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Alt 17.06.2019, 17:39   #11
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi Thomas!

Seltsame Idee, dass ein Reim eine "unnatürliche Wiederholung" sei!

Stimmte dies, dürfte kein Lied einen Refrain haben, kein Bildinhalt dürfte mehr als einmal gemalt werden, kein Märchen einem Kind öfter als einmal erzählt werden, kein Film öfter als einmal gesehen, kein Buchstabe öfter als einmal verwendet werden in einem Satz!

Wer immer diesen kleingeistigen Blödsinn verzapft hat, versteht absolut nichts von Lyrik - oder von Kunst oder Imaginationskraft überhaupt. Er versteht nichts von Musik oder davon, wie der Mensch als bewusstes Wesen funktioniert.

Wiederholungen sind quasi unser Markenzeichen, damit bestätigen wir uns jederzeit das bereits Gelernte und Bewusste, bestätigen unseren kulturellen Imperativ, die gemeinsame Erinnerung dessen, woher wir kommen, wer wir sind und wohin wir wollen!

Der Reim ist sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner dieser Funktion, und das Gedicht, das aus solchen besteht, beschreibt die jeweils nötige Aussage, um ein Gefühl zu erwecken, eine Erinnerung zu triggern oder eine neue Einsicht zu befördern! Das Ergebnis nennt man Lyrik! (... und sicher nicht das "moderne" Wortgestakse mit möglichem Aha-Effekt, das der Zeitgeist nährt)

Nicht umsonst merkt man sich Gereimtes viel schneller und leichter als Prosa! Das wussten damals die Werbetexter in der ersten Hälfte des 20. Jhdts noch allzu gut - ehe es aus der Mode kam, warum auch immer. (vielleicht weil die Sprüchlein gar zu platt waren und zu oberflächlich in ihrem Versuch, Kunden zu gewinnen?)

Nein - der Reim wird niemals etwas Unnatürliches sein, ebenso wenig wie die Wiederholung des Herzschlags oder des Atemzugs!

LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
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Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
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Geändert von Erich Kykal (18.06.2019 um 12:59 Uhr)
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