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Alt 13.01.2012, 09:36   #5
Stimme der Zeit
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Liebe Chavi,

Zitat:
dieses Gedicht war ursprünglich als Naturgedicht gedacht, da ich erst einmal nur die erste Zeile im Kopf hatte.
Aber dann hat sich der Text verselbständigt - wie es mir öfter passiert
das kommt mir so bekannt vor.

Zitat:
Ich werfe mich dem Sturm entgegen,
der heulend über Felder weht,
ich weiche ab von allen Wegen,
dorthin, wo eine Festung steht.
"Ich werfe mich ... entgegen" und "ich weiche ab" haben mich in dieser Strophe besonders angesprochen. Das ist gewissermaßen Verbindung und Gegensatz zugleich. Das LI stellt sich den Stürmen (des Lebens) entgegen, vor ihnen weicht es nicht zurück. Es verlässt, so wirkt es auf mich, lediglich die bisher begangenen Wege. Scheint, als ob es auf diesen Wegen zwar eine Festung suchte, aber keine fand. "Ungeschrieben" hat das LI also entweder einen neuen Weg gefunden oder es hat sich ganz "neben die Wege" begeben (so, als ob es z. B. über Gras oder die Wiese geht, metaphorisch gesehen). Jedenfalls wurde eine Festung entdeckt.

Zitat:
Den Schild erheb ich in die Höhe,
um mich zu schützen vor dem Wind;
ich fürchte mich vor jeder Nähe,
als wäre ich geblendet blind.
Manchmal weht ein rauher, kalter Wind im Leben, der, so wie hier im Gedicht, auch zu einem Sturm wachsen kann. Den "Schild" sehe ich als einen metaphorischen Schutzschild, den wir wohl alle mehr oder minder verwenden. Der eine schützt sich mit scheinbarer Unberührtheit, ein anderer wehrt den "Wind" damit ab und bleibt auf "Distanz". Ich glaube, je mehr Gefühle ein Mensch hat, desto notwendiger auch ein irgendwie gearteter Schutzschild. Zu viele Stürme können (leider) dazu führen, dass zu sehr abgewehrt wird und gar nichts mehr "näherkommen" darf. Ich ganz persönlich stellte fest, dass man tatsächlich "geblendet blind" (ich "sehe" hier "Blitze" im Sturm) wird und so Gefahr läuft, auch den leichten Frühlings- oder einen warmen Sommerwind abzuwehren. Hier möchte ich dem LI sagen: Es werden immer wieder Stürme kommen. Aber stell dich lieber Stürmen, anstatt die "sanften, guten" Winde auch abzuwehren, es ist zu schade. Nicht sehr oft, aber ab und zu ist so einer darunter.

Zitat:
Mit Müh' erreiche ich den Hafen,
der mir die Sicherheit verspricht.
Dort, wo sich einst die Freunde trafen,
wo's hell war, brennt nur noch ein Licht.
Irgendwie suchen wir wohl alle im Leben nach einer "Festung", die uns einen "sicheren Hafen", einen "Zufluchtsort" bietet. Selten, dass einer gefunden wird, und manchmal ist die Sicherheit trügerisch. Und es geschieht öfter, dass sich der Hafen verändert. Die Suche nach Festungen hat selten dauerhaft Erfolg, es liegt daran, dass sie "groß" sind und meist zu viele Bewohner haben. Und die wenigsten tragen ein Licht mit sich. Nein, ein Licht, das ist es, was man immer wieder suchen sollte - und sich freuen, wenn man eines findet. Lichter sind rar, aber ab und zu brennt da wirklich eines. Das lernt man mit der Zeit. Es ist nur deshalb schwierig, weil man dafür den Schild senken muss und die vielen Stürme einen gelehrt haben, dass das auch negative Folgen haben kann. Trotzdem - wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Aber stimmt, es ist traurig, wenn man feststellt, dass da, wo man viele Lichter zu sehen glaubte, eben doch nur eines ist. Das LI sollte sich sagen: Ein Licht, das ist so viel mehr als keines - denn es verhindert, dass es "ganz dunkel" wird. Daran halte ich mich schon lange.

Zitat:
Und nun betret ich jene Hallen,
sie sind voll Unrat, Schmutz und Dreck,
erblick in jeder Ecke Fallen,
ich wende mich entsetzt - und weg!
Als ich jünger war, handelte ich wie das LI. Heute sage ich mir: Ich gehe die Festung durchsuchen. Manche "Bewohner" halten ihre Räumlichkeiten nicht "sauber", andere stellen vielleicht Fallen auf, aber wenn unverdrossen gesucht wird, findet sich doch ein Raum, auch wenn's nur ein kleines Zimmer ist, wo der Bewohner darauf achtet, dass alles ordentlich und sauber ist. Einer, der weiß, dass aufgestellte Fallen auch immer die Gefahr bergen, selbst hineinzutreten. Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andren zu. Dem LI möchte ich hier wiedersprechen und Mut zusprechen: Weglaufen führt nur dazu, dass man wieder "draußen im Sturm" landet. Und es besteht eben auch das Risiko, ein Licht zu "verlieren", bevor man es gefunden hat. Manchmal muss man nur ein bisschen länger suchen.

Zitat:
Und wieder steh ich in dem Sturm,
der mich vom rechten Weg getrennt.
Wo ist mein Retter, wo der Turm,
wo mich kein Feuerblitz verbrennt
und wo man mich als Mensch erkennt...
Das LI steht wieder im Sturm, ja. Und es hat offenbar den (rechten) Weg verloren, weiß nicht mehr, wohin. Auch darin habe ich meine eigene Erfahrung, wie gesagt, als ich jünger war, ging's mir auch so. Die wichtigste Erkenntnis, so denke ich, ist, dass wir nicht "draußen" nach einem "Retter", einem "Turm" suchen, sondern verstehen, dass wir selbst unsere eigene "Festung" sein können - und uns "selbst retten". Der eigene Glaube, die eigenen Werte und Überzeugungen bilden eine sichere Festung, wenn man das erkennt. Denn die Festung in uns selbst kann allen Stürmen der Welt standhalten und auch den (u. U. gefährlichen) "Feuerblitzen". Sich selbst als Mensch zu erkennen, hilft, ihn auch in anderen zu sehen. Ja, das ist eine Methode, die zweifellos Risiken birgt und wenig Erfolg hat. Aber, ab und zu: Wenn Du denkst es geht nicht mehr,
kommt irgendwo ein Lichtlein her.
Ein alter Denkspruch, eines meiner Mottos.

Das Versmaß ist einwandfrei durchgezogen, und mir fiel dabei auf, dass es meist Trochäen mit Auftakt sind. Der letzte Vers ist eindeutig jambisch. Das passt sehr gut zum Inhalt. (Ich bin eben der Ansicht, dass Trochäus mit Auftakt zwar "gleich" Jambus ist, der "Takt" ist aber anders, daher sind sie nicht "dasselbe".) Als Beispiel:

Zitat:
Und/ wieder/ steh ich/ in dem/ Sturm, - das ist ein Trochäus mit Auftakt

als Jambus wäre es nämlich so:

Und wie/der steh/ ich in/ dem Sturm,

Man kann natürlich immer auch so oder so takten, aber hier "schneidet" der jambische Takt z. B. das Wort "wieder" in zwei Hälften.

...
und wo/ man mich/ als Mensch/ erkennt/... - jambisch "getaktet"
und/ wo man/ mich als/ Mensch er/kennt... - trochäisch getaktet

Wenn man das ganz deutlich betont und mal wirklich "Pausen" macht, dann ist zu merken, dass der jambische Takt hier viel besser klingt.
(Ich wollte nur mal zeigen, warum ich persönlich da unterscheide. )

Mir gefallen auch die gewollten Wiederholungen, wie z. B. "wo" oder "und", sie unterstreichen den Inhalt.

Auch ich finde das Gedicht gut gelungen und habe es sehr gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße

Stimme
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