Thema: Weiße Rose
Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 21.06.2015, 18:34   #10
Falderwald
Lyrische Emotion
 
Benutzerbild von Falderwald
 
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Inselstadt Ratzeburg
Beiträge: 9.910
Standard

Servus Erich, hallo Stachel,

ich habe jetzt absichtlich einige Zeit mit meiner Antwort gewartet, weil ich darüber selbst noch einmal nachdenken wollte.

Zitat:
Zitat von Erich
Der Satz ist mir einfach nicht klar und eindeutig genug formuliert - du siehst ja, wie schwer ich mich mit dem Verständnis getan habe, obwohl du an sich keinen echten Fehler begangen hast.
Wir diskutieren hier über die Syntax, also die korrekte Verknüpfung sprachlicher Einheiten im Satz, wenn ich das richtig verstanden habe.
Die Grammatik und die Satzstellungen an sich scheinen demnach richtig zu sein.

Zitat:
Zitat von Stachel
"dein harter Geist war wie ein scharfes Messer"
Bis hier hin ist alles klar: Der Geist ist messerscharf.

"ein scharfes Messer, auf dessen Schneide Tanz"
"dessen Schneide" bezieht sich auf "Messer" und "Tanz" wiederum auf "Schneide". Die Messerschneide tanzt, oder sie veranstaltet oder besucht einen Tanz (eine Tanz-Veranstaltung).
"dessen Schneide" bezieht sich auf Messer, soweit ist das richtig, "Tanz" aber eben nicht auf "Schneide", denn es ist ja wohl eine feststehende Tatsache, dass eine Messerschneide nicht tanzen kann. Damit blieben logischerweise also nur noch Sophie oder der Erpresser als mögliche (Tanz)Kandidaten übrig (dazu unten gleich mehr).
Und von einer Veranstaltung ist hier auch nicht die Rede, sondern vom "Tanz auf Messers Schneide", was nichts anderes als eine Redewendung und somit eine Metapher für "Gratwanderung, (sehr) risikoreiches Verhalten, Spiel mit dem Feuer, Vabanquespiel etc." ist.

Tanz auf Messers Schneide = Auf Messers Schneide Tanz = Auf dessen Schneide Tanz

Zitat:
Zitat von Erich
Denn bis man raus hat, dass der Erpresser auf der messerscharfen Klinge ihres Geistes balanciert, während die Klinge gleichzeitig tanzt und er dabei noch mal gleichzeitig ihr weiches Herz annagelt - das dauert!!! Und dann muss man noch fast zeitgleich begreifen, was sinnbildlich mit dem "Schlagen ans Hakenkreuzpanier" gemeint ist! Sorry - einfach zuviel für nur zwei Zeilen.
"Ach, junge Blüte, du warst eine Zier, dein harter Geist war wie ein scharfes Messer, auf dessen Schneide Tanz schlug der Erpresser dein weiches Herz ans Hakenkreuzpanier."

Ich begreife immer noch nicht, was hier so missverständlich ist.

Vorweg: In jeder Strophe wird die Protagonistin direkt angesprochen, in jeder einzelnen steht ein "du", in der ersten Strophe sind es sogar zwei.

Wie kommt man also darauf, dass hier die Klinge tanzt oder der Erpresser balanciert?
("dessen Schneide" bezieht sich auf Messer, soweit ist das richtig, "Tanz" aber eben nicht auf "Schneide", denn es ist ja wohl eine feststehende Tatsache, dass eine Messerschneide nicht tanzen kann. Damit blieben logischerweise also nur noch Sophie oder der Erpresser als mögliche (Tanz)Kandidaten übrig - s.o.)


Sollte man nicht vielmehr annehmen können, dass Sophie, die hier (in der ersten Zeile) wieder direkt angesprochen wird, während ihr (in der zweiten Zeile) ein messerscharfer Verstand zugesprochen wird, den sie wohl zu gebrauchen wusste und damit ein gefährliches Risiko (in der dritten Zeile) einging, wobei der Erpresser ihr Herz (in der vierten Zeile) an sein Symbol nagelte, gemeint ist?

Ein Gedicht lebt von Redewendungen, Metaphern und vielleicht noch eingschobenen Zitaten, wenn man sie fürs Thema gut verwenden kann.

In diesen zwei Zeilen steht wirklich eine ganze Menge davon, nämlich ein solches Zitat (weiches Herz), eine Redewendung ("Tanz auf Messers Schneide" = "Gratwanderung, (sehr) risikoreiches Verhalten, Spiel mit dem Feuer, Vabanquespiel etc.") und eine hervorragende Metapher, nämlich das "Hakenkreuzpanier", was Bezug nimmt auf "jemanden ans Kreuz schlagen" und die "nationalsozialistischen Parolen und Banner" etc., damit man auch weiß, wer der böse Mann hier ist.

Zitat:
Zitat von Erich
Meine rein technische Hochachtung für den Satzbaumeister, aber in einem Gedicht, einem lyrischen Fluss eben zuviel des Guten.
Dass diese Zeilen dem Leser einiges abverlangen, will ich nicht bestreiten, aber mit ein wenig Logik und der Bereitschaft, nicht etwas sinnlich Wahrnehmbares, sondern den gedanklichen, abstrakten Gehalt von etwas erfassen zu wollen, müsste es eigentlich funktionieren.

Nur auf diese Weise konnte ich viele Texte von Goethe, Heine, Hölderlin und ganz besonders auch Rilke überhaupt annähernd erfassen.

Nicht, dass ich mich mit diesen messen könnte, aber man kann es zumindest einmal ausprobieren.

Und was sagte Rilke dazu?

Zitat:
Im Schwierigen liegen die freundlichen Kräfte, die Hände, die an uns arbeiten.
Vielen Dank für eure (erneuten) Rückmeldungen...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald


__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



Falderwald ist offline   Mit Zitat antworten