Thema: Glauben
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Alt 09.03.2014, 17:52   #5
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Moin wüstenvogel,

alles, was du geantwortet hast, muss ich natürlich als deine Meinung akzeptieren, denn deine Überzeugung beruht ja auf der Vorstellung der Welt, so wie sie dir erscheint.

Ich persönlich habe da allerdings eine ganz andere Vorstellung, vor allem, da ich davon überzeugt bin, dass kein Mensch einen natürlichen Glauben besitzt.

Wir sollten einmal das Wort "Glaube(n) näher untersuchen.
Glaube(n) steht im krassen Widerspruch zu Wissen.
Natürlich könnte man an dieser Stelle einwenden, dass wir alles, was wir wissen, nur zu wissen glauben.
Das ist natürlich die Universalantwort, ein quasi unschlagbares Argument, dem ich sogar aus philosophischer Sicht fast geneigt wäre, zuzustimmen, doch stimmt das wirklich?

Im Gegensatz zum Glauben beruht Wissen auf nachweisbaren Fakten und Glaube fängt dort an, wo Wissen und Fakten aufhören, er geht nämlich unmittelbar darüber hinaus und ist das, was man im Allgemeinen Spekulation nennt.
Wird ein Glaube gesellschaftlich institutionalisiert, dann wird er zu einer vorgeschriebenen Wahrheit für all jene Menschen, die sich ihm nicht entziehen können.

Erinnern wir uns. Als die katholische Kirche noch predigte, die Erde sei eine Scheibe, um die sich alle anderen Gestirne drehten, durfte niemand öffentlich etwas anderes behaupten, um nicht der Ketzerei beschuldigt zu werden.
Einige wussten, dass dieses Weltbild nicht der Wahrheit entsprach, aber die meisten haben das tatsächlich geglaubt.

Ich wiederhole mich zwar, doch es ist wichtig: Kein Mensch wird je als Moslem, Hindu oder Christ etc. geboren, sondern zu einem solchen gemacht.
In allen religiös geprägten Gesellschaften werden schon die kleinen Kinder einer Gehrinwäsche unterzogen, die vergleichbar ist mit der des dritten Reichs oder anderen extrempolitischen Diktaturen.
Und warum? Weil es den jeweiligen Sitten, Bräuchen, Kulturen und Gewohnheiten entspricht.
Doch ist das nicht fatal?

Noch heute, wo wir wissen, dass die Erde nur ein winziges Staubkörnchens irgendwo im Universum ist, noch heute stehen sich Glaubensgruppen mit Milliarden von Menschen aufgrund ihrer Weltanschauung misstrauisch gegenüber und teilen sich in gut und schlecht ein, in gläubig und ungläubig.
Noch heute schlachten sie sich gegenseitig ab, z.B. Christen und Moslems.
Doch sind Täter oder Opfer wirklich Christen oder Moslems, oder sind es nicht viel mehr religiöse Menschen, die tief in ihrem Inneren zersplittert sind, weil sie wegen ihres Glaubens die Wahrheit nicht erkennen können, dass ihre Gegner im Grunde nur leidensfähige Menschen sind, die genau dasselbe wie sie selbst tun, nämlich GLAUBEN?


Wer war Jesus?
Ein jüdischer Prediger, der den starren jüdischen Glauben reformieren wollte.
Er zog mit seiner Jüngerschar durch die Lande und besaß höchstwahrscheinlich eine sehr gute (ägyptische) Bildung. Zudem war er rhetorisch geschickt und wusste zu überzeugen.
Diese kleine Sekte fand bei den Ungebildeten und Armen ihrer Zeit Zuspruch, denn ihre "Lehre" versprach Hoffnung und Trost für jedes Schicksal.
Doch man sollte dabei nicht vergessen, dass diese "Lehre" auf dem alten Testament und den platonischen Ideen beruhte.

Ich stimme dir zu, dass sehr vieles von dem, was er gepredigt hat, auch heute noch Gültigkeit besitzt.
Aber es waren nicht seine Ideen, sondern die des Platons, der damals einflussreichsten Persönlichkeit in der Geistesgeschichte. In der Metaphysik und Erkenntnistheorie, in der Ethik, Anthropologie, Staatstheorie, Kosmologie, Kunsttheorie und Sprachphilosophie setzte jener Platon nämlich die Maßstäbe, die bis heute Gültigkeit besitzen.
Der Prediger Jesus konnte dies aber nur an den einfachen Mann bringen, indem er ihren "alten Glauben" berücksichtigte und mit einbezog. Das war sein Verdienst, auch dass er für seine Überzeugung vermutlich in den Tod ging.

Wie das alles genau geschehen ist, können wir heute nur noch schlecht nachvollziehen, denn die Überlieferungen aus der Bibel sind nicht zeitgemäß, sondern erst viel später niedergeschrieben worden.
D. h., auch diese sind subjektiv und ideologisch verfälscht und was die spätere römische Politik daraus gemacht hat, ist ja als bekannt vorauszusetzen. Und nur dieser und der Unwissenheit der Völker ist es zu verdanken, dass dieser Kult bis in die heutige Zeit überleben konnte.

Die Kirche hat immer versucht, den Menschen Bildung und Wissen vorzuenthalten, denn Bildung und Wissen(schaft) sind die Todfeinde jeglicher Religion und jeglichen Glaubens.
Sie konnte nur deshalb ihren Einfluss in unseren Gefilden verlieren, weil sie Bildung, Wissen und Aufklärung des modernen Menschen nicht mehr länger verhindern konnte.

Und überdies:

Welche Religion hat diese (Menschen)Welt bis heute auch nur ein kleines bisschen vorangebracht und besser gemacht? Welche?

Die platonischen Ideen alleine ohne das ganze dogmatische und göttliche Brimborium, hätte als Lehre wahrscheinlich mehr Verständnis für den Menschen gebracht, als all diese einfältigen und infantilen Gedanken von höheren Wesen und Geistern, welche die Menschen ideologisch manipulieren und vergiften.

Und das ist Glaube(n). Das Glauben an fantastische Dinge und Wunder und jeder glaubt fest daran, dass sein persönlicher Glaube der einzig richtige sei.

Deshalb ist Glaube(n) auch gefährlich und kann durch die Hände von Fanatikern zu einer Bedrohung für die Menschen werden, so wie es immer gewesen ist und auch heute noch Gültigkeit besitzt.

Hier ist nämlich keine Einsicht der platonischen Ideen gegeben, sondern die psychische und physische Abhängigkeit von einem bestimmten Glauben, ein Verhalten, dass durch bloße Annahmen gesteuert, eine perverse und menschenverachtende, weil wertende Richtung einschlägt.

Glaube ist Diskriminierung aller Anders- und Nichtgläubigen und besitzt faschistoide Strukturen.

Der Glaube an das Leben, die Menschen, an die Gefühle, die Liebe, die Fähigkeit zum Mitleid, weil man sich im anderen wiedererkennt, dieser Glaube alleine würde reichen, um die Welt ein wenig besser zu machen und nicht der Glaube an irgendein fantastisches Dogma, das in seiner Allmächtigkeit die Welt so erschaffen hat, wie sie ist.

Denn diese unsere Welt ist bei Weitem nicht die beste aller vorstellbaren Welten, denn wäre sie nur ein ganz klein wenig schlechter, so würden wir erst gar nicht sein.


Zitat:
"Der religiöse Mensch ist nicht zersplittert, er teilt das Leben nicht in Abschnitte ein. Er umfasst das Leben in seiner Gesamtheit mit seinen Leiden und Schmerzen, seinen Freuden und vorübergehenden Befriedigungen. Der religiöse Mensch ist in einem Zustand der Unschuld, weil er völlig frei ist von Ehrgeiz, Gier, Neid, Wettstreit und dem Verlangen nach "Mehr"." (Krishnamurti)
Eigentlich spricht das für sich, denn wenn das stimmte, wäre der Umkehrschluss daraus, dass der nicht religiöse Mensch keine dieser Eigenschaften erfüllen könnte und sich somit in einem Zustand der permanenten Schuld befände.
Nichts anderes behauptet z. B. der katholische Glaube.
Zudem ist das Zitat lediglich Krishnamurtis Wunschvorstellung von einem religiösen Menschen.
Ich kann das lediglich interpretieren als Versuch oder Ansatz, eine Aussöhnung unter den verschieden Religionen erreichen zu wollen, in dem er ihnen dieselben Eigenschaften und Motivationen zuweist.
Sehr löblich, doch vergeblich.

Ich glaube aber auch etwas:

Dass kein Mensch etwas Göttliches oder Teuflisches in sich trägt, sondern lediglich das Produkt der Summe seiner Eigenschaften und seines Charakters ist.
Ein Lebewesen, aus der Natur geboren, mit Instinkten, Gefühlen und einem Hauch von Bewusstsein, dass es ihm möglich macht, sich seine eigene fantastische Weltvorstellung zu erschaffen.

Wem ein Glaube(n) dabei hilft, das zu bewältigen, der mag sich daran festhalten und derart festgelegt durchs Leben gehen.

Ich für meinen Teil halte mir lieber alle Wege offen und bezeichne mich daher als nicht religiös. Denn "religiös" bedeutet für mich, in seinem Denken und Handeln vom Glauben an (irgend)eine göttliche Macht geprägt zu sein.
Dem kann ich mich leider nicht anschließen, das lässt meine subjektive Vernunft nicht zu.


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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