Thema: Versteinert
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Alt 04.11.2011, 16:36   #7
Stimme der Zeit
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Liebe Dana,

Zitat:
erst kürzlich wagte ich zu schreiben: "Traurigkeiten musst du noch üben."

Ich nehme es zurück - war eh nicht so gemeint.
zunächst, das finde ich wichtig: Bitte nichts von „wagen“ schreiben. Schließlich haben wir beide doch nur Spaß gemacht.

Ich habe wirklich bis jetzt am längsten mit dem „Verdichten“ von Trauer bzw. Traurigkeit „gekämpft“. Nachdem mir die Versuche nie gelangen und die letzten prompt à la Stimme ins Humorvolle „entgleisten“ , dachte ich lange und intensiv nach. Ich wollte endlich dahinter kommen, warum ich das Gefühl der Trauer nicht in ein Gedicht „hineinbekam“.

Also machte ich mich an die Arbeit und las wohl drei Dutzend derartige Gedichte, sowohl Klassiker als auch moderne Werke. Irgendwann beim Lesen „klingelte“ es bei mir. Die meisten traurigen Werke enthalten eine gewisse Menge „Theatralik“ (wobei ich dieses Wort jetzt nicht im negativen Kontext meine!). Dabei ist das „Gradmaß“ bzw. der Anteil entscheidend. Wenn es mir (persönlich) „zu“ theatralisch erscheint, dann kommt unweigerlich mein Humor mit ins Spiel – was bei mir dazu führen kann, dass mich ein Werk, das traurig sein soll, statt dessen amüsiert ...

Das war/ist mein „Knackpunkt“. Ich kann einfach überhaupt nicht theatralisch sein, ohne über mich und mein Geschriebenes lachen zu müssen, dafür reicht bei mir bereits das allerkleinste bisschen aus! Fazit: Ich kann kein trauriges Gedicht schreiben, während ich mich gleichzeitig über mich selbst amüsiere! Das geht ja nun gar nicht.
Das ist beim Lesen von Gedichten, die jemand anders geschrieben hat, nicht so. Dabei kann mir das durchaus gefallen, da liegt meine „Messlatte“ beträchtlich höher. Ich stellte fest: Das gilt nur für mich, wenn ich so schreibe.

Also war mir klar: Damit ich ein trauriges Gedicht schreiben kann, muss ich ohne jede Theatralik schreiben. Daher dieser Stil, den wolo „lapidar“ nennt. (Das ist zwar nicht ganz „richtig“, aber auch nicht „falsch“, da ist schon „etwas dran“.) Hier schrieb ich ein Gedicht über echte Trauer. Sie „lähmt“; lässt die Gedanken des LI zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin- und herwandern; immer wieder „drängen“ sich einzelne Bilder „auf“; es wird ein Gefühl der „Ziellosigkeit und Desorientierung“ empfunden und, da sämtliche Tränen bereits zuvor schon geweint wurden, bleibt eine Art „Betäubung“ zurück.

Zitat:
Nun wurdest du schon verdient gelobt. Die Geschichte selbst ist nicht einmalig, wohl aber ihre Verdichtung.

Was mir besonders gefällt ist die "Besonnenheit" darin. Das lyr. Ich klagt nicht und gerade damit ergreift es den Leser. Sogar das lyr. Du betrachtet man wohlwollend - man wagt keine Beurteilung, keine Bewertung.
Hier haben Leben und Schicksal entschieden.

Beim Lesen wird das Herz weich, groß und es fühlt mit.
Liebe Dana, allmählich weiß ich nicht mehr, was ich sagen soll, das meine ich wirklich ehrlich. Ich fühle mich beinahe hilflos, obwohl ich mich natürlich über Lob freue. Es überwältigt mich ein bisschen. Vielen, herzlichen Dank!

Zitat:
Noch mehr:
Als würde man still neben dem lyr. Ich sitzen. Das Gras, der Käfer, das Fotoalbum, Autofahrten, Lachen und Tränen. Man erfasst das gesamte Leid mit den Bildern und wagt nicht zu stören. Jeder Trost oder gar Rat wären fehl am Platze.
Wunderbar, deine Schilderung. So erging es mir vor Jahren mit einer Freundin, sehr wahrscheinlich ist das auch mit in dieses Gedicht eingeflossen. Es gibt ein Ausmaß an Trauer, bei der Trost viel zu wenig ist. Dann kann man nur „da“ sein.

Zitat:
Liebe Stimme, ein sehr, sehr schönes Gedicht.
Ich schreibe nicht mehr, um mir nicht zu widersprechen. (Ich lese mehrmals und "genieße" eine unendliche Traurigkeit - du verstehst.)
Ja, ich verstehe.

Herzliche Grüße

Stimme
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