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Alt 14.07.2011, 18:12   #4
Stimme der Zeit
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Hallo, Galapapa,

dein Gedicht hat mich beim Lesen traurig gestimmt. Wie viele Menschen werden von Schicksalsschlägen getroffen und von diesen dann "aus der Bahn geworfen". Randexistenzen - das ist für mich ein absolutes "Unwort". Verbannt an den Rand des "Menschheitsrudels" leben sie von dem, was ihnen an Resten übrig gelassen wird.

Wer weiß, welche Härten einen Menschen zu solch einem Dasein verurteilen? Dass sich jemand aus freien Stücken dafür entscheidet - allein die Vorstellung ist absurd. Obwohl es immer wieder Leute gibt, die so darüber denken. Meist jene, die dann (siehe dein Gedicht) daneben stehen und gaffen ...

Anstatt zu helfen, wird verurteilt. Chancen? Wer einmal dort "gelandet" ist, kommt nur in extrem seltenen Einzelfällen wieder aus dem Elend heraus, und nur, wenn er viel Glück und Hilfe hat. "Der Schmerz" - ein Mensch leidet, aber er bleibt damit allein.

Besonders beeindruckt hat mich der "Bogen", den deine Intuition die beiden Tüten schlagen lässt: Sie enthalten seinen gesamte "weltliche Habe". Für ihn sind sie wertvoll, alles, was er noch besitzt, deshalb hält er sie auch im Tod noch fest. Ich sehe das wie einen "Hilfeschrei": "Ich muss sie festhalten, sonst kommt jemand und nimmt mir das Letzte auch noch weg ..."

Menschen sind (vom menschlichen Standpunkt aus leider!) vom Sozialverhalten her den Wölfen geradezu verblüffend ähnlich. Auch dort werden Tiere, die von der "Norm" abweichen, an den Rand des Rudels abgedrängt. Es genügt bereits eine andere Fellfarbe, um das auszulösen. Der betroffene Wolf hat nur zwei Möglichkeiten: Entweder er verbleibt am Rand, weicht den Attacken der Rudelmitglieder ständig aus (was auch schiefgehen kann, wenn er nicht gut genug aufpasst; sie können ihn durchaus töten), oder er verlässt das Rudel und lebt als Einzelgänger. Das senkt seine Überlebenschancen drastisch, denn Wölfe jagen im Rudel. Alleine kann er keine größeren Beutetiere jagen, also ist er gezwungen, von Mäusen und anderen Kleintieren zu leben. Im Winter wird das gefährlich, denn ein Einzelgänger steht dann jedes Mal vor dem drohenden Hungertod. So unglaublich fürsorglich Wölfe innerhalb der sozialen Struktur des eigenen Rudels sind, so gnadenlos sind sie gegenüber Abweichungen vom "Normalen" - und gegen Fremde. Die Parallelen sind unübersehbar.

Daher kommt unsere Affinität für Hunde. Sie stammen von Wölfen ab, der größte Teil der Verhaltensmuster ist noch vorhanden. Es ist die Ähnlichkeit der Sozialstruktur, die uns anzieht. Wobei: Ich sage nicht, dass Wölfe oder Hunde "böse" sind, bitte nicht falsch verstehen! Es dient nur als Vergleich - um aufzuzeigen, wie sehr wir Menschen doch immer noch Tier sind ...

Das Wichtigste ist hier die Aussage. Ich krittle auch nicht an deinem Metrum herum. Was du in deinem Kommentar zu Ida sagst, stimmt durchaus. Nur, ein Problem habe ich trotzdem damit. Ja, das flüssige Lesen ist möglich, der Rhythmus lässt sich finden, wenn man es als "Lied" nimmt und der "inneren Melodie" folgt. Und genau da steckt der Haken. Die einzelnen Verse mit 4 Hebungen kann ich "zurechtbetonen", und den überwiegendenden Dreihebigen "anpassen", das geht. Aber die Melodie selbst ...

Ich versuche, es darzustellen. Durch den Wechsel von Jamben, Trochäen und Daktylen entsteht ein "schwingender" Rhythmus. Ungefähr so:

Zwei Plastiktüten am Lenker,
so schiebt er sein altes Rad,

TaTamTaTamTaTaTamTa,
TaTamTaTaTamTaTam.

Dieser Rhythmus kann (mit ein wenig "Biegen") durch das ganze Gedicht hindurch beibehalten werden. Nur, leider, er klingt eben sehr "lebhaft", ja, beinahe "munter". Das ist mein "Problem". Auch der "Takt", der durch die stringent wechselnden weiblich/männlichen Kadenzen entsteht, unterstützt diese "Wirkung" noch. Es passt einfach nicht zum Thema, sorry ...

Bitte nicht falsch werten, das ist mein persönlicher Eindruck und enspringt meinem "Rhythmusgefühl", das auch mal "daneben liegen" kann. Ich wollte es nur anmerken.

Ich würde eine solche Thematik eher in einen fünfhebigen Jambus (mit durchgehend weiblichen Kadenzen) oder in Blankverse (Alexandriner, ohne Endreime) "packen". Beide Metren eignen sich sehr gut für den "Transport" eines traurigen bzw. tragischen Inhalts. (Nur ein Tipp.)

Mein "Fazit": Der Inhalt ist gut aufgebaut, die Reihenfolge ist stimmig, alles "passt". Deshalb finde ich dein Gedicht im Grunde genommen gut gelungen. (Bis auf die Melodie) Dazu kommt noch der sehr wichtige Umstand, dass derartige soziale Ausgrenzungen, für die hier ein Beispiel dargestellt wird, ein Teil unserer Welt sind. Sie sollten es aber nicht sein, daher ist es von großer Bedeutung, diese Misstände immer wieder ans "Tageslicht" zu bringen. Wie dir vielleicht auffiel, habe ich das Wort "Penner" nicht benutzt (bis auf hier, zur Anmerkung).

Die Feder ist mächtiger als das Schwert ...

Sehr gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße

Stimme
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