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Alt 03.09.2011, 22:39   #4
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Servus Erich,

das ist oft so, wenn die Jungen in die Fußstapfen der Alten treten.
Meist bleiben sie hinter den Erwartungen zurück.
Natürlich gibt es auch Ausnahmen, aber von denen ist ja hier nicht die Rede.


So sind die Augenblicke eines tiefern Lebens,
dass wir sie kaum erfassen und verstehn.
Wir mühn uns redlich, doch zumeist vergebens,
als wär die Spur zu groß, darin zu gehn.

Diese Strophe ist ein sehr gut durchdachter Einstand.
Sie bleibt ziemlich allgemein, so daß man sie auf alle Vorbilder projizieren kann.
Die Alten könnten Künstler, Philosophen, Wissenschaftler oder Theologen etc. gewesen sein, denn der Begriff Prophet, wenn wir ihn nicht nur im religiösen Sinne betrachten, kann ja hier als Metapher etwas weiter gefasst werden.
Wir sehen ein erfolgreiches Leben und doch wissen wir nicht, wie derjenige es ausgefüllt hat, um zu dem zu werden, was er war.
Dieser großen Spur können wir nicht folgen.
(Übrigens habe ich in dieser Strophe meine einzigen Kritteleien anzubringen. Ich sehe hier eine Häufung von verstümmelten Verben - verstehn - mühn - wär() - gehn. Wir können uns zwar darauf verständigen, daß das mal vorkommen kann, aber vier in einer Strophe sind nicht so schön, vor allem, da zwei davon nicht nötig wären, da sie sich am Versende befinden. Da in der zweiten Strophe sowieso durchgängig weiblich Kadenzen verwendet werden, muss die erste nicht reimtechnisch synchron zur dritten verlaufen, denn es ist durchaus legitim, mit einer männlichen Kadenz zu enden. Das verstärkt m. E. die Aussage im letzten Vers noch.)

So fürchten wir den Klang der hohen Schritte,
die leichthin unser Größtes übersteigen,
und flüstern atemlos und immerfort die Bitte,
dass uns nicht sieht, wovor wir uns verneigen.

Ja, die Geister ruhen nicht und wenn sie sähen, wie wir mit ihren Gedanken und Absichten heute umgehen, dann sollten wir wirklich hoffen, daß sie uns nicht mehr beobachten können, sonst müssten wir uns wohl in Grund und Boden schämen, so wie ihre alten Lehren umgesetzt werden.
Und doch ist der Klang ihrer Schritte ewig zu vernehmen, denn ihre Gedanken und Schriften (auch Kunstwerke) werden niemals sterben, auch wenn sie leise geworden sind.

Wir sinken hin, ergriffen und entmündigt,
und merken nicht, dass jener greise Geist,
der uns den Hauch des Göttlichen verkündigt,
in viel zu weiten Schuhen um uns kreist.

Ja, der Hauch des Göttlichen, der vielen Dingen anlastet, auch dem Genie und seinen Werken. Ich denke an Menschen wie Platon, Kant (ja und auch Schopenhauer), Mozart, Goethe, Shakespeare, da Vinci usw., deren Werke unsterblich geworden sind.
Aber auch an die religiösen Propheten, deren Lehren auf den Grundlagen spekulativer Welten basieren und deren Ideale zu Dogmen wurden, die man entweder glauben kann oder nicht.
Und für all das sind unsere Füße wirklich zu klein, ihre Schuhe sind uns ein paar Nummern zu groß.

Schön der übergreifende rote Faden Spur - Schritte - Schuhe.
Sie symbolisieren den alten Spruch von den Fußspuren, in denen man nicht wandeln kann.


Hat mir gefallen.


Gerne gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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