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Alt 09.07.2009, 12:16   #1
Medusa
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Standard Der Kirschbaum

Versuch, eine Sestine zu schreiben.


Im Juli, wenn die Winde stehen still,
die Schwalben schießen kreischend durch die Luft,
das Thermometer schnell gewinnt an Höh,
der Mensch enthemmt sich kleidungsmäßig dreist,
dann glänzen Kirschen knackig rot am Baum.
Vergiss zur Ernte Leiter nicht noch Korb.

Befüll mit Köstlichkeiten deinen Korb,
greif zu und koste, pflücke, halt nicht still,
genieße diese süße, würzig Luft.
Die schönsten Kirschen wachsen in der Höh.
Steig auf, sei fröhlich, nützlich, vielleicht dreist.
Befreie von der Last den reichen Baum.

Behandle mit viel Liebe deinen Baum
Er füllte dir mit Großmut deinen Korb.
Verharre nun, und schweig ein wenig still,
betrachte ihn und atme seine Luft.
Lass los den Stamm, die Äste bis zur Höh,
schau hin, sei dankbar, glücklich, nicht zu dreist.

Trag fort die Ernte, sei nicht allzu dreist.
Von seiner Fracht befreit ist nun dein Baum.
Halt achtsam fest den wohlgefüllten Korb,
verliere keine Kirsche, halt ihn still.
Schau keineswegs wie Hans nur in die Luft,
auch nicht zu oft zur lichten, fernen Höh.

Dein Weg ist hier, er liegt nicht in der Höh.
Behüte jede Frucht und sei nicht dreist,
er gab sie ohne Lohn, der stolze Baum.
Verschütte nicht die Pracht aus deinem Korb.
Nun geh ins Haus, gemächlich, frei und still,
gib allen Kirschen Raum und freie Luft.

Denn ausgebreitet an des Hauses Luft,
verführt ihr Duft die Nas, steigt in die Höh.
Doch dann verspeise sie mit Wonne, dreist!
Bedanke dich bei deinem treuen Baum.
Er füllt dir reichlich Jahr für Jahr den Korb,
erwartet nichts, beschenkt dich und steht still.

So steht er still, braucht frisches Wasser, Luft.
Er strebt zur Höh , nur ohne Schnitt recht dreist.
Verehr den Baum, bewahre deinen Korb.
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