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Alt 09.01.2015, 22:10   #6
AAAAAZ
Wortgespielin
 
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Hi Erich alias Charlie,

erbsenzählerisch muss man da doch nicht sein, um sich für eine differenzierte Sicht zu bemühen und einzusetzen, besonders im Detail und in der Sprache.

Klar, da sind dort die Aggressoren, und hier die Geschädigten, ein bisschen religiöser Zauber drumrum und fertig ist die Meinungssoße. Aber wir sitzen doch hier bei einem Intellektuellen Stammtisch mit echten Dichtern und Denkern zusammen. Da darf als Botschaft schon etwas mehr bei rauskommen.

Beunruhigend ist mEa, dass sich die ,,Gotteskrieger" aus islamischen Kreisen rekrutieren lassen.
Wasser auf die Mühlen aller, die noch eine Abrechnung vorzunehmen haben, die nun ihre Fremdenfeindlichkeit bestätigt sehen, die in der Angst vor Überfremdung bombensichere Argumente geliefert bekommen, und natürlich auch für Atheisten, die mit einer sauberen Generalabrechnung durchstarten können.
Beunruhigend in sofern, dass übergriffige und eskalierende Mechanismen in Gang geraten können, und sich nun für Vorurteile Bestätigungen finden lassen.
Gefragt sind jetzt die Intellektuellen, die Künstler, die Politiker, Querdenker und Brückenbauer, weniger die Scharfmacher.
Wer wollte vor einem Bombenleger stehen bleiben, und sich mit einer simplen Liquidation dieses bedrohlichen Zeitgenossens ernsthaft des Problems entledigt fühlen? Welches Guantanamo soll die Isistruppen aufnehmen? Ein Märthyrer zieht zig neue hinterher. Wer wollte auf Sieg setzen und ernsthaft glauben, dass eine neue gewonnene Weltordnung mit Unterdrückung oder Domestizierung des Islams dauerhaft den Weltfrieden sichern könnte.
Der Entwicklung des Islams fehlt die Zeit der Aufklärung, welche eine Trennung von Staat und Religion hier zur Selbstverständlichkeit hat werden lassen, für viele lange noch nicht genug. Wir müssen in der intellektuellen Auseinandersetzung auf Stärkung des vorhandenen Respekts, Toleranz und Mindeststandarts setzen.

,,Es hat keinen Sinn, gegen eine Islamisierung Europas zu protestieren, denn Europa ist bereits so islamisch, wie Saudi-Arabien es in naher Zukunft kaum werden kann."
so wird Professor Hossein Askari von der George Washington University in der SZ vom 07. Januar 2014 in einem Beitrag von Tim Neshitov zitiert. Untersucht wurde, inwiefern Länder in ihrer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik mit den Geboten des Koran in Einklang stehen. Ausgehend vom Ideal einer gerechten islamischen Gesellschaft untersucht er, wie das Nationaleinkommen verteilt und die Armut bekämpft wird, ob Verträge eingehalten und Gesetze respektiert werden, wie viel Schmiergeld fließt, wie gut Schulen und Krankenhäuser ausgestattet sind. Ausgehend von diesem "Islamicity"-Index wurden von ihm Gerechtigkeitsaspekte innerhalb einer Gesellschaftsform untersucht.
Wenn wir uns einen Blick und Vergleich zwischen den Staaten bzw. Kontinenten erlauben, wissen wir längst, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander geht, was auch in naher Zukunft noch für eine Menge Zündstoff sorgen wird.
Bombenanschläge sind unmenschlich, ungerecht, zynisch und indiskutabel, keine Frage.
Wie groß unser Anteil an der Bombenstimmung ist, inwieweit wir mit unserer Denke und Einstellung zum Gralshüter von Wohlstand geworden sind und um unsere Pfründe bangen, will ich nur einmal so dahingestellt lassen. Ob und inwieweit wir selbst bereit sind, für eine gerechtere Verteilung zu sorgen, und dafür wirtschaftliche Großinteresssen aufs Spiel setzen, wage ich zu bezweifeln.
Damit will ich nicht gegen westliche Demokratien reden, ist mir allemal lieber als ein saudi arabisches Konstrukt mit seinen verkrusteten Strukturen.
Damit will ich nur sagen, dass uns allen schon längst vorher klar gewesen ist, dass der Weltfriede durch ungerechte Verteilung von Ressourcen, durch Umweltzerstörung, Entindividualisierung etc. gefährdet gewesen ist, und wir uns zwischenzeitlich auf der Insel der Glückseligen mit unseren Wohlstandsproblemen herumgeschlagen haben. Über den Tellerrand hat kaum jemand hinausgeschaut.
Jetzt, wo die ersten Bomben fallen, sollen wir nichts besseres zu tun haben, als auf den ,,bildungsfernen Idioten" zu zeigen um uns darüber zu echauffieren, wie bildungsfern doch dieser ist? ? Wie idiotisch ist das denn bitteschön.
Es sind nicht diese verblendeten Angsthorden, die uns Angst machen sollten. Für mich sind unsere Ignoranz, unser Besitzdenken, unser Konsumismus, unsere Scheuklappen und unsere Entsolidarisierung die eigentlichen Feinde. Und mit uns meine ich den Westen, (zugegebenermaßen auch recht undifferenziert betrachtet).
Wir müssen ein gemeinsames Interesse entwickeln, dass es Bildungschancen für Menschen in aller Welt gibt, bevor wir unsere realitätsfernen Kraftmeiersprüche gegen Menschen richten, deren bildungsferne Saat später blindwütig ganze Schneisen in die Weltgemeinschaft bomben werden. Wir kennen doch heute schon das Pulverfass welches uns morgen um die Ohren fliegt.
Dialog ist für mich immer der erste Schritt, natürlich konfessionsübergreifend dh. auch mit den Nichtgott- Gläubigen an einen Tisch.
Die ,,Zwangsenttheisierung" der Welt mag manchem Atheisten als einzige Lösung vorschweben, und der Isis Kämpfer bombt für seinen Gottesstaat, der ihm die Zukunft und das gelobte Land verspricht.
In beidem kann ich keinen realistischen Lösungsansatz für eine Welt von morgen entdecken. LG Az

Geändert von AAAAAZ (11.01.2015 um 13:42 Uhr)
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