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Alt 10.11.2011, 19:12   #2
Stimme der Zeit
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Guten Abend, Galapapa,

Zitat:
Wo sind sie hin, die ungezählten Toten,
von Krankheit, Krieg und Unglück hingerafft,
durch Folterqualen in Gefangenschaft?
Man hat mir manche Antwort angeboten.
Ich bin mir im Klaren darüber, dass das ein sonderbarer Vergleich sein mag, aber es geht um das "Vergessen": Vor über 2000 Jahren wurden im alten Ägypten chirurgische Instrumente verwendet, deren "Machart" modernen Instrumenten verblüffend ähnlich war. Dann gerieten sie in Vergessenheit. Erst nach zweitausend Jahren erfand man sie "neu". Was wäre wohl heute, wenn sie sich statt dessen weiter entwickelt hätten? So vieles gerät in Vergessenheit. Auch die Untaten der Vergangenheit. Deshalb dieses Beispiel. Sobald etwas mehr als 2, 3 Generationen zurückliegt, ist es "fremd und fern". Napoleon war ein Diktator, der Europa mit Krieg, Hungersnöten, Massenmord und Seuchen überzog - heute ist er eine "romantische, ja, heldenhafte" Figur in Filmen. Ja, wo sind all die Toten hin? Warum müssen wir alles ständig von Neuem lernen und warum vergessen wir so vieles? Warum wiederholen die, die nach uns kommen werden, mit Sicherheit die von uns gemachten Fehler, so, wie wir die Fehler unserer Vorfahren wiederholen? Das frage ich mich auch sehr oft. Die Antwort? Ich schätze, es liegt in unserer Natur. Wir denken sehr kurzfristig und in sehr engen Grenzen. Erwachsenwerden würde bedeuten, daran zu arbeiten, diese Denkart zu ändern. Attila, Alexander, Napoleon, Hitler oder Stalin - keiner davon hatte etwas "Romantisches" an sich, es waren Tyrannen und Despoten, in dieser Hinsicht alle unterschiedlos.

Ja, Antworten bekommt man viele. Von Religionen die meisten, die am wenigsten wert sind. Deshalb ist im Gedicht wohl auch die Rede von "angeboten". Keines der Angebote befriedigt die "Nachfrage" ...

Zitat:
Ich blickte auf des nachts zu meinen Sternen,
sah keinen Glanz und auch kein Paradies,
sah nichts, was mir als Antwort sich erwies,
mein Suchen schien sich endlos zu entfernen.
Hier sehe ich die Sterne als Metapher, damit sind nicht die Sterne am Nachthimmel gemeint. "Leitsterne", denke ich. Ideale, Glaube, Wünsche, Werte, Philosphien, Wissenschaftliche Erkenntnisse. Es ist nun mal nicht alles Gold, was glänzt. Ich kenne das Gefühl, Fragen zu stellen und keine Antwort zu finden, trotz aller Überlegungen. Dann beginnt man, auch an "anderen Orten" zu suchen, sich in die "Ferne" zu begeben - dabei kann Erstaunliches geschehen. Warum immer nur im "Bekannten" suchen? Wenn ich zum zwanzigsten Mal an der gleichen Stelle suche, muss ich mich nicht wundern, wenn ich nichts finde. 19 Mal war nichts da, dann ist der Platz auch beim 20. Mal leer. Also muss das Gesuchte woanders sein.

Zitat:
So ganz weit weg in der Versunkenheit
wollt mir mit einem Mal die Neugier fehlen
und ich war in Zufriedenheit bereit,

Bestimmung zu erkennen und den Sinn
für die Verborgenheit der vielen Seelen,
bis ich am Ende eins mit ihnen bin.
Hiermit bin ich (ganz persönlich!) nur teilweise einverstanden. Ich werde wahrscheinlich noch mit einer Frage auf den Lippen sterben (na ja, unter Umständen allerdings wäre auch ein Gedicht möglich ). Aber in der "Versunkenheit der Ferne" ist tatsächlich die Zufriedenheit zu finden. Nicht in Bestimmung, nicht in einem spirituellen Sinn, das denke ich nicht. Aber in der Ruhe der Akzeptanz, dass es für alles einen Grund gibt, den wir nicht kennen - und das ist nicht spirituell gemeint. Wir sind einfach noch nicht weit genug entwickelt, um ein "dahinter liegendes Prinzip" erkennen und begreifen zu können. Gut möglich, dass es vor unserer Nase liegt, und wir jeden Tag darauf blicken - aber was wir nicht "erfassen" können, ist für uns (noch nicht) "da".

Für mich ist wichtig, dass wir suchen und fragen. Wenn wir damit nicht aufhören, haben wir die Chance, es eines Tages zu finden und zu verstehen. Ich bin überzeugt, dass alles Leben eins ist, schon immer und für immer. Aber dafür müsste ich jetzt eine Diskussion über die Zeit und das "Wesen" des Lebens an sich beginnen, das lasse ich hier besser.

Lieber Galapapa, ein sehr schönes Sonett, das ich mit Genuss gelesen habe. Denken ist eine Leidenschaft von mir - und fragen erst recht. Also "genau mein Geschmack".

Liebe Grüße

Stimme
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