sah er aus! Da schwamm auf zitternden Wellen das Bild des einfältigen Schafes - oder - nein! Es war das hässliche Kamel, das mit arroganten Zügen aus den Wogen ihn anstarrte. Mit einem Male schien es der blutrünstige Tiger, als den er sich in den Fluten sah, und kaum, dass er genauer hingespäht, war es ein Pfau, der ihm sein eitles Rad entgegenschlug.
Endlich brach ein Sonnenstrahl durch die Bäume, und der Affe erwachte aus seinem traumhaften Zustande. Verwundert rieb er sich die Augen und wollte sogleich den nächsten Baumriesen empor, als sein Blick von ungefähr in die Quelle fiel. Da erkannte er, dass er über Nacht Mensch geworden war. Und Adam zog aus, bis dass er Eva fand und verbreitete sein Geschlecht über die ganze Erde.
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Alt 21.11.2011, 08:42   #3
Chavali
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NAIVE ROMANTIK?




Ich und Du




Wir träumten voneinander
und sind davon erwacht.
Wir leben, um uns zu lieben,
und sinken in die Nacht.
Du tratst aus meinem Traume,
aus deinem trat ich hervor.
Wir sterben, wenn sich eines
im anderen ganz verlor.
Auf einer Lilie zittern
zwei Tropfen, rein und rund.
Zerfließen in eins und rollen
hinab in des Kelches Grund





- Friedrich Hebbel-




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Geändert von Chavali (23.11.2011 um 20:53 Uhr) Grund: kleiner Tippfehler *thx* ;)
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Alt 23.11.2011, 19:12   #4
Stimme der Zeit
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Kurt Tucholsky (1919)


Einkäufe

Was schenke ich dem kleinen Michel
zu diesem kalten Weihnachtsfest?
Den Kullerball? Den Sabberpichel?
Ein Gummikissen, das nicht näßt?
...............Ein kleines Seifensiederlicht?
...............Das hat er noch nicht. Das hat er noch nicht!

Wähl ich den Wiederaufbaukasten?
Schenk ich ihm noch mehr Schreibpapier?
Ein Ding mit schwarzweißroten Tasten;
ein patriotisches Klavier?
...............Ein objektives Kriegsgericht?
...............Das hat er noch nicht. Das hat er noch nicht!

Schenk ich den Nachttopf ihm auf Rollen?
Schenk ich ein Moratorium?
Ein Sparschwein, kugelig geschwollen?
Ein Puppenkrematorium?
...............Ein neues gescheites Reichsgericht?
...............Das hat er noch nicht. Das hat er noch nicht!

Ach, liebe Basen, Onkels, Tanten –
Schenkt ihr ihm was. Ich find es kaum.
Ihr seid die Fixen und Gewandten,
hängt ihrs ihm untern Tannenbaum.
...............Doch schenkt ihm keine Reaktion!
...............Die hat er schon. Die hat er schon!
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Alt 29.12.2011, 12:13   #5
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Zum 85. Todestag von Rainer Maria Rilke:

Der Tod des Dichters


Er lag. Sein aufgestelltes Antlitz war
bleich und verweigernd in den steilen Kissen,
seitdem die Welt und dieses von ihr Wissen,
von seinen Sinnen abgerissen,
zurückfiel an das teilnahmslose Jahr.

Die, so ihn leben sahen, wußten nicht,
wie sehr er eines war mit allem diesen,
denn dieses: diese Tiefen, diese Wiesen
und diese Wasser waren sein Gesicht.

O sein Gesicht war diese ganze Weite,
die jetzt noch zu ihm will und um ihn wirbt;
und seine Maske, die nun bang verstirbt,
ist zart und offen wie die Innenseite
von einer Frucht, die an der Luft verdirbt.
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Alt 30.12.2011, 08:05   #6
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Theodor Fontane
(1819 - 1898)

192. Geburtstag am 30.12.





Alles still!



Alles still! Es tanzt den Reigen
Mondenstrahl in Wald und Flur,
Und darüber thront das Schweigen
Und der Winterhimmel nur.


Alles still! Vergeblich lauschet
Man der Krähe heisrem Schrei.
Keiner Fichte Wipfel rauschet,
Und kein Bächlein summt vorbei.


Alles still! Die Dorfeshütten
Sind wie Gräber anzusehn,
Die, von Schnee bedeckt, inmitten
Eines weiten Friedhofs stehn.


Alles still! Nichts hör ich klopfen
Als mein Herze durch die Nacht
Heiße Tränen niedertropfen
Auf die kalte Winterpracht.





************************************************** *****************

Ein neues Buch, ein neues Jahr
was werden die Tage bringen?

Wirds werden, wie es immer war,
halb scheitern, halb gelingen?

Ich möchte leben, bis all dies Glühn
rücklässt einen leuchtenden Funken.

Und nicht vergeht, wie die Flamm im Kamin,
die eben zu Asche gesunken.



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Geändert von Chavali (30.12.2011 um 13:43 Uhr)
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Alt 03.01.2012, 09:33   #7
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Theodor Storm

Weihnachtabend 1852

Die fremde Stadt durchschritt ich sorgenvoll,
Der Kinder denkend, die ich ließ zu Haus.
Weihnachten war's; durch alle Gassen scholl
Der Kinderjubel und des Markts Gebraus.

Und wie der Menschenstrom mich fortgespült,
Drang mir ein heiser Stimmlein in das Ohr:
»Kauft, lieber Herr!« Ein magres Händchen hielt
Feilbietend mir ein ärmlich Spielzeug vor.


Ich schrak empor, und beim Laternenschein
Sah ich ein bleiches Kinderangesicht;
Wes Alters und Geschlechts es mochte sein,
Erkannt ich im Vorübertreiben nicht.


Nur von dem Treppenstein, darauf es saß,
Noch immer hört ich, mühsam, wie es schien:
»Kauft, lieber Herr!« den Ruf ohn Unterlaß;
Doch hat wohl keiner ihm Gehör verliehn.


Und ich? - War's Ungeschick, war es die Scham,
Am Weg zu handeln mit dem Bettelkind?
Eh meine Hand zu meiner Börse kam,
Verscholl das Stimmlein hinter mir im Wind.


Doch als ich endlich war mit mir allein,
Erfaßte mich die Angst im Herzen so,
Als säß mein eigen Kind auf jenem Stein
Und schrie nach Brot, indessen ich entfloh.






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Bei diesem Gedicht habe ich schon als Kind bittere Tränen vergossen


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Alt 21.01.2012, 21:40   #8
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Heute hatte ich ein wenig "Balsam" nötig, daher ein Gedicht von Eduard Mörike, das mich immer wieder zum Schmunzeln bringt:


Lose Ware

»Tinte! Tinte, wer braucht? Schön schwarze Tinte verkauf ich!«
Rief ein Büblein gar hell Straßen hinauf und hinab.
Lachend traf sein feuriger Blick mich oben im Fenster,
Eh ich michs irgend versah, huscht er ins Zimmer herein.
Knabe, dich rief niemand! – »Herr, meine Ware versucht nur!«
Und sein Fäßchen behend schwang er vom Rücken herum.
Da verschob sich das halbzerissene Jäckchen ein wenig
An der Schulter und hell schimmert ein Flügel hervor.
Ei, laß sehen, mein Sohn, du führst auch Federn im Handel?
Amor, verkleideter Schelm! soll ich dich rupfen sogleich?
Und er lächelt, entlarvt, und legt auf die Lippen den Finger:
»Stille! Sie sind nicht verzollt – stört die Geschäfte mir nicht!
Gebt das Gefäß, ich füll es umsonst, und bleiben wir Freunde!«
Dies gesagt und getan, schlüpft er zur Türe hinaus. –
Angeführt hat er mich doch: denn will ich was Nützliches schreiben,
Gleich wird ein Liebesbrief, gleich ein Erotikon draus.

(1837)
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Alt 02.02.2012, 18:56   #9
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Der Bau der Marienkirche zu Lübeck



Theodor Storm 1817 - 1888

Eine Sage

Im alten heiligen Lübeck
Ward eine Kirche gebaut
Zu Ehren der Jungfrau Maria,
Der hohen Himmelsbraut.

Doch als man den Bau begonnen,
Da hatt es der Teufel gesehn;
Der glaubte, an selbiger Stelle
Ein Weinhaus würde erstehn.

Draus hat er manch arme Seele
Sich abzuholen gedacht
Und drum das Werk gefördert
Ohn Rasten Tag und Nacht.

Die Maurer und der Teufel,
Die haben zusammen gebaut;
Doch hat ihn bei der Arbeit
Kein menschlich Aug geschaut.

Drum, wie sich die Kellen rührten,
Es mochte keiner verstehn,
Daß in so kurzen Tagen
So großes Werk geschehn.

Und als sich die Fenster wölben,
Der Teufel grinset und lacht,
Daß man in einer Schenke
So Tausende Scheiben macht.

Doch als sich die Bogen wölben,
Da hat es der Teufel durchschaut,
Daß man zu Gottes Ehren
Eine Kirche hier erbaut.

Da riß er in seinem Grimme
Einen Fels von Bergeswand
Und schwingt sich hoch in Lüften,
Von männiglich erkannt.

Schon holt er aus zum Wurfe
Aufs heilige Prachtgebäu; -
Da tritt ein Maurergeselle
Hervor getrost und frei:

»Herr Teufel, wollt nichts Dummes
Begehen in der Hast!
Man hat ja sonst vernommen,
Daß Ihr Euch handeln laßt!«

»So bauet«, schrie der Teufel,
»Ein Weinhaus nebenan,
Daß ich mein Werken und Mühen
Nicht schier umsonst getan.« -

Und als sie's ihm gelobet,
So schleudert er den Stein,
Auf daß sie dran gedächten,
Hart in den Grund hinein. -

Drauf, als der Teufel entfahren,
Ward manches liebe Jahr
Gebaut noch, bis die Kirche
Der Jungfrau fertig war.

Dann ist dem Teufel zu Willen
Der Ratsweinkeller erbaut,
Wie man ihn noch heutzutage
Dicht neben der Kirche schaut.

So stehen Kirch und Keller
In traulichem Verein;
Die frommen Herrn zu Lübeck,
Die gehen aus und ein.

Sie beten wohl da droben,
Da drunten trinken sie,
Und für des Himmels Gaben
Da droben danken sie.

Und trinken sie da drunten,
Sie denken wohl dabei:
Dem selbst der Teufel dienet,
Wer fröhlich, fromm und frei.




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Chavali ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.06.2012, 17:30   #10
eva
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Ort: im hohen Norden
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ich steure mal meins bei:


Mondnacht

Es war, als hätt' der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst'.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis' die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.



Joseph von Eichendorff
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