Thema: Wach sein
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Alt 15.12.2011, 15:07   #4
Justin
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Hallo Aurora,

schon in Deiner Vorstellung auf der Insel läßt sich etwas von einem Aufbegehren erahnen. Im Gedicht, das mir gut gefallen hat, kommt es jetzt zum Ausdruck. Nun weiß ich nicht, wie Dein Leben verlaufen ist, doch ich kann mir gut vorstellen, daß Du in einen Strudel von Beratern und falschen Propheten geraten sein könntest, die einem das Leben zurechtbiegen wollen, nicht auf persönliche Gefühle achten und gern etwas überstülpen. Was als Maßstab dargestellt wird, hat mit der eigenen Gefühlswelt nichts zu tun. Dadurch wird das Aufbegehren erst geboren und noch mehr befördert. Im Gedicht beschreibst Du die schlimmste Ausgenzung, doch muß man manchmal gar nicht so weit gehen und findet sie trotzdem vor.

Unangepaßtheit ist so falsch nicht und kann sogar ein Vorteil sein, weil sie den Dingen auf den Grund geht. Jugendliche sagen manchmal, daß es "uncool" wäre, sich zu normal oder angepaßt zu verhalten. Das ist gut gedacht, doch gibt es in der Denkweise leider auch eine Kehrseite. Wenn andere ganz unverblümt gemobbt werden und es heißt: "Du Opfer". Ein Opfer hat aber Mitgefühl verdient, auch Mitleid, nicht aber Verachtung.

Wie sieht es wirklich mit dem Mitleid aus? Im Vorwort zu seinem Roman "Ungeduld des Herzens" sagt Stefan Zweig dazu: "Es gibt eben zweierlei Mitleid. Das eine, das schwermütige und sentimentale, das eigentlich nur "Ungeduld des Herzens" ist, sich möglichst schnell freizumachen von der peinlichen Ergriffenheit vor einem fremden Unglück, jenes Mitleid, das gar nicht Mit-leiden ist, sondern nur instinkitive Abwehr des fremden Leidens von der eigenen Seele. Und das andere, das einzig zählt - das unsentimentale, aber schöpferische Mitleid, das weiß, was es will, und entschlossen ist, geduldig und mitleidend alles durchzustehen bis zum Letzen seiner Kraft und noch über dies Letzte hinaus."

Soweit Stefan Zweig. Also ist richtiges Mitleid gar nicht mal verurteilenswert.

Das sollte man den Psychologen gegenüber deutlich machen. In schöner Wiederkehr heißt es nämlich bei ihnen: "Anerkennung statt Mitleid". Dabei sieht es meist so aus wie in einm Sketch von Loriot, der nicht gespielt werden muß, sondern sich in der Wirklichkeit abspielt. Mit vollendetem Pathos vorgetragen ist diese Worthülse blutleer, weil nach normalen Maßstäben wohl keiner von Anerkennung sprechen würde und das Mitleid jenes wäre, wovon Stefan Zweig gesprochen hat.

Deinen beschriebenen Pessimismus mußt Du nicht unbedingt loswerden, weil das Abwägen der Dinge sehr viel vernünftiger sein kann.

Gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße

Justin
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