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Alt 07.08.2015, 16:26   #3
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, Bodo!

Hab mir in letzter Zeit wieder mal all die Folgen von "Kottan ermittelt" angeschaut, einer zynisch-satirischen österreichischen Krimiserie aus den Achtzigerjahren (Absoluter Kult!).
Abgesehen vom abseitigen Humor, den schrägen Charakterstudien der Wiener Halb- und Unterwelt und dem typischen "Wiener Schmäh" zeichnet sich diese Serie auch durch die authentischen heruntergekommenen Schauplätze aus, die das alte, unsanierte und vergammelte Wien in all seiner Schrecklichkeit zeigen! Das hat mich zu diesen Zeilen inspiriert.

Es gibt übrigens selbst heute noch Ecken in Wien, die so ausschauen, vor allem in den Vorstädten, den "billigen" Bezirken, wo die "Proleten" wohnen und wohin sich nie ein Tourist verirrt.
Neben den modernen, lieblosen und sterilen Wohnsilos aus Beton gibt es da immer noch die Häuserzeilen mit den Fassaden aus dem späten 19. Jahrhundert, wo es Klo und Wasserhahn nur im Treppenhaus gibt - je einmal für 2 Parteien! Warum? Weil die marode Substanz unter Denkmalschutz steht!
Aber du hast recht: Die von mir beschriebene Szene passt eher in die Vergangenheit, von Anfang des 20. Jhdts bis ca. Nachkriegszeit in die späten Sechziger.
Deinen Vorwurf der Pauschalisierung und Einseitigkeit hast du praktischerweise gleich selbst relativiert: Um eine bestimmte Stimmung zu erzeugen, muss man eben "ins Volle" greifen! Klar - die Masse müht sich brav und bleibt angepasst, aber wer je die echte Wiener Schnauze erlebt hat, der weiß erst so richtig, was mit Begriffen wie Derbheit, Kultur- und Bildungsferne oder Gehässigkeit gemeint ist!

Außerdem erhebe ich keinen Anspruch auf Authentizität.

LG, eKy


Hier noch eine anders strukturierte Version für die Feinde langzeiliger Werke:

Abgelebte Hausfassaden,
blass und staubig, schmutzigbraun,
und dahinter die Gesichter
sind recht ähnlich anzuschaun.
Aus den feuchten Innenhöfen
wächst der Schimmel in die Luft,
ernste Kinder husten hölzern,
bleich wie Tote aus der Gruft.

Vater will viel Zeit verbringen
mit dem hübschen Töchterlein,
Mutter säuft sich ins Vergessen,
lässt ihn mit dem Kind allein.
In der Wohnung gegenüber
stellt man laut das Radio an,
schlägt sich blutig, wirft mit Möbeln,
zetert schrill und vögelt dann.

Längst zum Abriss freigegeben,
modert der Gemeindebau
vor sich hin. Die darin leben,
sind wie die Tapeten grau,
die sich von den Wänden schälen,
und im morschen Fensterstock
hängen welk die letzten Träume
- und ein nasser Unterrock.
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
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Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (22.11.2015 um 02:39 Uhr)
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