Thema: Goldene Tage
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Alt 09.10.2011, 10:48   #4
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asphaltwaldwesen
 
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liebe larin,


dein text geht ganz tief an die wurzeln. und das auf wunderbar "leichte" weise, indem er sich eines naturbildes bedient.

und falderwald hat schon gold-richtig erkannt, dass hier die natur und die menschliche natur gemeint sind. in ihrer verflechtung, als metapher, aber auch - an der wurzel - auf der philosophischen ebene der wahrnehmung der welt durch den menschen.

der blick aufs "goldene" - erst der relativiert das erleben und unterteilt es für uns menschen in "schönes" bzw. "gutes" oder "schlechtes". uns widerfährt aber immer ein gesamtes: nämlich leben. als teil der natur sind wir leben und zugleich "passiert" uns leben.

unser verstand - segen und fluch zugleich - erkennt, was uns "gutttut", was sozusagen "glänzend" in unser erleben eingeht, und was uns das idealisierte lebensbild "verschmutzt". da das gold, dort der schmutz - und so werten wir.

dass das grundfalsch ist und wider die natur, wollen wir nicht wahrhaben.

"so golden sind die tage nur noch selten" sagt ja, dass wir dem ideal-trugbild aufsitzen, es gäbe im besten fall ausschließlich goldene tage und nur die wären "lohnend", gewinnbringend.

das schlechte, das uns widerfährt, würden wir gern ausradieren. oder erst gar nicht auf der edlen oberfläche finden müssen. leben ist aber nicht edel. es ist leben. es gibt kein "schön" ohne "hässlich". und kein "golden" ohne "dreckig". das eine könnte ohne das andere gar nicht als "wert" existieren.

dein text benennt die ausnahme des ausblendens einer bitteren wahrheit genau einmal. er nennt es "demut". demut bedeutet, seinen wahren platz in einem gefüge zu erkennen. nicht zu fordern, was keinen sinn macht. hinzunehmen, was ist. dankbar zu sein, dass es eben nicht nur das "dreckige" gibt. sondern auch goldenes im leben.

dass wir menschen den blick auf das goldene lenken und das andere ausblenden wollen, fußt auf unserem urbedürfnis dem leid zu entgehen. das ist unser hauptantrieb in all unserem handeln und denken. leid zu vermeiden, es auszublenden.

gold überstrahlt so gut. den blick nur dorthin zu richten, um den anderen teil der natur dadurch erträglich zu machen, ist also natürlich und richtig zugleich. denn wäre es umgekehrt, würden wir am eigenen dasein verzweifeln und vermutlich etwas wie "lebenswert" gar nicht kennen in unserem konzept von leben.

die zeile

Zitat:
Wir gier’n nach Licht, doch neben uns verblassen Sterne
birgt aus diesem blickwinkel für mich die wahrheit, dass wir immer werten und nie das gesamte sehen können. nicht einmal, wenn es ausschließlich aus glänzendem bestünde. wir brauchen etwas, das in der ferne strahlt - ein ideal, das uns unerreichbar bleibt.

um nicht das gefühl des stillstands des daseins haben zu müssen?

wie wäre das ideale verhältnis zwischen streben nach dem glänzenderen, otpimalen und hinnehmen dessen, was ist? an keinem dieser beiden pole wäre ein dasein ohne bewegungsrichtung nach "drüben" erträglich, behaupte ich.

die selbstlüge
Zitat:
erkennst du: Oh, wie wohlgeraten
ist doch die Welt!
ist lebenszweck. die welt ist, wie sie ist. und sie ist immer gerade so, wie wir sie sehen wollen. "wohlgeraten" - wir wollen daran glauben. und wenn sie uns nicht gerade ihre "andere seite" zeigt, können wir auch beweise dafür entdecken. und vermutlich ist sie auch wohlgeraten - nur anders, als wir es mit unserem konzept davon interpretieren wollen. wie würden wir uns moralisch entwickelt haben als rasse, wäre das leben bzw. dessen natur nicht so wohlgeraten im immerwährenden ausgleich aus goldenem und schmutzigem?


das eine ist die natur der welt und des platzes, den sie uns zuweist. das andere thema ist unsere natur. ohne sie könnten wir nicht sein. zugleich fühlen wir uns nur in-uns-ruhend, wenn wir diese natur zu kontrollieren vermögen (und ich rede hier nicht von der illusion des kontrollierten lebens!). das rechte maß leben können. diszipliniert mit dem gold umgehen, anstatt es einfach vorauszusetzen - nur, um dann bitter enttäuscht zu werden.

der mensch wird sich selbst wohl immer ein rätsel bleiben. zugleich entwickelt er die erstaunlichsten strategien, um das "auszuhalten".


danke für diesen schubbs in die philosophische ecke. dein text hat viel in bewegung gebracht bei mir. und diesen impulsen bin ich gern gefolgt.


lieber gruß,


fee

dein gedicht stößt dieses thema an. zumindest für mich.

Geändert von fee (09.10.2011 um 10:54 Uhr)
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