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Alt 26.10.2011, 16:43   #2
Stimme der Zeit
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Hallo, Walther,

also, ehrlich, ich bin baff. Das ist ein bisschen mehr als nur gekonnt ...

Ich gebe unumwunden zu, dass ich auch "woanders" lese, wenn ich dort auch nicht aktiv bin - von alleine wäre ich nicht darauf gekommen. Ich ziehe ein Dutzend Hüte und muss einfach sagen: Großartig! Denn hier hast du deine „assoziative Wortfetzencollage" und deine liebste Gedichtform, das Sonett, zu einer Einheit verbunden. Denn der Text ergibt in beiden Darstellungsformen Sinn – auch wenn sich eine (etwas, nicht völlig) veränderte Aussage ergibt. Das ist dir ausgezeichnet gelungen, auch mein ehrliches Kompliment für deine Ausdauer, denn du hast geübt, und wie. Das habe ich ja auch „mitbekommen“.

Ich stelle mal beide "Varianten" einander "gegenüber":

Zitat:
er brach den stab
und das gebrochne lag / so schwer auf seinem rücken
und die lasten / die türmten sich und waren hart
ein hasten / nicht ruhen war in seinen gesten
tag / und nacht verbrachte er die stunden
rasten // erträumte er so schwer wie schlaf
der schlag / der kirchturmuhr erschien ihm als vertrag /
die lebzeit abzuzählen
und ein tasten // verstohlen nach der wärme in der kälte /
wars nicht vergebens
denn die einsamkeit / erfüllte ihn mit schmerz
der sich gesellte // zum brechen und zu dem gebrochen werden /
es wurde endlich zeit für ihn
bereit / sich auszuruhn
ein enden der beschwerden


er brach den stab und das gebrochne lag /
so schwer auf seinem rücken und die lasten /
die türmten sich und waren hart ein hasten /
nicht ruhen war in seinen gesten tag /

und nacht verbrachte er die stunden rasten //
erträumte er so schwer wie schlaf der schlag /
der kirchturmuhr erschien ihm als vertrag /
die lebzeit abzuzählen und ein tasten //

verstohlen nach der wärme in der kälte /
wars nicht vergebens denn die einsamkeit /
erfüllte ihn mit schmerz der sich gesellte //

zum brechen und zu dem gebrochen werden /
es wurde endlich zeit für ihn bereit /
sich auszuruhn ein enden der beschwerden
Ich bin "ganz weg".

Da bleibt mir nur zu sagen: Walther, du bist ein Dichter. Und das meine ich im Ernst.

Bewundernde Grüße

Stimme

P.S.: Ich befasse mich noch mit dem Inhalt, ganz sicher und editiere es dann in diesen Beitrag. Jetzt bin ich erst mal mit Staunen beschäftigt ...


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Edit:

Noch einmal Hallo, Walther.

Ich suchte vergeblich im Web, um vergleichbare Gedichtformen zu finden. Wenn ich mich also nicht irre (das behalte ich mir "sicherheitshalber" mal vor), dann hast du eine neue Gedichtform "erfunden" und weiterentwickelt. Als ich deine "assoziativen Wortfetzen-Collagen" kommentierte, war ich mir darüber gar nicht im Klaren; erst das Sonett brachte mich darauf. Also ziehe ich immer noch ein Dutzend Hüte.

Jetzt aber zur Interpretation, nachdem ich mich einigermaßen "berappelt" habe.

Für mich wird hier ein Leben dargestellt, das mir sehr traurig und hoffnungslos erscheint. Das LI verurteilte sich also selbst zum Tode, indem es über sein eigenes Leben (oder auch über sich selbst) den "Stab brach". (Ich kenne die Bedeutung dieser Redensart.) Offenbar gab es in dessen Vergangenheit begangene Taten und Fehlentscheidungen, die zur Selbstverurteilung führen. Das Gedicht lässt offen, worum es sich gehandelt haben könnte, es bleibt also der Fantasie des Leser überlassen, was eventuell geschah.

Diese Geschehnisse "lasteten" hart und schwer auf dem LI, ließen es nicht mehr zur Ruhe kommen. "Das Hasten der Gesten" erzählt mir von Hilflosigkeit, von der Unfähigkeit, damit "fertig zu werden".

Tag und Nacht verbrachte das LI mit Selbstanklage, auch der Schlaf brachte keine "Erlösung", denn die Vergangenheit verfolgte ihn bis in die Träume. Ich stelle mir hier vor, wie er nachts wachlag und jedes Schlagen der Kirchturmuhr hörte, da er nicht schlafen konnte. Es hielt ihn wach. Die Stunden vergingen sinn- und ziellos, sie "zählten" nur noch das "Verrinnen der Lebenszeit". Vergeblich auch die Suche nach "Wärme". Da ich in dem Gedicht sehr viel "Freiraum" für eigene Gedanken finde, sehe ich vor mir, wie er eine kurzfristige, bedeutungslose "Liaison" nach der anderen einging - aber ohne "echte Gefühle" blieb die Kälte. Liebe, Gemeinsamkeit, das wären "Wärmequellen", aber das LI fand sie nicht.

Der "Schmerz der Einsamkeit" nahm irgendwann überhand, und, nachdem der Stab gebrochen war, "zerbrach" auch das LI selbst. Wobei hier die Frage offen bleibt, ob es letztendlich an sich selbst oder am Leben zerbrach; und wenn es "beides" war, wie "hoch" der jeweilige "Anteil".

Am Ende war er bereit für den Tod, ich glaube, das LI "begrüßte" ihn sogar, denn er brachte "endlich" die Befreiung von den Schmerzen, von der Einsamkeit, den Beschwerden (Selbstanklage?) und endlich die Möglichkeit, sich auszuruhen im "ewigen Schlaf".

Was für eine deprimierende, traurige "Geschichte", die mir hier sehr gut und sehr intensiv erzählt wird.

Sehr gerne gelesen und kommentiert!

Liebe Grüße

Stimme
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