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Alt 02.02.2013, 12:05   #4
Thomas
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Hallo Chris,

durch deine Antwort auf Falderwald verstehe ich nun, was du mit deinem Gedicht sagen willst und verstehe auch, wie die "Zerissenheit" des Textes notwendig aus dem entspringt, was du ausdrücken willst.

Da ich annehme, dass du den Kopf nicht völlig abschalten willst, schreibe ich ein paar Ideen, die dich vielleicht interessieren und sich über die Augen dorthineinschleichen werden.

"Wenn du denkst du denkst, denkst de nur du denkst, etc." Behauptung: Wenn Denken keine Freude macht, dann ist es kein richtiges Denken.

Es gab einmal einen ganz tollen Denker, der ist wahrscheinlich noch zu schwer für dich zu lesen, er hieß Nikolaus von Cues und hat wirklich wilde Dinge gedacht, Dinge, deren Bedeutung erst Jahrhundert später verstanden wurde. Er sprach von der "Süßigkeit der Weisheit"! Denken war ihm ein Genuss, wie Marzipan und Schokolade. Der Widersprich zwischen Glück und Erleuchtung bestand für ihn nicht. Vielleicht ist das eine Lösung des Problems. Was "denkst" du?

Übrigens, habe ich einen Test für den erwähnten Streber. Sage ihm doch, er solle die Mathematischen Schriften von Cues lesen, nicht irgendwelche klugscheißerischen Kommentare, sondern die Schriften selbst, die es in deutscher Übersetzung gibt. Wenn er nach drei bis vier Wochen das Gefühl hat, er muss ins Irrenhaus, ist er auf dem richtigen Weg endlich ernsthaft mit dem Denken anzufangen. Den Rest verrate ich dir, wenn es soweit ist.

Ich wollte aber auch noch ein paar Worte zu deinem Gedicht sagen.

Ein Träumer bin ich ewiglich,
mein Ich wird immer sein.
Schenk mir den kurzen Augenblick,
nur ich mit dir allein.

Das wäre eine Strophe, wie sie in einem Volkslied stehen könnte, rein jambisch 4 und 3 Versfüße wechselnd und Reim der 2. und 4. Zeile. Da diese Form so häufig vorkommt, klingt sie in unserem kollektiven Gedächtnis, mit dem der Dichter immer (Goethe ganz besonders) spielt, unweigerlich an. Aber einfach so wäre sie unpassend und langweilig. Du machst (wahrscheinlich unbewusst) etwas sehr Schönes damit, indem du den Gegensatz "Ewiglich" zu "Lediglich" hervorhebst, was wiederum inhaltlich, d.h. zum Gegensatz von Denken ewiger Dinge zu lediglich augenblicklichem Glück, sehr angemessen ist.

Ein Träumer bin ich,
Ewiglich,
Mein Ich wird immer sein,
Schenk mir den kurzen Augenblick,
Lediglich,
Mit dir allein.

Der zuerst anklingende (volksliedhafte) Rhythmus wird dadurch auf interessante Weise gebrochen. Das ist sehr gut und vielversprechend. Leider geht es dann nicht auf dem Niveau weiter, wozu Falderwald ja einiges gesagt hat.

Ich schreibe das so ausführlich, weil ich dir damit sagen will: Ich glaube du hast Potenzial. Wenn du ein paar Monate wegen der Schule Dichterpause machst, ist das ok, aber dann solltest du unbedingt wieder anfangen, und weiterhin viel Goethe lesen, von dem alten Knacker kann man einiges lernen, "denke" ich.

Liebe Grüße
Thomas

P.S.: Ich denke, also bin ich! Ob das mal so stimmt?
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© Ralf Schauerhammer

Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller
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