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Alt 21.07.2011, 22:33   #4
Stimme der Zeit
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Hallo, Faldi,

entschuldige, dass ich „auf dem Schlauch stand“:

Zitat:
die lyrisch ihre schöne Sprache meistern
die Verse immer rund und niemals kantig.
die mit den alten Geistern lyrisch tanzen.
die Macht besaß, die Sprache zu gestalten,
die sich in diesem Schauspiel wiederfanden
Natürlich ist das Absicht! Ich Dösmicheline …

Er dachte, er wollte, er sollte, er konnte, er musste, er sah – Das ist sehr schön gemacht, denn hier hast du den Lauf der Erfahrung „hinein gepackt“, in chronologischer Reihenfolge.

(Änderst du bitte in Strophe 6, Vers 3 das "wie" in "wo"?)

Aber ich möchte bei diesem Gedicht nicht lange beim „Formalen“ verweilen. Dazu ist der Inhalt zu berührend – denn ich weiß, von wem du sprichst. Von dir selbst, von mir und von allen anderen, die ihr Herz an die Schönheit der lyrischen Sprache und an die Poesie verloren haben.

Ich bin diesen Träumen auch gefolgt. Je mehr ich lernte, desto schöner wurden die Gedichte, die ich las, denn ich erkannte mehr und mehr die Tiefen, die sich in ihnen verbergen – und die man nur wahrnehmen kann, wenn zumindest ein Grundmaß an Wissen vorhanden ist. Auch für mich ist es mittlerweile ein beinahe physischer Schmerz, sehen zu müssen, wie die Sprache „vergewaltigt“ wird.

Das ist wohl auch die Ursache für die „Verständnislosigkeit“ Uninteressierter. Die „Oberfläche“ eines Gedichts ist nur ein Bruchteil des Ganzen, und das erschließt sich ihnen nicht. Deshalb können sie gar nicht verstehen, was diese Schönheit wirklich ist.

Nicht zu leiden bedeutet, nicht zu lieben; nicht zu lieben bedeutet, nicht zu leben.

(Ich weiß nicht mehr, wer das schrieb oder wo ich es gelesen habe, das ist nicht von mir. Aber es ist absolut richtig.)

Und deshalb: Wie viele „Krähen“ sich auch „mit schlechten Texten streiten“ mögen – das werde ich niemals aufgeben. Ja, manchmal ist ein „Schwert“ erforderlich, aber sollte es einen Tag geben, an dem ich nur noch „das Schwert führen“ und mich nicht mehr „hingeben“ kann – dann höre ich auf zu schreiben. Wenn es wieder einmal besonders schlimm ist oder ich etwas wirklich Scheußliches las, dann greife ich zu einem Buch und lese von den Traumwelten, die aus der Poesie heraus geboren wurden. Oder ein besonders schönes Gedicht online, denn es gibt sie noch, die Dichter …

Die „Naivität“ zu verlieren, das ist eine (bittere) Notwendigkeit. Aber wir dürfen niemals das Wichtigste verlieren: Die Liebe zur Dichtkunst, zu den „Wundern des Wortes“. Was mich selbst angeht, so habe ich meine Entscheidung bereits getroffen.

Zitat:
und in die Zeilen blaue Blumen pflanzen,


Novalis (eigentl. Friedrich Freiherr von Hardenberg), (1772-1801)

Die blaue Blume

Die Eltern lagen schon und schliefen, die Wanduhr schlug ihren ringförmigen Takt,
vor dem klappernden Fenstern sauste der Wind;
abwechselnd wurde die Stube hell von dem Schimmer des Mondes.
Der Jüngling lag unruhig auf seinem Lager
und gedachte des Fremden und seiner Erzählungen.
"Nicht die Schätze sind es,
die ein so unaussprechliches Verlangen in mir
geweckt haben", sagte er zu sich selbst;
"fernab liegt mir alle Habsucht:
aber die blaue Blume sehn' ich mich zu erblicken.
Sie liegt mir unaufhörlich im Sinn,
und ich kann nichts anders dichten und denken.
So ist mir noch nie zumute gewesen:
es ist, als hätt' ich vorhin geträumt
oder ich wäre in eine andere Welt hinübergeschlummert;
denn in der Welt, in der ich sonst lebte,
wer hätte da sich um Blumen bekümmert,
und gar von einer so seltsamen Leidenschaft
für eine Blume hab' ich damals nie gehört..."
Endlich gegen Morgen, wie draußen die Dämmerung anbrach,
wurde es stiller in seiner Seele,
klarer und bleibender wurden die Bilder.
Es kam ihm vor, als ginge er in einem dunkeln Walde allein...
Es dünkte ihn, als umflösse ihn eine Wolke des Abendrots;
eine himmlische Empfindung überströmte sein Inneres;
mit inniger Wollust strebten unzählbare Gedanken in ihm sich zu vermischen;
neue, nie gesehene Bilder entstanden,
die auch ineinanderflossen und gut sichtbaren Wesen um ihn wurden...
Was ihn aber mit voller Macht anzog,
war eine hohe lichtblaue Blume,
die zunächst an der Quelle stand
und ihn mit ihren breiten, glänzenden Blättern berührte.
Rund um sie her standen unzählige Blumen von allen Farben,
und der köstlichste Geruch erfüllte die Luft.
Er sah nichts als die blaue Blume
und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit.
Endlich wollte er sich ihr nähern,
als sie auf einmal sich zu bewegen und zu verändern anfing;
die Blätter wurden glänzender
und schmiegten sich an den wachsenden Stengel,
die Blume neigte sich nach ihm zu,
und die Blütenblätter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen,
in welchem ein zartes Gesicht schwebte...

(aus "Heinrich von Ofterdingen")

ht tp://w w w.lyrik.ch/lyrik/spur3/novalis/novalis4.htm

ht tp://w w w.lyrik.ch/lyrik/spur3/novalis/novalis0.htm

(Bitte die Leerzeichen entfernen.)

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Die blaue Blume


Ich suche die blaue Blume,
Ich suche und finde sie nie,
Mir träumt, dass in der Blume
Mein gutes Glück mir blüh.
Ich wandre mit meiner Harfe
Durch Länder, Städt und Au'n,
Ob nirgends in der Runde
Die blaue Blume zu schaun.
Ich wandre schon seit lange,
Hab lang gehofft, vertraut,
Doch ach, noch nirgends hab ich
Die blaue Blum geschaut.

Joseph von Eichendorff
(1818)



Herzliche Grüße

Stimme
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