Thema: Unschuld
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Alt 18.04.2016, 09:16   #5
charis
/ Bil-ly /
 
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Hallo ana,

So jetzt bin ich durch, wenn du dir schon so viel Mühe gibts, kann ich natürlich nicht zurückstehen

Zitat:
präzise. Ich finde, französisch, wo ich nicht weiss was es heisst,
und auch nicht, wie man es ausspricht, in einer ägyptischen
Götter-Mystik zu verwenden, deplatziert. Zumal ja Napoleon
der Sphinx die Nase abschlagen liess - oder auch nicht.
"monstres sacrés" - muss schon bleiben, er gibt nämlich keine wirkliche Entsprechung im Deutschen, in der soviel drin steckt und die so herrlich mehrdeutig ist.
Es hat was mit begnadete aber auch exzentrisch zu tun, und irgendwie unantastbar.

Zitat:
Liebe ist schwach, nur der Hass zeugt die unsterbliche Macht,
XxxXxxXxxxXxxX
Das ist, denke ich, deutlich genug, denke ich: Hass zeugt XX
Ja, vielleicht ist der Hass etwas gewichtiger, was mir auch so recht ist, aber das lange "zeugt" kann sich damit durchaus messen, finde ich, gerade diese Kombination erzeugt Spannung.

Es ist durchaus erlaubt bzw. üblich, die Zäsur im Penta so zu überspielen zb. auch in Nänie:

Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus.

Zitat:
Sagst du: „Ich glaube nicht!“, forderst du jene heraus.
XxxXxxXxxXxxX
geht so: XxxXxXXxxXxxX
Das ist auch ziemlich klar, finde ich halt, denn aufgrund der Ausrufung, liegt die Betonung doch deutlich auf dem "nicht", was mir natürlich auch aus dramaturgischen Gründen hier wichtig ist.

Zitat:
Wähnt sich der Mensch von Gott getrennt, ist er einsam und gierig,
XxxXxXxXxxXxxXx
Also für mein Gefühl, ist das ein guter Hexa, mir gefallen solche, wo die Zäsur nach einer Hebung ist und dann eine Doppelsenkung folgt also hier:

.. getrennt, //ist er einsam und gierig.

ja, vielleicht bist du doch ein wenig durch deine Amphibrachys-Schweife konditioniert bei Lesen, für diese Verse muss man erst einmal den Stechschritt-Rhythmus, den wir im Kopf haben, ausschalten.

Zitat:
Horus, wende die Barke, die Sonne erscheint nun im Westen!
Schäfchengesichtiges Blau schönt uns den Albtraum der Nacht.
Unschuld, du Schöne, konntest dein Feuer in Aton entfachen,
gänseblümchenbekränzt wähltest du ihn zum Gemahl.
Falken kreisen erblindet und Löwen dösen gesättigt,
selbst Apophis schläft tief, lauscht deinem Sonnengesang.

XxXxxXxxXxxXxxXx
XxxXxxXXxxXxxX
XxxXxXxxXxxXxxXx
XxXxxXXxxXxxX
XxXxxXxxXxXxxXx
XxXxxXXxxXxxX

top. Bis auf die beiden Schmuckwörter Anfangs Z2 und Z4, die sind
ebenfalls deplatziert mE, weil wir Horus, Barke, etc haben, eine düstere,
archaische religiöse Mystik des Todes - was haben da, mE natürlich,
solche roseroten Wölkchen-Gebilde verloren, eher eines euphorischen Liebesgedichts,
entweder aus der Feder einer 14jährigen Jung-Dichterin, oder, aus meiner.
Dass wir uns nicht missverstehen. "gänseblümchenbekränzt" ist ein herrliches Wort,
nur verschleuderst du da zugunsten einer schmückenden Feingeist-Regenbogen-
Wortkaskade, die Düsternis vieler donnernder Schlagworte, die der Szenerie
wohl eher gerecht, als solcherlei Feingeist-Irritationen im Auftakt, mE natürlich.

Ansonsten würde ich diese drei sauberen Distichen nämlich für relativ makellos und traumhaft erachten.
Danke!

Das sehe ich ein bisschen anders als du; das sind in meinen Augen keine "Schmuckwörter", sondern sie sollen diese Wende der Sonnenbarke unterstreichen. Die Barke kehrt um, Re braucht nicht mehr jede Nacht ums Überleben kämpfen; die Unschuld erreicht wieder ihren "Urzustand", Gegensätze lösen sich auf Gott/Pharao/Sonne, die Tiergötter werden zahm, das soll bewusst unschuldig und (kinder)märchenhaft klingen.

Zum Inhalt: Ja, du hast diese metaphorisch wilden Ritt gut dargestellt. Ich habe befürchtet, dass ich da ein bisschen zuviel hineinpackt habe (habe ich auch! ) in die wenigen Verse, na ja ... es sollte ambivalent sein und auch Freiraum lassen, für so jemandenn wie dich vielleicht, der das kryptisch verspielte mag (?)

Diese "Unschuld" verstehe ich als eine Art göttlichen Urzustand, in dem alles enthalten ist, bevor wir die Dualität erschufen, und ich habe sie eben an dieser Reise der Barke geknüpft - wohl ein wunderbare Darstellung des menschlichen Überlebenskampfes und der Dualität. Die Unschuld ist also Einheit und Vielheilt zugleich, die ist gut und böse und Tod und Leben. Es ist eigentlich entstanden inspiriert von Köhlmeiers "Joel Spazierer", der weder Gewissen noch Moral kennt - nämlich wirklich nicht kennt - er ist ein großer Lügnner, ein Verbrecher und Mörder - (wobei vor dem geschichtlichen Hintergrund, seine Sünden irgendwie relativiert werden) - auf seine Art ist er also unschuldig, so ähnlich wie ein Tier, das tötet.

Der Titel passt schon so - er darf ruhig völlig harmlos wirken - genau das wollte ich erreichen.

Ja, mit den fehlenden Hebungen beim Pro- und Epilog, habe ich lange gekämpft. Ursprünglich wollte ich:

Kannst du das Wesen der Unschuld begreifen! Sie reist mit der Barke.

"Wesen der Unschuld" war mir dann aber zu umständlich, ich wollte es knackiger. Und ich hatte dann die Idee schreibend hier den Sonnenaufgang bzw. -untergang zu symbolisieren.

Wobei man den letzten Vers vor dem Epilog mitberücksichtigen müsste:

selbst Apophis schläft tief, lauscht deinem Sonnengesang.

der den Höchststand der mit seinen Hebungsprallen die Sonne symbolisieren soll:
XxXxXXXXxXxX

Aber ja, das ist eine Zirkusnummer, für den Leser nicht nachvollziehbar, vielleicht schreibe ich das noch um.

Zitat:
und umarmt dich der Tod, siehst du ihr schönstes Gesicht.

ich lese "und" nicht als betont, ich lese das als gezielten Anapäst,
was ich als toll empfinde - womöglich wolltest du dein "und" betont haben,
ich als etwas gehobener Dichter würde aber ABSICHTLICH, einen Anapäst
schreiben, und somit hätte ich eigentlich zu wenig Silben für einen Pentameter.
Aber dafür ein perfektes, metrisches Finis, weil es gewagt und gut ist.
Gerade weil ein Anapäst an der Stelle, irritierend, aber dramaturgisch gelungen wirkt mE.
Ja, das ist ein schwacher Einstieg, bei Schiller's Nänie findest du das auch, sogar häufig, zb:

Und die Klage hebt an um den verherrlichten Sohn.
Daß das Schöne vergeht, daß das Vollkommene stirbt.


Also wenn Schiller das darf, dann darf ich das auch ; obwohl ich dir natürlich recht gebe, dass bei meinem Vers die Betonung auf "und" zu lesen, wohl etwas schwieriger ist, weil ein zusammengesetztes Wort folgt. Sei drum. Ich bin nicht Hölderlin oder Mörike - und es ist ja auch kein Distichon - also kann man es durchaus auch fünfhebig lesen. Vielleicht ändere ich den Prolog auch in diese Richtung.

Vielen Dank nochmals für dein Einlassen auf/ und große Mühe mit meinem Text und für das Lob, das allerdings nicht angemessen ist. Ich bin schon froh, wenn es ein "halbwegs gelungener Versuch" ist.

Lieben Gruß
charis

Liebe Syranie,

Freut mich, dass dir die Horus-Strophe gefällt - ich mag sie nämlich auch auch

Zitat:
Ich habe mir den Kopf zerbrochen und gestaunt.
Das ist gut so!

Vielen Dank für deinen Kommi, ich hoffe, mein Kommentar oben kann dir ein wenig die kryptischen Verse erhellen.

Lieben Gruß
charis

Geändert von Chavali (18.04.2016 um 12:12 Uhr) Grund: Doppelpost: 2 Beiträge zuammengeführt
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