Thema: Maranatha!
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Alt 09.07.2013, 10:45   #2
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Standard "Maranatha" - Unser Herr wird kommen

Buenos dias, Carminito,

herzlich willkommen auf dem Gedichte-Eiland.

Sich mit einem solch wortgewaltigen Sonettenkranz in einem Forum vorzustellen, das ist schon beeindruckend.

Die Ausführung ist wahrhaft meisterhaft und tadellos.

Eine schöne, wenn auch nicht neue Idee, sind die teilweisen Reimendungen mit getrennten Worten. Aber das finde ich legitim, wenn es den natürlichen Sprachfluss nicht behindert, was hier definitiv nicht der Fall ist.

Insofern gibt es also für die Ausführung die "volle Punktzahl", ein dickes Lob und den nötigen Respekt vor diesem Werk als solchem.

Inhaltlich jedoch kann ich mich als bekennender und überzeugter Atheist mit diesem Sonettenkranz überhaupt nicht identifizieren.

Religionen sind - nach meiner festen Überzeugung - allgemein nicht mehr als Mythen, die das Dasein der Menschen mit der Welt der Götter verknüpfen.
In allen Glaubensrichtungen kommen Personen, Dinge, Orte, Begebenheiten usw. vor, welche aus verschwommenen, irrationalen Vorstellungen heraus glorifiziert werden und legendären Charakter besitzen.

Mythen und religiöse Rituale machen keine Unterscheidung zwischen Immanenz (das Verbleiben in einem vorgegebenen Bereich ohne Überschreitung der Grenzen) undTranszendenz (jenseits der Erfahrung, des Gegenständlichen Liegendes, also das Überschreiten der Grenzen von Erfahrung und Bewusstsein des Diesseits). Hier wird also nicht zwischen verschiedenen Realitätsstufen unterschieden.

Der Mythos steht demnach im krassen Gegensatz zum Logos, der durch verstandesgemäße Beweise versucht, die Wahrheit seiner Behauptungen zu begründen.

Meine Weltsicht versteht den Mythos als kindliche Vorstufe zum begrifflichen Denken, in dem sich der Mensch selbst zum Instrument des Mythos' macht.
Mythen sind demzufolge also nichts weiter als Projektionen menschlicher Probleme und Erfahrungen auf übermenschliche Wesen.

Ich will jetzt nicht weiter ausholen und beende diesen Kommentar mit einem Zitat von Arthur Schopenhauer aus Parerga und Paralipomena II, Kapitel XV, §. 176, Offenbarung:

Zitat:
Zitat von Arthur Schopenhauer
Der ist nur noch ein großes Kind, welcher im Ernst denken kann, daß jemals Wesen, die keine Menschen waren, unserm Geschlecht Aufschlüsse über sein und der Welt Daseyn und Zweck gegeben hätten. Es gibt keine andere Offenbarung, als die Gedanken der Weisen; wenn auch diese, dem Loose alles Menschlichen gemäß, dem Irrthum unterworfen, auch oft in wunderliche Allegorien und Mythen eingekleidet sind, wo sie dann Religionen heißen. Insofern ist es also einerlei, ob Einer im Verlaß auf eigene, oder auf fremde Gedanken, lebt und stirbt: denn immer sind es nur menschliche Gedanken, denen er vertraut, und menschliches Bedünken. Jedoch haben die Menschen, in der Regel, die Schwäche, lieber Andern, welche übernatürliche Quellen vorgeben, als ihrem eigenen Kopfe zu trauen. Fassen wir nun aber die so überaus große intellektuelle Ungleichheit zwischen Mensch und Mensch ins Auge; so könnten allenfalls wohl die Gedanken des Einen dem Andern gewissermaaßen als Offenbarungen gelten. -
Hingegen das Grundgeheimniß und die Urlist aller Pfaffen, auf der ganzen Erde und zu allen Zeiten, mögen sie brahmanische, oder mohammedanische, buddhaistische, oder christliche seyn, ist Folgendes. Sie haben die große Stärke und Unvertilgbarkeit des metaphysischen Bedürfnisses des Menschen richtig erkannt und wohl gefaßt: nun geben sie vor, die Befriedigung desselben zu besitzen, indem das Wort des großen Räthsels ihnen, auf außerordentlichem Wege, direkt zugekommen wäre. Dies nun den Menschen Ein Mal eingeredet, können sie solche leiten und beherrschen, nach Herzenslust. Von den Regenten gehn daher die klügeren eine Allianz mit ihnen ein: die andern werden selbst von ihnen beherrscht.
Das sagt eigentlich schon alles.

Wie gesagt, formidable Leistung in Bezug auf das Handwerkliche, inhaltlich konnte es mich aber weder erreichen, geschweige denn überzeugen.


Gerne gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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