Thema: Geplauder
Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 10.12.2011, 17:32   #2
Stimme der Zeit
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Benutzerbild von Stimme der Zeit
 
Registriert seit: 15.03.2011
Ort: Stuttgart
Beiträge: 1.836
Standard

Hallo, Cebi,

zunächst einmal: Was für ein faszinierender Rhythmus! Dieses Gedicht folgt dem "Klang", nicht dem Metrum.

Ich bin also ebenfalls dem Rhythmus "gefolgt", das funktioniert auch gut (bis auf zwei Stellen). Strophe 2 folgt "klanglich" Strophe 1, in Strophe 3 jedoch wechselt das, ich finde hier "taktet" es eher, deutliche Pausen, für mich ein wenig "stockend" (nicht als Fehler, nein, nur ganz anders als zuvor). Strophe 3 klingt für mich fast wie ein "Sprechgesang", etwas "abgehackt", fast "monoton". Wobei ich erwähnen möchte, dass am Ende von Strophe 2 ein "Übergang" stattfindet. In Strophe 4 "wechselt" der Rhythmus (für mich) innerhalb der Strophe, während die ersten 6 Verse irgendwie "zwischen" dem Klang von Strophe 1 und zwei liegen, sind die beiden letzten Verse wieder eindeutig "fließender" - was absolut zu deren Inhalt passt.

Für mich ist dieses Gedicht auf jeden Fall "Musik", es ist ein Lied. Daher sind hier die Regeln des "geschriebenen Metrums" auch nicht angebracht.

Ich möchte gerne die beiden Stellen kurz anmerken (wobei: Das ist nur mein persönlicher Rhythmus, jemand anderer "empfindet" bzw. sieht das vielleicht nicht so):

Zitat:
Doch Wege führen dich fort von hier,
Hier würde ich (rein aufgrund der Melodie) "führen" zu "führn" verkürzen, da "hakt" es ein wenig.

Zitat:
doch sinds die Bäume, die
einzigartig, fest verwurzelt,
Hier ist es das "die", das ich in der Melodie nicht an dieser Stelle "unterbringe", es will sich einfach nicht "fügen". Ich mache unwillkürlich nach "Bäume" Schluss und wechsle dann zu "die einzigartig, fest verwurzelt," als nächste (Lied)Zeile über.

Das soll jetzt keine Kritik sein, nur eine Rückmeldung, wie ich es "höre".

Es gibt ein paar kleine Tippfehler:

Zitat:
auf Pfaden, deren Winden - hier fehlt ein Komma
Zitat:
doch sind's die Bäume, die - beim Verkürzen von "es" muss ein Apostroph hin
Zitat:
um mir einfach zuzusehen - zuzusehen gehört zusammen
Zitat:
die Welt aus dieser Sicht verstehen? - die Ellipse stört mich nicht, aber hier bitte aufgrund von "(zu) verstehen" klein
Zitat:
mit jedem Höherkommen, - "dem" Höherkommen - "das" Höherkommen
Der Inhalt ist sehr tiefsinnig.

Zitat:
Was dort tief im Brunnen liegt,
so schwer in meinem Herzen wiegt
und hallt im Raum,verdreht vom Traum
des Schenkens, jenseits jedes Lenkens,
nährt den Geist und doch so dreist
ist es zu Denken, ich könnte nun ertränken,
was mir im Grunde wichtig ist,
denn Nähe ist es, was du bist,
im Jetzt und Hier, bist du bei mir.
Etwas belastet das LI, das tief im Inneren liegt; der "Hall" bzw. das "Echo" ist immer wieder zu hören, bestimmte Gedanken "tauchen" immer wieder "auf". Das LI versucht offenbar, diese Empfindungen so tief im Brunnen zu versenken, dass sie (erhofft) für immer "unten bleiben". Offenbar sind die Gefühle und Gedanken nicht zu "lenken", sie entziehen sich der Kontrolle. Hat das LI zu viel von sich "verschenkt", musste erlebt werden, dass sich Träume dadurch nicht erfüllen, sondern sich die Bedeutungen "verdrehen"? Für mich "reflektiert" sich das LI selbst im Brunnen, erkennt, dass es nicht richtig wäre, das zu tun, denn dabei würde das Wichtigste "mit ertränkt" - das LD, das im "Jetzt und Hier", der Gegenwart also, ganz beim LI ist und ihm Nähe schenkt.

Zitat:
Doch Wege führen dich fort von hier,
um mich dereinst zu finden,
auf Pfaden deren Winden
für mich, noch nicht,
ersichtlich ist.
Das LI fühlt, dass das LD sich von ihm entfernt. Die "Wege", auf denen das geschieht, bleiben dem LI (noch) unverständlich, die "Windungen" lassen das LD wohl immer wieder "außer Sicht" kommen. Allerdings ist das LI vertrauensvoll davon überzeugt, dass, egal wohin diese Wege auch führen mögen, das LD von ihnen am Ende wieder zu ihm (zurück)geführt wird. Das lässt mich noch einen kleinen Schritt weiterdenken, denn ich frage mich: Warum entfernt es sich dann? Vielleicht, weil das LD, um wirklich "ganz" beim LI sein zu können, "unterwegs" erst sich selbst "finden" muss?

Zitat:
Gedankenräume,
blasse Träume
schimmern durch,
doch sinds die Bäume, die
einzigartig, fest verwurzelt,
schweigend dann, am Rande stehen,
um mir einfach zu zusehen
und still zu sagen,
„Komm mit uns.“
Hier "sehe" ich ein Bild, bei dem Sonnenlicht durch das Blattwerk von Bäumen fällt. "Gedankenräume, blasse Träume" schimmern durch die Äste - "gefiltert". Für mich sind die Bäume Metaphern für "Beständigkeit", für Werte, gleichzeitig auch Symbole für den "Weg nach oben". Sie sind "fest verwurzelt", bieten Sicherheit - aber sie stehen trotzdem nur "am Rande", sie schweigen und sehen nur zu. Trotzdem teilen sie, auch im Schweigen, dem LI mit, dass es "mit ihnen kommen" soll. Hier bringt mich das Wort "mit" zum Nachdenken. "Zu" ihnen ergäbe eine ganze andere Bedeutung, aber das steht ja hier nicht. Bäume jedoch "bewegen" sich, zwar nicht von der Stelle, aber sie "wachsen" - nach "oben".

Zitat:
Gedankenangeln, welch ein Hangeln
die Äste rauf, um weit zu sehen,
die Welt aus dieser Sicht Verstehen?
Nicht leicht, doch weicht
mit jedem höher kommen,
die Angst und es wird wahrgenommen,
was unten dem zu Grunde liegt
und schwer in meinem Herzen wiegt.
Das LI ist der Einladung der Bäume gefolgt. Das Klettern, um nach oben zu kommen, ist anstrengend, denn es muss von Ast zu Ast "gehangelt" bzw. nach jedem einzelnen Gedanken "geangelt" werden, auf dem Weg zum "Baumwipfel" hinauf, denn dort oben bietet sich dann eine "weite Sicht". Hier wird das jedoch als Frage formuliert. Das LI fragt sich, ob es, wenn es in die "Weite" hinaussehen kann, auch die "Welt" endlich "verstehen" kann. Auf dem Weg nach oben allerdings verliert sich mehr und mehr die Angst. Was das LI dann allerdings sieht, ist das "was unten dem zu Grunde liegt und schwer in meinem Herzen wiegt". Meiner Intention nach macht das die "Kletterpartie" aber nicht unnötig, keineswegs. Denn von "oben" betrachtet wird das "zu Grunde liegende" sicher ganz anders gesehen, denn die Perspektive hat sich verändert.

Auf der Reise durch sich selbst findet man zu sich selbst zurück, um sich dann neu und anders zu sehen und sicher auch besser zu verstehen. Verstehe ich mich selbst, dann verstehe ich die Welt. (Ein Sprichwort.)

Meine einzige, kleine Kritik: Für mich passt der Titel überhaupt nicht dazu, denn unter "Geplauder" verstehe ich etwas "Seichtes, Bedeutungsloses". Vielleicht aber hattest du damit auch eine ganz bestimmte Absicht, die ich nur nicht erkenne (kann ja sein). Dann wäre es schön, wenn du sie mir erklären würdest.

Lieber Cebrail, das ist ein sehr schönes und sehr berührendes Gedicht, ich habe es wirklich gerne gelesen!

Liebe Grüße

Stimme
__________________
.

Im Forum findet sich in unserer "Eiland-Bibliothek" jetzt ein "Virtueller Schiller-Salon" mit einer Einladung zur "Offenen Tafel".

Dieser Salon entstammt einer Idee von unserem Forenmitglied Thomas, der sich über jeden Beitrag sehr freuen würde.



Geändert von Stimme der Zeit (10.12.2011 um 17:35 Uhr) Grund: Kleine Ergänzung.
Stimme der Zeit ist offline   Mit Zitat antworten