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Alt 16.12.2016, 06:23   #1
Angelika
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 07.11.2016
Ort: Berlin-Lichtenberg
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Standard 96 Jahre - Ein sehr alter Mann erzählt

Du fragst, wie es mir geht, so ganz alleine?
Ach, irgendwie kommt man doch immer hin.
Die Zeit, sie führt mich an der kurzen Leine,
am Ende bleibt sie die Gewinnerin.

Ich fühl, mir kam da irgendwas abhanden,
vielleicht der Gleichmut oder was weiß ich,
weil schon so viele Freunde still verschwanden.
Ich jetzt allein – nicht angenehm für mich.

Stupide Tage voller Langeweile,
ich denk an dies und das. Und überhaupt,
an manchen Tagen lauf ich eine Meile,
sobald der alte Körper es erlaubt.

Als Fremder gehe ich durch meine Straßen,
und was da lebt, ist nicht mehr meine Welt.
Die Häuser, die mich lange schon vergaßen,
was hat die Zeit mit ihnen angestellt?

Zu Hause endlich, schließe ich die Türen,
will nichts mehr sehen, keinen Laut mehr hören,
die Gegenwart kann mich nicht mehr berühren,
sie würde meine leise Welt bloß stören.

So lebt sich’s hin, ich zähl zum Überreste,
der kranke Baum, der‘s nicht mehr lange macht.
Ein letzter Schlaf, ach ja, der wär das beste.
Dann liege ich und warte auf die Nacht.

Den Frühling möchte ich noch mal erleben,
die Welt wie neu, wenn alles blüht und grünt,
ein Restchen Leben wäre mir gegeben.
Wer weiß? Ich denk, ich habe es verdient.
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