Thema: Deutschland
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Alt 09.06.2022, 11:39   #6
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Hi Chavi,

worum geht’s? Wie immer, um ein paar bescheidene Euros. Es geht immer nur ums Geld.

Mein Kühlschrank ist voll, mein Kleiderschrank auch, ich habe ein Dach über dem Kopf, ein kleines altes Auto, ein paar Musikinstrumente und wenn ich wollte, könnte ich auch ein paar Tage in Urlaub fahren, was will ich also mehr?

Wenn ich die Pobacken eines Tages zusammenkneife, kann ich eh nix mitnehmen, also was soll’s?

Du schreibst, sich nicht alles wie die „Schlafschafe“ gefallen lassen. Was möchtest du denn gerne tun? Also sollen sich jetzt alle mit Knüppeln und Mistgabeln bewaffnen, auf die Straße gehen und alles, was nicht gefällt, kaputt schlagen? Ist das eine Lösung?

Eine konkrete Aufzählung für alles, werde ich von dir nicht bekommen, weil du es nicht aufzählen kannst. Ich sehe und ich höre und ich bin mitten drin, mitten in der Gesellschaft, mitten im Berufsleben und ich habe mit einer Menge Leute zu tun. Und ich sehe andere Dinge. Darunter sind auch Dinge, die mir nicht gefallen, aber wenn ich selbst keinen blassen Schimmer davon habe, wie man das ändern oder verbessern könnte, dann tue ich mich schwer damit, meinen Frust auf andere abzuwälzen. Zumal mich viele Dinge persönlich gar nicht betreffen oder mein Leben eigentlich tangieren.

Und noch einmal, ich sehe, ich höre und ich will auch sehen und hören und ja, ich bin auch manchmal frustriert und dennoch lebe ich in einem Land, wie es kaum ein anderes auf der Welt gibt und ich bin nicht bereit, nur den ganzen Scheiß zu sehen, sondern auch die positiven Seiten. Und wenn ich heute einen Text über Deutschland schreiben würde, dann könnte ich gar nicht anders, als auf andere Teile der Welt zu blicken, nur um im Endeffekt zu dem Ergebnis zu kommen: Mir geht’s noch verdammt gut.

Das System ist nicht perfekt, das wird es auch nie sein, aber wir sind eben nicht alleine auf dieser Welt und wir müssen mit dem Rest der Welt auch noch klar kommen, sonst scheißt dieser Rest dieses Land nämlich so zusammen, dass wirklich Grund zum Jammern angesagt ist.

Und was sind jetzt ganz konkret die hirnrissigsten und abstrusesten Veränderungen, denen man hier täglich ausgesetzt ist?
Auf der Hand liegt das nämlich schon mal gar nicht, denn es kommt immer auf den Standpunkt des Betrachters an. Und manchmal muss man auch umdenken. Dafür braucht es aber auch ein gewisses Maß an Bereitschaft, Einsicht und Weitsicht.

Ach ja, und Nutznießer bin ich hier ganz bestimmt nicht alleine. Oder musst du Kohldampf schieben, unter einer Brücke schlafen oder irgendwelche Nöte leiden?

Geh mal 100 Jahre zurück. Da gab es die Weimarer Republik. Die ist gnadenlos gescheitert, weil ihre Zeit eigentlich noch gar nicht gekommen war. Hunger, Mord, Totschlag, Anarchie waren an der Tagesordnung und das hat nicht zuletzt die Machtübernahme durch die Nazis begünstigt.

Heute sind wir weiter und zum Glück eine wehrhafte Demokratie. Und ich sehe, dass sich dieses Land so verändert hat, dass die (Ver)führer keine Chance mehr haben werden, weil immer mehr Menschen einsehen, dass man eben über den Tellerrand hinausschauen muss und nicht ständig das eigene Wohl vor Augen haben darf. Und das ist gut so, auch wenn es einigen Menschen nicht passt. Aber auch die profitieren davon, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollen.

Ich sehe auf jeden Fall ein ganz anderes Deutschland. Es ist nicht perfekt, aber es ist bunt, es ist warm und es lebt. Und ich kann nur hoffen, dass die Krisen, die vielfach von außen kommen, daran nicht so schnell etwas ändern werden. Das hoffe ich, für uns alle.

Deutschland wird immer wieder von außen schlecht gemacht, es wird von der historischen Erbschuld gesprochen, es herrscht viel Neid und Missgunst, da müssen wir uns nicht noch selbst zerfleischen. Deutschland sollte, ganz im Gegenteil, stolz auf seine Errungenschaften sein und ich hoffe, dass dieser soziale Rechtsstaat noch lange besteht, auch wenn er nicht perfekt ist.

Das ist meine Meinung heute, auch wenn ich vielleicht früher anders gedacht habe. Aber manchmal kommt mit dem Alter eben auch Einsicht und das besser spät als nie.

Liebe Grüße

Falderwald


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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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