Hi, Ann!
Wie du in deiner Begrüßung schriebst, weißt du selbst ja, dass es deinen Zeilen an Rhythmus und Fluss mangelt. Lass uns herausfinden, woran das liegt. Ich sehe Potential in dir (sonst würde ich mir die Mühe nicht machen).
Zuvor ein paar lyrische Grundregeln für "Takt" und "Melodie":
Klassische Gedichte (also mit Metrik und Reimen) basieren auf rhythmischer, klangvoller Sprache. Dabei sind folgende Faktoren von Bedeutung:
Auftakt: = Zeilenanfang, erste Silbe betont oder unbetont
Kadenz: = Zeilenende, männlich (auf einer betonten Silbe endend) oder weiblich (auf einer unbetonten)
Hebungszahl: die Anzahl von Hebern (=betonte Silben) pro Zeile sollte entweder gleich bleiben oder zumindest in strengem Rhythmus wechseln. Dasselbe gilt für die Anzahl der Silben pro Zeile.
Reimschema: Sollte in allen Strophen gleich bleiben oder ebenfalls rhythmisch wechseln.
Betrachten wir nun deine Verse im Hinblick auf diese Fakten:
Wenn ich einst mich schlafen leg
und verfange mich im ewig' Traum
musst allein gehn unsern Weg
rast' an einem Zwillingseichenbaum
Zeile eins hat einen betonten Auftakt, vier Heber und eine männliche Kadenz.
Z2 - betonter Auftakt, FÜNF Heber, männl. Kadenz. Der erste Fehler, hier bricht der Rhythmus. Entweder "im ew'gen Traum" oder "im ewigen Traum".
Z3 passt rhythmisch, ist aber umständlich und leicht missverstehbar ("rasten" oder "rasen"?) formuliert. Komma am Zeilenende.
Z4 ist wiederum um einen Heber zu lang. Apostrophe sind selten notwendig - diesen hier kann man getrost weglassen, derlei Verkürzungen sind längst normaler Sprachgebrauch.
Ich gleiche die Hebungszahlen von S2 und 4 mal zum Vergleich an:
Wenn ich einst mich schlafen leg
und verfange mich im Traum,
geh alleine unsern Weg
bis zum Zwillingseichenbaum.
.................
setze dich und höre zu
leg' dich nieder dort im weichen Gras
in mein Traumland wanderst du
-weisst, dass nie ich wirklich dich verlass'
Z1 ist metrisch okay. Komma am Zeilenende.
Z2 und 4 wieder zu lang. Spätestens hier ist erkenntlich, dass diese Überlängen von dir beabsichtigt sind. Allerdings hindern sie den lyrischen Fluss hier eher als dass sie ihn befördern. Ich würde alle Strophen auf gleichbleibend vierhebig umstellen.
Z4 ist zudem inversiv konstruiert, was oft gespreizt und gedrechselt wirkt. Derlei sollte man nach Möglichkeit vermeiden. "Gras/verlass" ist kein reiner Reim: Der Vokal "a" ist einmal kurz, einmal lang. Mein Vorschlag:
Setze dich und höre zu,
leg dich nieder dort im Gras;
in mein Traumland wanderst du,
fühlst mich dort im Übermaß.
...................
Hand in Hand mit meiner Seel'
niemals einsam gehst du durch die Welt
Blätter raunen dir im Wind
was vor Zeiten schon mein Herz erzählt':
Wieder zuviele Apostrophe und unnötig komplexe Satzkonstrukte. Einfach, aber klingend - das ist schöne Lyrik! Zudem gibt es hier nur einen (ebenfalls unreinen) Reim bei Z2 und 4. In den Zeilen 1-3 fehlen Kommata am Zeilenende.
Seelen, die nicht einsam sind,
gehen wir durch diese Welt,
all mein Sehnen raunt der Wind,
und die Treue wächst im Feld.
.........................
Deine Lieb' - stets mein Mantel
deine Wärme immerdar mein Licht
dein Herz ist mein Zuhause
Schatten hatten nie mehr ein Gewicht
Z1 - "Lieb" und "stets" sind betonte Silben, dazwischen fehlt eine unbetonte. So etwas nennt man einen Hebungsprall (vergleichsweise einen Senkungsprall, wenn zuviele unbetonte Silben zusammenkommen). Komma am Zeilenende.
Z2 - Komma oder Punkt am Zeilenende.
Z3 - Komma am Zeilenende.
Z4 - ungelenk formuliert.
Z1 und 3 haben hier weibliche Kadenzen. Bisher hatten alle Strophen durchgehend männliche. Das wird aber nicht ganz so streng gehandhabt - es fällt bloß auf.
Deine Liebe ist mein Segen,
deine Wärme ist mein Licht,
fürchte so auf fernen Wegen
Dunkelheit und Schatten nicht.
....................
leis' in zärtlicher Weise
wispernd -so erzählt dir das Geäst:
Meine Lieb' umschlingt dich noch
trägt und hält auf ewiglich dich fest
Z1 hat um einen Heber zu wenig, nämlich nur drei. Nur hier eine weibliche Kadenz. Das ist unregelmäßig.
Nur Z2 und 4 sind gereimt.
Z3 - Komma am Zeilenende.
Wie auf zärtlich sanfte Weise
wispernd spricht dir das Geäst:
Meine Liebe hält dich leise,
aber unvergesslich fest.
Und hier - zum Vergleich - die bearbeiteten Strophen. Vergleiche lyrischen Duktus, Sprachmelodie und Rhythmus mit dem Original und entscheide selbst, was dir besser gefällt und den Inhalt besser transportiert. Ich hoffe, ich konnte hilfreich sein.
Einst...
Wenn ich einst mich schlafen leg
und verfange mich im Traum,
geh alleine unsern Weg
bis zum Zwillingseichenbaum.
Setze dich und höre zu,
leg dich nieder dort im Gras;
in mein Traumland wanderst du,
fühlst mich dort im Übermaß.
Seelen, die nicht einsam sind,
gehen wir durch diese Welt,
all mein Sehnent raunt der Wind,
und die Treue wächst im Feld.
Deine Liebe ist mein Segen,
deine Wärme ist mein Licht,
fürchte so auf fernen Wegen
Dunkelheit und Schatten nicht.
Wie auf zärtlich sanfte Weise
wispernd spricht dir das Geäst:
Meine Liebe hält dich leise,
aber unvergesslich fest.
Gern gelesen und beklugscheißert!
LG, eKy