Thema: Seelenhandel
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Alt 23.08.2011, 21:10   #7
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Hi Stimme,

die Strophenform ist die eines Sonetts, nicht klassisch, da die Reimwiederholungen in der zweiten Strophe fehlen und nicht ausschließlich weibliche Kadenzen verwendet werden , aber zwei Quartette mit zwei aufeinanderfolgenden Terzetten im durchgängig 5-hebigen Jambus sprechen eine deutliche Sprache, die auf ein Sonett hinzielen, was ja heute nach durchgängigen Meinungen nicht mehr exakt den klassischen Bedingungen entsprechen muss und somit also in Ordnung geht.

Im ersten Quartett finden wir verschiedene Fragestellungen, im zweiten theoretische Aussagen und die Schlussfolgerung aus all dem in den beiden abschließenden Terzetten.
Damit wären auch diese Bedingungen des Sonetts erfüllt.

Wie viele tausend Jahre sind vergangen?
Wer hat sich diesen Alptraum ausgedacht?
Warum erstreben Menschen ständig Macht?
Wann hat das ganze Übel angefangen?

Tja, das sind die Fragen, die man sich unweigerlich irgendwann einmal stellen muss, wenn man sich mit diesem Thema kritisch auseinandersetzt.
"Das Übel" in der vierten Zeile ist zwar genau richtig, doch könnte es ohne weiteres durch "der Unsinn" ersetzt werden.

Auf die erste Frage würde ich antworten, gut zweitausend Jahre, da wir uns ja hier auf das Christentum beziehen.

Die zweite Frage hingegen ist schwerer zu beantworten. Ich denke, diese Religion hat sich im Laufe der Zeit selbständig instrumentalisiert (siehe auch Antwort auf Frage drei und wenn es Jesus wirklich gegeben haben sollte, dann wohl in eine Richtung, die er kaum im Auge gehabt haben dürfte.
Denn wie oft wurde, bis in die heutige Zeit hinein, von den Anhängern christlicher Religionen gegen den schönsten und wichtigsten seiner (Grund)Sätze verstoßen? "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst."

Bei der dritten Frage hingegen könnte man antworten, daß dies eben in der Natur des Menschen liegt.
98 % der Menschheit sind, sagen wir, naiv und leichtgläubig.
Was sie in ihrer Gesellschaft vorfinden, übernehmen sie und hinterfragen es nicht. Wo viele Menschen zusammen leben, bedarf es einer Moral. Die Angst hat sich als ein probates Mittel erwiesen, eine Moral, wie auch immer die aussehen mag, aufrecht zu erhalten.
Deshalb das ganze Geschwafel von der jenseitigen Belohnung oder Bestrafung, wofür es freilich einer unsterblichen Seele bedarf, weil genau hier die Ängste des Menschen wurzeln, nämlich in der totalen Vernichtung seines Intellekts.
Somit ist das Leben hier nur ein Nebenprodukt, das eigentliche Dasein beginnt danach. Und genau das ist es, was ein Staat oder eine Nation niemals bieten kann, weshalb es ihm wesentlich schwerer fallen würde, geeignete Moralgesetze aufzubieten. Der Staat rächt nur begangene (Straf)taten, die gegen staatliche Gesetze begangen wurden.
Und diesem Staat kann es nur recht sein, wenn eine andere Institution vorhanden ist, die schon eine bestimmte Moral vermittelt.
So lassen sich die Schäfchen von ihren Hirten leichter hüten.
Und wer die Möglichkeit hat, zwischen Schaf oder Hirte zu wählen, wird sich zweifellos für die zweite Möglichkeit entscheiden und sich in der dortigen Hirarchie zu behaupten oder hocharbeiten zu versuchen.
Ein ganzes normales Geschäft also.

Die vierte Frage ist nicht klar definiert.
Das Christentum geht ganz klar aus dem alten Judentum hervor, welches nach eigenen Überlieferungen ca 4000 Jahr alt ist.
Vor 4000 Jahren soll Abraham in Mesopotamien einen Bund mit Gott geschlossen haben, der ihm versprach, sein Volk ins gelobte Land zu führen, wenn er aufhöre, an die vielen Götter seines Volkes zu glauben und ihn als einzige Gottheit anerkenne.
Die ältesten Teile der Thora sind etwas 3000 Jahre alt.
Ich denke, hier findet der Monotheismus seinen Ursprung.

So süß ist das gegebene Versprechen!
Das Paradies erwartet Groß und Klein!
Mit Garantie vom himmlischen Verein!
Für bares Geld vergibt er die Verbrechen!

Nun ja, ein Gott, der ein Paradies zu bieten hat, muss ja entsprechend auch hier auf Erden ausgestattet werden.
Gegen eine großzügige Spende ist niemals etwas einzuwenden.
Der Begriff "Ablass", der einem hier unweigerlich in den Kopf kommt, ist übrigens folgendermaßen definiert:

Zitat:
„Ablaß ist der Nachlaß zeitlicher Strafe vor Gott für Sünden, deren Schuld schon getilgt ist; ihn erlangt der entsprechend disponierte Gläubige unter bestimmten festgelegten Voraussetzungen durch die Hilfe der Kirche, die im Dienst an der Erlösung den Schatz der Sühneleistungen Christi und der Heiligen autoritativ verwaltet und zuwendet.“
Selten so einen Schwachsinn gelesen.

Aber es ist kein Wunder, daß das Geschäft mit dem Ablass einmal gut blühte (s.o. 98 %).
Wenn man sich das o. a. durchliest, dann fragt man sich doch, wo diese Kirche die Frechheit hernimmt, diese Rechte auszuüben?
Hat sie irgendwo einen schriftlichen Vertrag mit dem lieben Gott geschlossen oder haben sich das einst nur ein paar kluge Köpfe ausgedacht, um ihren Glauben auch lukrativ umsetzen zu können?

Der gute Gott wohnt hinter Kirchentüren,
nur leider schließt der Priester diese zu.
Und doch: Man kann ihn jederzeit verführen,

sein Herz mit Kirchensteuern tief berühren.
Dann hat die liebe Seele endlich Ruh.
Der Teufel lacht, die Hände voll Gebühren ...

Die ersten beiden Zeilen sind einfach genial und treffen voll ins Schwarze.
Ja, und was soll der arme Priester auch sonst machen? Nicht, daß sie ihm die Kollekte noch klauen...
Natürlich kann man diesen Gott mit Geld verführen, denn der ist ja eitel. Schon das erste Gebot lautet ja: Ich bein dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.
Das ist wichtig, es ist auch wichtig, daß du bei seinem Namen nicht fluchst und seinen heiligen Feiertag ehrst, das ist alles viel wichtiger, so daß erst das fünfte Gebot lautet, du sollst nicht töten.
Das ist alles so wichtig, daß das ganze alte Testament voll ist mit Mord und Totschlag, Blut, Tränen, Vernichtung und Vergeltung usw...
Aber das kann man ja alles abwenden mit weltlichen Gütern, denen der allmächtige Gott bedarf.
Der Teufel lacht, jawohl und er sitzt seit langen Zeiten im Vatikan. Und zwar in den Gehirnen derer, die dort die oberen Hierarchien bilden.
Entweder sind die dort so durchgeknallt, daß sie wirklich an diesen geisterhaften Hokuspokus glauben, oder aber sie sind so abgewichst, daß sie diese Show perfekt immer und immer wieder inszenieren.
Da kann man wirklich nur lachen, selbst der Teufel täte das (s.o.).

In diesem Sinne finde ich die Fragen und Thesen mit der abschließenden Conclusio durchaus erfolgreich vereint, so daß ich zufrieden mit der Umsetzung dieses Themas bin.

Kurze Kritik:

Es ist mir aufgefallen, daß alle Zeilen in den beiden Quartetten je einen selbständigen Satz bilden.
Das wirkt ein wenig hemmend beim Lesen, denn die Terzette fließen besser.

Es ist nicht ganz klar, auf wen sich die dritte Zeile des ersten Terzetts bezieht. Auf Gott oder den Priester? Bei meiner Interpretation nahm ich an, daß es sich um ersteren handelt.


Gerne gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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