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Alt 04.02.2015, 11:07   #2
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, wolo!

Nachdem du mir kürzlich die Ehre eines Kommentars erwiesen hast, von dem ich bis dato leider nicht so genau sagen kann, ob er beipflichtend oder abwertend gemeint war, möchte ich das Kompliment erwidern.

Das Gedicht hier zeichnet sich für mich vor allem zuerst einmal durch das interessante Reimschema aus. Die jeweiligen Mittelzeilen der Quartette sind gereimt, die jeweils letzte Zeile reimt sich strophenübergreifend, und zwar S1Z4 mit S4Z4, die restlichen 4. Zeilen teilen einen zumindest sehr ähnlichen Reim. Dies ist aber die einzige unharmonische Verteilung.
Bloß die ersten Zeilen bleiben ungereimt.

Sprachlich und sprachmelodisch ist das Werk auf einem guten Level, bloß einige besondere Wortschöpfungen stören etwas den lyrischen Duktus:
"Brummiächzen" klingt eher nach Kindergedicht. Altern.: "nur von Motorenlärm gestörten Nacht."

Gleich in S2Z2 wiederholst du das "ächzen", meine Alternative für S1Z4 würde auch dies beheben.

Betont man in Deutschland "EDEKA" nicht auf der ersten Silbe? Hier ist die zweite betont. Gilt das ebenfalls oder klingt das nicht seltsam?


Inhaltlich höchst gelungen. Zwei (junge?) Backpacker übernachten in Ermangelung von Barschaft oder Orientierungssinn - oder beidem - nahe der städtischen Müllhalde. Dies beinhaltet starke Widersprüche zum romantisierten Bild von Urlaub, Wandern und Camping - aber gerade dies verleiht dem Werk einen ganz eigenen Zauber, der sich bei weitem nicht im humoristischen Anspruch erschöpft. Hier waltet etwas zutiefst Menschliches, eine Gebrochenheit der ganzen Schöpfung, die uns so unperfekt und liebenswert zugleich macht.
Einerseits die prosaischen, widerlichen Hinterlassenschaften der Stadt plus Geruch und Lärm, andererseits das dennoch so vertraute Pärchen, dem diese Umgebung nichts anhaben kann. Das hat etwas Magisches und Wunderschönes, auch wenn du mit der letzten Strophe das sarkastisch-humoristische Element verstärkst und das Beziehungselement dort keine Rolle mehr spielt. Ich finde das schade. Mein Rat: Streiche die letzte Strophe, sie wirkt wie ein albernes Anhängsel an einen höchst gelungenen tiefsinnigen Text.
Davor geht es um viel Wichtigeres als die nackte Info, wie die Stadt heute heißt, oder was sich nun darauf reimt!

Die wesentlich stimmigere Conclusio findet sich davor in der höchst widersprüchlichen Behauptung, diese Nacht sei höchst unlyrisch verlaufen - denn mit deinen Zeilen davor beweist du ja quasi das perfekte Gegenteil.
Dieser weitere Bruch spiegelt wundervoll jenen davor zwischen dem vertrauten Paar und der unromantischen Umgebung, die ihm jedoch die gute Laune nicht zu vermiesen vermag.

Insgesamt ein höchst gelungenes Gedicht. Keine Ahnung, ob das von mir Beschriebene deine eigentliche Intention war, aber das soll keine Rolle spielen.

Sehr gern gelesen!

LG, eKy
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Geändert von Erich Kykal (05.02.2015 um 00:07 Uhr)
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