Thema: Sonett
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Alt 06.08.2016, 16:52   #5
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi Romantiker, Koko!

Dieses Werk als Sonett zu bezeichnen, nur weil es 2 Quartette und 2 Terzette hat, halte ich für übertrieben. Abgesehen davon hat es nämlich absolut nichts von einem Sonett.

Sonett:
2 Quartette mit denselben umarmenden Reimen (ABBA), im 2. Quartett zuweilen auch gespiegelt (im modernen Sonett nicht Pflicht)
2 Terzette mit 2 oder 3 Reimen (die letzten beiden Zeilen des letzten Terzetts sollen nicht paargereimt sein, aber auch das ist alte Schule)
Unbetonter Auftakt, fünfhebige Verse, weibliche Kadenzen
Quartette stellen These und Antithese dar, die Terzette ihre Synthese (alte, klassische Auslegung)


Schauen wir uns mal deine erste Strophe an:

Auf welchen himmelwärts strebenden Wiesen

Die Sonettzeile hat unbetonten Auftakt (hier erfüllt), weibliche Kadenz (hier erfüllt) und ist fünfhebig: xXxXxXxXxXx. Wie sieht deine Zeile aus?

So: xXxXxxXxxXx = Auf welchen himmelwärts strebenden Wiesen

Das sind nur vier Heber, aber schlimmer sind die Senkungspralle dazwischen, die es im Sonett so nicht geben dürfte. Wendet man das korrekte Betonungsmuster auf diese Zeile an, so ergibt sich eine unnatürliche Betonung:

Auf welchen himmelwärts strebenden Wiesen


Die nächste Zeile:

wachsen in heißer Blüte Blumen der Hoffnung,

XxxXxXxXxxXx

Betonter Auftakt (andere Betonung wäre unnatürlich), wiederum unregelmäßige Senkungspralle. Im Sonettschema läse sich die Zeile so:

wachsen in heißer Blüte Blumen der Hoffnung,

was 6 Heber ergäbe, da die Zeile 12 Silben hat, eine zuviel. Zudem hätten wir so eine männliche Kadenz am Ende.


Nächste Zeile:

entrückt, verborgen an Hängen, die diesen

xXxXxxXxxXx

Wiederum nur vier Heber und Senkungspralle. Wie diese Zeile sich im korreken Betonungsschema anhören würde, kannst du dir mittlerweile denken.


Und Zeile 4:

dunklen Räumen schenken herzschere Erbauung ?

Zuerst denke ich, es soll wohl "herzschwere" heißen (Darauf hat schon Koko dich aufmerksam gemacht. Hältst du es nicht für nötig, deine Fehler auszubessern?). Vor dem Fragezeichen ist eine unnötige Leerstelle. Die unschöne Inversion in dieser Zeile gibt ihr den Rest. Das Schema hier:

XxXxXxXxxxXx

Gratuliere - ein Senkungsprall mit gleich 3 Silben, das sieht man nicht alle Tage! Nebenbei betonter Auftakt. Versteh mich richtig - ich schreibe selbst ab und zu ein Sonett mit betonten Auftakten! Aber da ist es konsequent durchgehalten von Beginn bis Ende und ein bewusst angewandtes gestalterisches Element. Bei dir gibt es nicht einmal eine Regelmäßigkeit, was das betrifft!


Strophe 2:

Blumen, niemals welkend, die keiner dir nimmt - betonter Auftakt, männliche Kadenz. Schema: XxXxXxxXxxX
mögen Zeitenstürme auch toben und wallen - betonter Auftakt, Schema: XxXxXxxXxxXx
dir sind glorreiche Blüten von Engeln bestimmt, Betonter Auftakt, männliche Kadenz. Schema: XxXxxXxxXxxX
deren Lieder dir stets im Innersten hallen. Betonter Auftakt. Schema: XxXxxXxXxxXx

Des weiteren wäre noch zu bemerken, dass deine Quartette das falsche Reimschema haben (ABAB).
Die Terzette sind nicht besser, aber die zu analysieren und mit dem Rest zu überarbeiten überlasse ich dir, solltest du überhaupt daran interessiert sein, etwas an deiner Kunst zu verbessern.

Ach, sind denn, jenseits von glühenden Sternen,
fernab von unsrem Versagen und Lernen,
die ewigen Auen uns fruchtbar und weit ?

Wer vermochte, ohne ein blindes Sehen,
rein und fest in diesen Reichen zu stehen ?
Doch jene Blumen sind immer für uns bereit.


Wozu die Leerstellen vor den Fragezeichen?

Abschließend: Jaja, ich weiß, du berufst dich auf deine "Sprachmelodie" und deine ganz persönliche künstlerische Freiheit, mit der du die klassischen Formen neu interpretierst, nur um "Freude zu bereiten". Soll sein. Ich habe mehr Freude an Sonetten, die diese Bezeichnung auch verdienen, aber das nur nebenbei. Ich hätte nichts dagegen, wenn du als Titel "Sonettexperiment" oder "Sonettartiges" gewählt hättest, das wäre korrekt gewesen.

Würde mich interessieren, ob du es auch richtig kannst. So wie die großen Maler im 19. und frühen 20. Jhdt erst gegenständlich malten, um sich dann davon zu lösen und das bewusste Abstrahieren zu erfinden (Pointilismus, Kubismus, Impressionismus, Expressionismus usw...), so sollte auch ein Dichter erst mal das klassische Handwerk beherrschen, ehe er damit herumspielt. Wenn du das beweisen kannst, nehme ich dich gerne als Künstler ernst.

Zuletzt: Rilke ist mein großes und absolutes Vorbild. Du hast recht, er hat die Sonettregeln nicht immer befolgt, und es hat seiner Kunst nicht geschadet. Aber niemals hätte er im Sonett Senkungspralle verwendet, obendrein ohne Regelmaß, und auch niemals innerhalb eines Sonetts zwischen betonten und unbetonten Auftakten gewechselt. Die Kadenzen wechselte er nur in strengem Regelmaß. So betrachtet ist dein Argument nicht stichhaltig.

Dies ist mein letzter Versuch, dir etwas klar zu machen, ohne dich herabwürdigen zu wollen. In Zukunft werde ich deinen Werken fern bleiben, wenn sich qualitativ nichts verbessert.


Alles Gute weiterhin,

eKy
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Geändert von Erich Kykal (06.08.2016 um 17:02 Uhr)
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