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Alt 08.02.2015, 22:54   #4
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, walther!

Bei der allgemeinen sprachlichen Qualität (wohlgemerkt, es gibt Ausnahmen!) moderner Lyrik wundert mich das nicht! Es "klingt" eben meist nicht mehr schön, folgt oft genug keiner inneren Melodie. Künstlerische Sprachhabung allein ist vielen "Normalo"-Lesern zu wenig. Das kann ich gut nachvollziehen!

Hinzu kommt die neue verbale Verrohung der Sprache durch moderne Medien, Türkensprech (das meine ich nicht rassistisch) oder andere grammatikfeindliche Idiome, Anglizismen sowie die davor stattgefundene allgemeine Prosaisierung der Hör- und Lesegewohnheiten durch die Unbilden zweier Weltkriege im letzten Jahrhundert. Da hatten die meisten Menschen andere Sorgen als Lyrik! Das soll kein Vorwurf sein, aber es ging eben viel verloren.

Der entscheidende Hieb aber kam wohl von diversen "modernen" Dichtern selber: Im Bestreben, immer "neu" und "originell" sein zu müssen, haben sie sich in sprachliche Grenzregionen verstiegen, die für die meisten Konsumenten außerhalb ihrer "Blase" bestenfall albern und unverständlich wirkten. Man fragte sich nicht mehr: Was will der Künstler erreichen/aussagen? - sondern nur noch: Wen will der Typ eigentlich verarschen???

Heute ist es so weit gediehen mit den wenigen Übriggebliebenen, dass ein Hape Kerkeling ihnen stundenlang himmelschreienden Schwachsinn als "hohe Kunst" präsentieren konnte, ohne dass ein nennenswerter Teil des Publikums den Saal verlassen hätte. Hinterher, beim Gespräch mit dem "Autor/Komponisten", versuchten viele sogar, den Quatsch zu rechtfertigen oder ihm in vorauseilender Höflichkeit tieferen Sinn anzudichten - nur ganz wenige sagten frei heraus, dass sie all das für Blödsinn hielten: HURZ!!!

DAS hat "moderne Lyrik" geschafft: Intelligente Menschen bezüglich des eigenen Geschmacks so zu verunsichern, dass sie bereit sind, eigentlich alles zu schlucken und für Kunst zu halten, was man ihnen als solche präsentiert! Vielleicht wird nun verständlicher, warum ich nicht sonderlich begeistert davon bin - oder von jenen, die dieser Form so betriebsblind nachrennen.
Nun, wie auch immer ich es empfinde, zumindest erklärt es auch, warum heute kein Blatt mehr Lyrik druckt, ja warum selbst die klassische Lyrik völlig aus den Schullesebüchern verschwunden ist - zumindest bei uns in Österreich! Eine Schande! - Weil all das Gehurze moderner Lyriker den Menschen die Lust an der Lyrik gründlich ausgetrieben hat!

Es ist wie mit der Musik: Die vergeistigten Musikusse schätzen ihre "moderne Klassik" oder atonale Musik als höchsten Genuss, als höchste Vergeistigung des musikalischen Gedankens - und bleiben so gut wie allein in ihrer kleinen subventionierten Welt! Die meisten Leute hören Pop im Radio, einfach, weil es gut klingt. Sie brauchen zum Tanzen keine philosophischen Hintergedanken - bloß geile Mucke. Schade, dass dies den abstrakten Musikanten nicht zu denken gibt - sie bringen lieber weiterhin Kakteen zum Singen oder binden sich Schellen an alle Extremitäten und zappeln damit auf dem Rücken herum wie verzweifelte Käfer, untermalt von Fabrikshallenlärm, der von klassischen Instrumenten erzeugt wird!

Genau so ist es mit der Lyrik! Kaum einer kennt noch zu Herzen gehende Gedichte von tränentreibender sprachlicher Schönheit und harmonischem Wohlklang, weil fast jeder mit Lyrik nur noch das "moderne" Wortgeholze verbindet - und das interessiert eben kaum einen außerhalb des winzigen Konzeptbiotops, das sich diese "Dichter" und ihre verkopfte Klientel geschaffen haben!

So, ich hoffe, das klärt die Lage! - Zumindest fällt mir keine augenfälligere Erklärung für die Frage deines Textes ein.

LG, eKy
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Geändert von Erich Kykal (08.02.2015 um 22:59 Uhr)
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