Thema: Kriegskind
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Alt 16.12.2012, 20:33   #6
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, Chavi!

Du hast natürlich recht bezüglich der lyrischen "Glätte". Hier scheiden sich die Geister: Soll man einer behaupteten Authentizität zuliebe bewusst "uneben" schreiben, nur damit es sich eher nach traumatisiertem Kind anhört - oder stellt man alle sprachliche Brillianz, derer man fähig ist, in den Dienst der zu kolportierenden Sache, auch wenn es sich dann eben nicht nach "Kind" anhört?
Dass ich letzteres präferiere, ist offenkundig. Klar könnte und würde es ein Kind nie so ausdrücken, aber meines Erachtens ist das hier auch nicht vordergründig wichtig - hier kommt es, denke ich, auf die Vermittlungsqualität des zu vermittelnden Gedankens an, nicht darauf, dass es möglichst "echt" klingt.
Man merkt und weiß, dass hier ein Dichter ins Lyrich solch eines Opfers schlüpft - er gibt nicht vor, dass tatsächlich hier ein Opfer spricht. Ich denke, das ist irgendwie ehrlicher, vor allem, wenn man in Rechnung stellt, dass die wenigsten Autoren - mich eingeschlossen - je wirklich derlei erlebt oder auch nur miterlebt haben. Ich finde den Anspruch auf "stilistischen Realismus" eher befremdlich, so als wollte ein Schauspieler so perfekt sein, dass man nicht merkt, dass hier jemand schauspielert.
Irgendwie denke ich, das mindert sogar die Ernsthaftigkeit des Inhalts, weil man den Eindruck gewinnt, dass der Autor mit lyrischen "Tricks" arbeitet, so als fehle es ihm an der Einsicht in die eminente Wichtigkeit seines Themas, was dazu führt, dass er zu spielerisch, zu effekthaschend damit umgeht.

Aber wie gesagt - da scheiden sich die Geister! Die Gegenseite hat bestimmt genauso gute Argumente für ihren Standpunkt.

Zu der monierten mangelnden Gefühlstiefe sei gesagt: Es kommt ganz drauf an, woran man das Gefühl festmacht. Gut geschriebene Lyrik lässt in mir beispielsweise wesentlich mehr Gefühl für die vermittelte Sache aufkommen, da mich erlesene Sprache an sich beeindruckt.
Vielleicht authentischere, aber eben linkische und einfache Kindersprache vermag mich hingegen nicht emotional zu bewegen. Du siehst - eine Frage der Präliminarien und Präferenzen.

Vielen Dank für deine wichtigen Gedanken - sie wiesen auf einen grundsätzlich unterschiedlichen lyrischen Ansatz hin, den ich hoffentlich erschöpfend darlegen konnte.

LG, eKy
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