Thema: Der Fremde
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Alt 19.12.2016, 05:57   #4
Angelika
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Lieber Erich, du beschreibst einen, der für sich selbst ein lohnendes Ziel erkannt hat, aber nicht die Kraft findet, seine Umgebung mitzureißen und ihre meist destruktive Sicht zu ändern. Ich glaube, das ist das Schicksal der meisten Menschen, die erkannt haben, dass in jedem Menschen ein kleiner oder großer Faschist steckt, und dass es vor allem einer Änderung der Verhältnisse bedarf, um die auch im Faschisten vorhandenen menschlichen Ansätze freilegen zu können. Das allerdings bringst du so nicht zum Ausdruck, du bleibst im Einzelgängertum des frustrierten Menschen stecken, und insofern ist das Gedicht für mich eine leider halbe Sache, nicht tiefgründig genug. Aber jeder kann nur das schreiben, was er selbst erkannt hat, das ist die Crux des gutmeinendsten Autors. Dass unter diesen Umständen jemand als nicht "gemeinschaftsfähig" abgekanzelt wird, zeigt im Grunde, dass der Sprecher selbst keine klare Sicht auf die Dinge hat. Es kommt doch immer auf den Charakter der Gemeinschaft an, Gemeinschaft ist eben nicht gleich Gemeinschaft. Insofern spricht dein Gedicht zwar ein echtes Problem an, ist sich aber selbst nicht im klaren darüber, was den Einzelgänger überhaupt erzeugt. Oftmals ist es ja auch so, dass gerade der Einzelgänger der einzige ist, der eine klare Sicht hat, wenn du an den Herdentrieb des Menschen denkst. Aber das sind wirklich schon tiefenpsychologische Probleme, die man in einem Gedicht wohl kaum abhandeln kann.

Angelika
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