Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 18.10.2012, 21:17   #1
Cebrail
verkannt
 
Benutzerbild von Cebrail
 
Registriert seit: 05.08.2010
Ort: Wo der Himmel die Erde berührt
Beiträge: 332
Standard Von der Stille

Wir saßen mal wieder weit oben, aßen Kirschen und schnipsten mit deren Kernen nach den Sternen.
Bei jedem Treffer gab es ein leises Klingeln, (ähnlich dem der alten Flipperautomaten),
der getroffene Stern flackerte und ein Feenfunkenschweif goss sein Licht
über den Nachthimmel.
Es war ein schweigsamer Abend, außer dem Klingeln der Sterne und dem
Surren, wenn ein Kern mit einer unglaublichen Beschleunigung in die Nacht
flog, gab es kein Geräusch.
„Woran denkst du?“, fragte sie, während sie mit einem zusammengekniffenem
Auge den nächsten Stern anvisierte.
„Ich denke an nichts, ich lausche“.
Mein Kirschkern kullert über die Dachfläche und hüpft über die Rinne in den Garten.
Vielleicht wird ja ein Baum daraus.
„Wonach lauscht du?“
Wieder ein leises Klingeln.
Sie ist eine gute Kirschkernbeschleunigern.
„Ich lausche der Stille“, antwortete ich und mein Kern eierte über den Ring des Saturns, um sich auf der Rückseite der Nacht zu verlieren.
„Wie kann man der Stille lauschen? Man kann die Stille doch
nicht mit dem Singen eines Vogels oder einer quietschenden Bremse vergleichen“, mit einem gekonntem Schuss lenkte sie mein Geschoss aus seiner Bahn und riss einen Lichtkrater in den Himmel.
„Doch Stille hat einen Ton, eigentlich sogar viele. Manchmal kommt sie
lässig-lasziv wie mexikanische Trompete daher und beim nächsten Mal gleicht sie dem Kratzen einer Feder auf Papyrus.“
Endlich mal wieder ein Treffer für mich und mein Ziel taumelte leicht.
„Und was hörst du jetzt, in dieser Nachtstille?“
„Ich höre einen dieser kleinen, lautlosen Momente, die unscheinbar und wispernd unser Leben streifen. Die Menschenkinder warten immer auf einen großen Knall der das Leben ändert, aber den gibt es nur im Film oder in Romanen, die großen Einschnitte passieren uns schleichend und jetzt höre ich wie sie mit leichter Hand ihre Letter auf unser Seelenpergament fließen läßt.“

Zu dem Rascheln der Kirschtüte gesellte sich ein Knistern wenn sich unsere Hände wie zufällig, auf der Suche nach einer besonders guten Flugkirsche, berührten und Funken tauschten.

„Dann ist das jetzt ein kleiner Moment, einer kleiner Moment der groß
ist,“ sagte sie und im Funkenregen ihres Volltreffers konnte ich sehen wie ein
Lächeln ihre Mundwinkel umspielte.
__________________
© auf alle meine Texte

„Mir gefiel der Geschmack von Bier, sein lebendiger, weißer Schaum, seine kupferhellen Tiefen, die plötzlichen Welten, die sich durch die nassen braunen Glaswände hindurch auftaten, das schräge Anfluten an die Lippen und das langsame Schlucken hinunter zum verlangenden Bauch, das Salz auf der Zunge, der Schaum im Mundwinkel.“
Dylan Thomas

Geändert von Cebrail (18.10.2012 um 23:10 Uhr) Grund: ein "u"
Cebrail ist offline   Mit Zitat antworten