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Alt 01.01.2016, 13:36   #3
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, wolo!

Ein Schnellschuss - anders kann ich mir die kleinen Lapsi eines so berufenen Lyrikanalytikers nicht erklären.

4 Heber, undifferenzierter Auftakt - kann betont oder unbetont angelesen werden. Komma am Zeilenende. kaum schlägt der mond sein licht entzwei
4 Heber, betonter Auftakt. heulen wölfe in motoren,
5 Heber, betonter Auftakt. brennen brenner in das einerlei
4 Heber, unbetonter Auftakt. ein netz aus rillen und sensoren.

4 Heber, undifferenzierter Auftakt. kaum holt der puls den schlaf empor
4 Heber, unbetonter Auftakt. ans dämmerlicht des jungen jahres,
5 Heber, betonter Auftakt. Komma am Zeilenende. brausen brötchen frisch durch tür und tor
4 Heber, unbetonter Auftakt. und wieder weiß man: nun, das war es!

5 Heber, unbetonter Auftakt. oh nein! das war es nicht! das ist es noch!
5 Heber, unbetonter Auftakt, Hebungsprall "einiges". da steckt noch einiges drin im loch,
4 Heber, unbetonter Auftakt. willst du‘s erfahren, dann erfahr es!

4 Heber, unbetonter Auftakt. so schläft der mensch und merkt dann doch,
4 Heber, unbetonter Auftakt. sogar im dämmern dämmert klar es:
5 Heber, unbetonter Auftakt. er dreht sich auf der spitze eines haares.


Das Schema der Auftakte und Hebungen pro Zeile ist recht bunt gewürfelt. Klarer Rhythmus kommt trotz schöner Sprache keiner zustande.

Natürlich gibt es heute auch Sonette mit vierhebigen Zeilen, und diese sind hier in der Mehrheit. Ich habe mich aber gehässigerweise (sorry) beim farblichen Hinterlegen dafür entschieden, mich an die "klassischen" Sonettregeln zu halten, also 5-hebige Zeilen mit unbetontem Auftakt (blau).
Die Kadenzen, die - wie du sicher weißt - nach den älteren Regeln durchgehend weiblich sein sollten, habe ich ebenfalls außen vor gelassen, da man dies heute nicht mehr so streng nimmt. Ebenso den undifferenzierten Einstieg der Quartette, welcher bei einem klar strukturierten Sonett eher unproblematisch wäre, da man beim Weiterlesen die zugrundeliegende Struktur erkennt und die Betonung des Einstiegs dann entsprechend einzuordnen vermag. Bei einem so unklaren Bild wie hier wird der Leser jedoch eher hilflos zurückgelassen.
Erwähnenswert ist auch das hier verwendete Reimschema der Quartette, denn nach den klassischen Sonettregeln sollten diese umarmende Reime haben (ABBA). Du aber verwendest offensichtlich bewusst ABAB. Sollte das Gedicht zu Beginn etwa gar kein Sonett werden?

Der manirierte Verzicht auf Großschreibung ist eine lyrische Attitüde, die meines Erachtens dem Leser bloß das Lesen schwerer macht, aber da bist du nicht allein mit: Manche Poeten schreiben JEDEN Zeilenbeginn groß, was zu noch mehr Missinterpretationen und Verlesern führt, oder manche verzichten obendrein völlig auf die Zeichensetzung und Interpunktion - ein Grauen! Ich finde, da macht das Lesen keinen Spass mehr! Irgendwie - wenn ich an die lyrische Qualität vieler solcher Werke denke - kommt es mir so vor, als wolle der Dichter mit derlei Kinkerlitzchen den Text "künstlerisch" optisch aufwerten und so von gewissen lyrischen Mängeln ablenken. Ich kann dir versichern, dass du derlei nicht nötig hast - ohne dir damit eine derartige Motivation unterstellen zu wollen!

Deine Sprachhabung ist gut, die Rechtschreibung korrekt. Du hast Sprachtalent, keine Frage. Umso unverständlicher, warum dir hier so viele metrische Schnitzer unterlaufen sind!
Noch eine Kleinigkeit: Der von dir verwendete Apostroph bei "du`s" (S3Z3) ist ein französischer (´, `). Der korrekte deutsche Apostroph findet sich unter "shift/Raute": "du's" - und steht senkrecht. Da manche Computer es aber anders machen, ist nicht gesichert, ob dies ein Fehler deinerseits ist, oder ob der Programmierer deiner Software sich vertan hat.

Hier eine durchgehend vierhebige Version (bis auf die letzte Zeile, die müsste komplett umgeschrieben werden, und zur Hervorhebung einer Conclusio erscheint mir ein metrischer Bruch zulässig-er) mit unbetonten Auftakten:

Kaum schlägt der Mond sein Licht entzwei,
schon heulen Wölfe in Motoren,
glühn Brenner in das Einerlei
ein Netz aus Rillen und Sensoren.

Kaum holt der Puls den Schlaf empor
ans Dämmerlicht des jungen Jahres,
sind Brötchen frisch an Tür und Tor,
und wieder weiß man: Nun, das war es!

Oh nein! Das war es nicht! S'ist noch!
Da steckt noch manches drin im Loch,
willst du's erfahren, dann erfahr es!

So schläft der Mensch und merkt dann doch,
sogar im Dämmern dämmert klar es:
Er dreht sich auf der Spitze eines Haares.


Ja, ich weiß - nun haben wir in S1 geich drei undifferenzierte Zeileneinstiege in den Zeilen 1-3, aber ohne gravierendere Änderungen war das auf die Schnelle nicht anders zu machen.

Inhaltlich kann ich bei S1Z3,4 nicht so ganz folgen: Welche "Brenner" sind gemeint, welche "Rillen und Sensoren"?

Sehr gefallen haben mir die interessanten Sprachbilder von S1Z1, S1Z2, S2Z1. Das ist höchst gekonnte Sprachhabung! Chapeau.

G, eKy
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Geändert von Erich Kykal (01.01.2016 um 18:10 Uhr)
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