Thema: Verlassen
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Alt 30.09.2016, 07:35   #5
Stachel
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Hallo Erich,

ich bin der Undeutlichkeit mit einer "extended Version" begegnet:


Zitat:
Deutlich waren seine letzten Worte,
Unter denen er den Tod beging.
Während er vom Deckenbalken hing,
An dem Seidenschal von fester Sorte,

Redete sein Abschiedsbrief für ihn.
Sehr bedächtig, zärtlich formulierte,
Trauerschwangre Worte, ziselierte
Nachtgedanken, schrieb er zitternd hin.

In ihm drin, da keiften böse Zungen.
Chancenlos hat er um Kraft gerungen,
Hat dich so ersehnt für eine Wende,

Träumte lange deiner als Gewinn.
Dennoch hat er dir vor seinem Ende
Alle falschen Hoffnungen verziehn.

Zitat:
Zitat von Erich Kykal Beitrag anzeigen
Dann ist also eigentlich ein Gläubiger gemeint, der einmal zu oft von seinem (abwesenden) Gott enttäuscht wurde, einsah, dass er nicht existiert und sich umbrachte?
Wenn das so ist, erscheint es dann sinnvoll, das Gedicht in der Conclusio an ebendiesen - zuvor inhaltlich erwiesen nicht existenten - Gott zu richten? Eine für mich verwirrende Unlogik ...
Wie ich sehe, führt der Titel direkt auf ein Abstellgleis. Wie gut, dass ich ihn nicht verwendet habe.
Ich denke, das Gefühl, von "seinem" Gott verlassen zu sein ist nicht gleichbedeutend mit der Gewissheit seiner Nichtexistenz. Das ist natürlich nicht so leicht, einem Atheisten zu erklären.
Mein Partner löst sich ja auch nicht auf (oder entschwindet nachträglich/rückwirkend in Nichtigkeit), wenn er mich verlässt.
Für mich ist es psychologisch sehr plausibel, sich für besonders klein und unbedeutend zu halten, wenn man das Gefühl von (göttlicher oder menschlicher) Nichtbeachtung erlebt. Den Satz "Wenn ich nicht mehr da bin, merkt das eh keiner." kennt vermutlich so ziemlich jeder, vielleicht aus eigenen schwachen Momenten, vielleicht aus dem näheren Umfeld oder über Erzählungen. Der Text berichtet über jemanden, der diesen letzten Schritt gegangen ist.
Wichtig war mir dabei, wie gesagt, dass die spirituelle Lesart zwar enthalten ist, sich aber nicht in den Vordergrund drängt.

Freundliche Grüße von
Stachel
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