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Alt 16.05.2011, 21:47   #9
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Hi Stimme,

das ist wieder so eine interessante Diskussion, wie wir sie letzte Zeit hier öfter auf dem Eiland finden.
Es ist manchmal schwer hinterher zu kommen, so daß ich mich erst heute wieder zu Wort melde.

Hm, das ist die Frage.
Wenn wir nicht existieren, also nur eine Illusion sind, dann verlöre der Tod eigentlich seinen Schrecken, denn was nicht existiert, kann auch nicht sterben.
Dadurch würde sich allerdings wieder eine neue Frage eröffnen und zwar, wessen Illusion wir dann eigentlich sind.
Da sich "meine Illusion" ziemlich "real anfühlt", müsste schon ein gewaltiges Bewusstsein dahinter stehen, um sich diese, im wahrsten Sinne des Wortes, einzubilden.
Ich könnte theoretisch sogar damit leben, denn mir wird doch ein gewisser Handlungsfreiraum dabei gewährt, so daß ich zumindest das Gefühl habe, ein Individuum zu sein, dessen Gedanken frei sind.

"Alles ist Eins".
Klingt gut, ist auch sehr wahrscheinlich, denn das Universum als Ganzes betrachtet, setzt sich aus allen Dingen zusammen, die sich in ihm befinden und es damit sozusagen erst bedingen.
Man könnte es aber auch herumdrehen und sagen: "Alles ist Nichts".
Wenn nämlich keine Auge da wäre, diese Welt zu betrachten, dann wüsste auch niemand etwas von ihrer Existenz.
Aber was wäre das für eine Existenz, wo kein Bewusstsein vorhanden ist, um ihr Dasein zu bestätigen?
Könnte es nicht vielleicht doch sein, daß die Natur das Bestreben, also den Willen hatte, wahrgenommen zu werden?
Zuerst als Lichtreiz bei den Pflanzen, dann als gefühlte Umwelt bei den Mikroorganismen, weiter zu den Tönen der niederen Wirbellosen, bis hin zu Geschmack, Geruch und Bildern in den Gehirnen der Wirbeltiere und endlich zum abstrakten Gedanken, der mit allen anderen Fähigkeiten vereint, dies alles erst bewusst entstehen lässt und sich nur im Menschen findet, der sie, diese allumfassende Natur, einfach bewundern muss, der erfahren und wissen will, der ihr in Kunst und Ästhetik nachzueifern trachtet und versuchen wird, ihr all ihre Geheimnisse zu entlocken, die sie noch für uns bereit hält und nach und nach preiszugeben bereit ist, wenn wir uns dementsprechend verhalten und ihr Werk, welches sie extra für uns geschaffen hat, zu würdigen wissen?
Wäre das nicht eine denkbare Möglichkeit?

Wäre es nicht denkbar, daß dieses Ding in mir, das Ich, die Seele, der Intellekt, das Selbsbewusstsein einfach nur der in mir manifestierte Wille der Natur zum Leben ist, der mich mit der nötigen Lebensenergie versorgt, solange mein endlicher biologischer Körper das mitmacht?
Ich glaube auch, daß mein Intellekt und mein Selbstbewusstsein mit dem Tode aufhört zu existieren.
Das besagt aber noch nicht, daß der in mir wohnende Lebenswille dabei auch zwangsläufig verloren gehen muss.
Wer weiß, vielleicht entschwindet dieser Wille hier und wacht sofort irgendwo und irgendwann wieder auf, durch zwei klar Augen seine Umwelt erblickend und mit einem Denkorgan ausgestattet, welches freilich wieder ganz von vorne anfangen muss, denn es muss lernen, sich in seiner neuen Umwelt und ihren Bedingungen zurecht zu finden.
Das wäre eine schöne These...

Mit der Philosophie ist es so, wie Schopenhauer sie beschrieben hat und sie zu allen Zeiten war.
Man muss Geld damit verdienen können und deshalb wird man genau das tun, was von einem erwartet wird, also modern und wichtig im Zeitgeist zu erscheinen.
Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben, was Schopenhauer ausdrücklich verurteilte, denn sein Streben galt der Wahrheit.
Selbstverständlich gab es rühmliche Ausnahmen, die sogar für ihre Überzeugung starben, aber selbst Kant musste nach dem Tode des alten Fritz' zurückrudern, weil er sonst nicht mehr sicher gewesen wäre.

Ein seriöser Wissenschaftler sollte sich vor der Behauptung hüten, daß mit dem Tod unsere "Existenz", was auch immer das ist, enden wird.
Er wird höchstens sagen, daß nach dem jetzigen Stand aller wissenschaftlicher Erkenntnisse die biologische Existenz endet. Was jedoch das eigentliche Wesen in uns ausmacht, kann er mit seinen empirischen Methoden nicht erfassen, so daß dieses eindeutig dem Bereich der Metaphysik zuzuordnen ist.
Und da gibt es ja bekanntlich viele Theorien, Thesen, Ideen, Ideale und Dogmen.

Ich denke nicht, daß der menschliche Denkfehler im Ausgehen von sich selbst als das Maß aller Dinge ist, denn von was sollte er sonst ausgehen?
Er kann ja nur von sich selbst ausgehen und zwar so, wie seine Sinne es ihm erscheinen lassen.

Es ist seine Vorstellung der Welt und er kann sich nur an und mit ihr messen.
Daß er seine Bedeutung dabei überschätzt, ist zweifelos täglich zu erkennen und liegt klar auf der Hand.
Aber Antworten wird er nur in sich selbst finden und nur wenn er es schafft, seiner inneren Stimme Gehör zu verschaffen, die ihm ständig zuflüstert: Du exitierst. Kannst du nicht denken, sehen, hören, fühlen, riechen, schmecken?

Er hat nichts anderes zur Verfügung und leider sind nicht alle gleich ausgestattet, so daß jeder seine Möglichkeiten nutzen muss, um zu erfahren, wahrzunehmen und wenn möglich mitzuteilen, so wie es alle Künstler und auch wir Dichter tun.

Das ist meine Dichterseele...


Liebe Grüße

Falderwald


Servus larin,

ich glaube nicht, daß es ein Denkfehler ist, eine Logik hinter diesem ganzen System zu vermuten.
Das setzt nicht unbedingt ein höheres Bewusstsein voraus, sondern lediglich den Satz vom zureichenden Grunde, der da lautet: Jedes Sein oder Erkennen könne und/oder solle in angemessener Weise auf ein anderes zurückgeführt werden.
Das setzt lediglich eine logische Folge voraus, die nicht einfach durch "funktional" ersetzt werden kann.
Funktional ist ein momentan funktionierendes System, weil es funktioniert, was aber keine weiteren Veränderungen unmöglich macht.
Es gibt immer eine Ursache, dann kommt ein Grund hinzu und dann kommt das Werden in Form einer Veränderung als logische Folge dabei heraus.
Wir sollten nicht vergessen, daß der Begriff "Logik" eine menschliche Erfindung ist, deren Prinzipien sind:
  1. Satz der Identität: Begriffe sollen stets die gleiche Bedeutung haben
  2. Satz des Widerspruchs: gleichzeitige Bejahung und Verneinung einer Aussage ist unmöglich
  3. Satz vom ausgeschlossenen Dritten: von zwei widersprüchlichen Aussagen kann nur eine richtig sein, keine Dritte
  4. Satz vom zureichenden Grund: nichts geschieht ohne einen Grund (s.o.)

Und diese Prinzipien habe ich konsequent angewendet, so daß meine Aussage von der Abwesenheit logischer Regeln m. E. durchaus einen Sinn macht und zwar genau in der Bedeutung, die der Begriff Logik symbolisiert.

Zitat:
die sache mit der selbstwahrnehmung möchte ich auch noch ergänzen:
es ist nicht selbstverständlich, dass wir unsere finger als unsere finger wahrnehmen. das körperbewusstsein entwickelt sich auch erst allmählich.
ein baby weiß noch nicht, das sein finger sein finger ist.
Dem Letzteren wage ich zu widersprechen.
Dann kneife ein Baby mal feste in den Finger. Es wird dir schon zeigen, daß es ganz genau weiß, wessen Finger da ein Schmerz zugefügt wurde.
Auch wenn es das komische Ding noch nicht unter dem Begriff "Finger" kennen kann, so weiß es jedoch schon ganz genau, daß es damit greifen kann und zu ihm gehört.
Ich kann mich genau daran erinnern, daß ich nach der Ärztin der erste Mensch war, mit dem meine jüngste Tochter Kontakt nach ihrer Geburt hatte.
Die Ärztin musste die Mutter versorgen und ich sollte das Baby waschen und trocknen. Sie hat bei der ersten Gelegenheit nach meinem Finger gegriffen und versucht, ihn festzuhalten. Auch wenn es ein Reflex war, so musste dieser über das vegetative Nervensystem ausgeführt werden und somit hat sie auch die Berührung, also einen Reiz, wahrgenommen, sonst hätte dieser Reflex nicht asugelöst werden können.

Zitat:
das "ich" ist das, wo der körper ist.
Hm, ich würde einfach ein "s" streichen, dann ist diese Aussage stimmig: das "ich" ist da, wo der körper ist.

Zitat:
über berührungen lernt das gehirn sein wahrnehmungen zu differenzieren.
Das ist nur teilweise richtig, denn das "Getaste" ist ja eine Wahrnehmung und damit einer der fünf Sinne.
Es ist ganz sicherlich ein wesentlicher Lernvorgang damit verbunden, der aber lediglich die räumlichen Dimensionen und die Oberflächenstrukturen, sowie Temperatur- wie Atmosphärenunterschiede betrifft.
Durch bloßes Betasten kann ich mir zwar ein "Bild" von einem Gegenstand machen, seine Größe einschätzen, wahrnehmen ob er hart, weich, rauh, glatt, kalt, heiß, trocken oder nass ist, aber niemals erfahren, wie er schmeckt, riecht oder ob er schallt.

Ich denke, der Einsatz in der Neonatologie bei den Frühchen hat da mehr psychologische Hintergründe.


Liebe Grüße

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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