Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 06.09.2011, 20:46   #3
Falderwald
Lyrische Emotion
 
Benutzerbild von Falderwald
 
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Inselstadt Ratzeburg
Beiträge: 9.910
Standard

Hallo Thomas,

dein Gedicht beinhaltet ein Thema, das alle Menschen angeht.

Ich gehe jetzt zunächst einmal auf die Hauptfaktoren ein, die für diese Kindersterblichkeit verantwortlich sind: Hunger + Gesundheit = Armut.

Wenn ich sehe, was täglich allein in den deutschen Supermärkten an Lebensmitteln vernichtet wird, dann sträuben sich mir die Haare.
Wenn ich aber ehrlich bin, muss ich mich auch an die eigene Nase fassen, denn einiges, von dem was ich einkaufe, vergammelt auch bei mir und landet im Müll.
Das geschieht nicht mit böser Absicht und ich verfluche mich jedes Mal selbst, wenn mir wieder mal etwas weit über das MHD Gelagertes in die Hände fällt, was ich entsorgen muss.

All dies geschieht allein in meinem täglichen Umfeld und im Angesicht des allgegenwärtigen Hungers auf dieser Welt würde ich das, wenn ich ein religiöser Mensch wäre, als eigentliche Sünde bezeichnen.
Es ist aber nicht mehr als die Gedankenlosigkeit jener (ich schließe mich ausdrücklich ein), die im Überfluss leben.
Bei uns geht es nicht mehr darum, daß wir etwas zu Essen bekommen, sondern viel mehr was wir gerne essen möchten, denn wir können aus (fast) allen vorhandenen Lebensmitteln wählen.
Hunger ist in unserem Lande zu einem (fast) unbekannten Wort geworden, bzw. es wird wenn, dann nur oberflächlich für ein Hungergefühl gebraucht

Genau so verhält es sich mit dem Gesundheitssystem.
Wir denken gar nicht mehr darüber nach, weil die meisten von uns krankenversichert sind und somit eine gute medizinische Grundversorgung erhalten. Und das gilt von Geburt an.

Und wenn sich das Elend nicht direkt vor unserer Haustüre abspielt, dann denkt man gerne bewusst nicht daran.
Zudem tragen die fast schon alltäglichen Bilder und Nachrichten über all das Leiden dazu bei, daß die gut versorgten Menschen gegenüber diesen Schrecken schon abstumpfen.

Das ist unser aller Versagen, weil wir unfähig sind, dorthin zu schauen, weil wir lieber feige weggucken, wir, die "alles" haben.

Und als Vater dreier Kinder, der dieses traurige Schauspiel und Verhalten, auch das eigene, mit ansieht, stimme ich den Aussagen und der Schlussfolgerung in diesem Gedicht zu und bekenne mich zu meiner Verantwortung und meinem eigenen Versagen.

Aber jede Medaille hat bekanntlich ihre zwei Seiten und wenn ich jetzt einmal das Mitgefühl ausschalte und den Rationalisten sprechen lasse, kommt dieser zu einem ganz anderen Ergebnis:

Im Jahre 1870 lag die Kindersterblichkeit bei etwas 25 % in Deutschland.
Wenn wir das einmal zu Grunde legen, denn es ist anzunehmen, daß es in anderen Teilen der Welt sicherlich nicht besser aussah, so sehen wir uns mit der Tatsache konfrontiert, daß ein Viertel aller Menschenkinder frühzeitig verstarben.

Gehen wir heute von (gerundet) 140 Mio. Geburten weltweit jährlich aus, dann beträgt die Quote der Kindersterblichkeit bei (gerundet) 9 Mio. gerade einmal 6,43 % im Weltdurchnitt.
Das ist ein Rückgang von 74, 28 % innerhalb von 140 Jahren.
Das bedeutet aber auch, daß die relative Zahl der überlebenden Kinder um den Faktor 6,24 gestiegen ist, denn seit 1870 hat die Weltbevölkerung um das Fünffache zugenommen. (Das ist ein Mittelwert, bei einer heute geschätzten Weltbevölkerung von knapp 7 Mrd. Menschen.)
Das heißt in konkreten Zahlen ausgedrückt, daß 1870 von 28 Mio. Geburten 21 Mio. durchkamen.
Heute sind es 131 Mio. von 140 Mio.

Das ist eigentlich eine beachtliche Zahl und es ist nicht anzunehmen, daß die Spezies Mensch vom Aussterben bedroht ist.

Die Zahlen gehen stetig zurück. Starben im Jahr 1990 noch 12,7 Mio. Kinder jährlich, waren es 2006 "nur" noch 9,7 Mio und 2007 9,2 Mio.
Und den aktuellen Statistiken zufolge ist diese Zahl jetzt zum ersten Male unter die 9 Mio. Grenze gedrückt worden.
Und ich denke, daß Organisationen wie die Vereinten Nationen und ihr Kinderhilfswerk, die UNICEF, ganz maßgeblich an dieser Entwicklung beteiligt sind.

Leider ist es so, daß in vielen Ländern aus religiösen Gründen nicht "verhütet" werden darf. Dazu kommt ein niedriger Bildungsstandard und Armut.
Zudem gibt es viele Regierungen, die korrupt sind und die Verhältnisse in ihren Ländern bewusst nicht verändern, bzw. verbessern wollen, so daß ich als Fazit anmerken muss, es ist nicht ausschließlich die Schuld derer, die haben.
Das wäre zu leicht und ist mir zu einseitig.
Denn angebotene Hilfeleistungen müssen auch gewollt, angenommen und ausschließlich dafür aufgewendet werden, was definitiv oftmals nicht der Fall ist.

Jetzt stellt sich zum guten Schluss noch die Frage, wieviel Mensch unsere alte Mutter Erde letztlich verkraften kann.
Wenn man beim derzeitigen Trend davon ausgeht, daß sich in 60 Jahren die Weltbevölkerung auf 14 Mrd. Menschen verdoppelt hat, dann scheint mir die heutige Quote von 9 Mio. gestorbenen Kindern noch recht annehmbar.
Die Zahlen werden wieder stark ansteigen, davon gehe ich aus.

Vielleicht klingt es zynisch, wenn ich sage, gut daß zumindest 40 % dieser Kinder innerhalb der ersten 28 Lebenstage sterben, denn so wird ihnen viel Leid erspart.

Wirklich zynisch aber ist es, wenn z.B. unsere Regierung Millionen € jährlich für die Armen spendet und diese Gelder schließlich über Waffengeschäfte wieder heimfinden.

Letztendlich sind 9 Mio. gestorbene Kinder genau 9 Mio. schreckliche Einzelschicksale zuviel, jedes für sich selbst, die unser Mitgefühl verdienen.

Aber ins Gewicht fallen sie nicht. Das ist die Realität.


Gerne gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



Falderwald ist offline   Mit Zitat antworten