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Alt 17.05.2010, 17:16   #2
Walther
Gelegenheitsdichter
 
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Lb. Blaugold,

warum gelingen viele "Wahlgedichte" nicht? Gute Frage. Bei Dir ist das eine sehr wesentliche Frage, weil Dir eigentlich fast jeder Text (bis auf dieser bisher) gelingt, den Du nicht auf Deine Festplatte sperrst sondern in die fernen Weiten der Öffentlichkeit entläßt. Wenigestens gilt das für die, die ich von Dir hier gelesen habe.

Da ist zum Einen die guter Dichtung notwendigerweise innewohnende Notwendigkeit der inneren Distanz. Man muß quasi über dem Thema stehen, das man behandelt. Man muß es entäußert haben, um es wie etwas Fremdes, von einem Losgelöstes, betrachten zu können. Erst in der Durchdringung aus der Distanz wird Dichtung das, was sie sein soll: Formal und inhaltlich souverän.

Zum Anderen: Hier haben wir eine Aneinanderreihung von Sätzen vor uns, die nicht einmal poetisch sind. Vielleicht sollen sie das auch nicht. Aber dann wird aus ihnen kein Gedicht. Denn Poesie hat eine eigenen Ausdrucks- und Rezeptionssphäre; gerade Vers libre wie dieser hier bedarf dessen. Wenn man ihn ohne Zeilenumbrüche lesen kann, ohne daß etwas verloren geht, dann haben wir einen Text vor uns, der nicht gut geraten ist. Hier ist das der Fall.
Zitat:
So ein schöner Tag: Ausgeschlafen, gut gefrühstückt, Blumen wieder mal gegossen, die Kuhle auf dem Sofa noch ein bisschen weichgehockt, taggeträumt.

Herbst ist, seh ich durch das Fenster. Sonne, Fussgänger, Mitläufer, mehr als sonst. Wahrscheinlich Wahlgang. Erinnert mich an Terror. Jeder Himmel stirbt im klaren Verstand!

Hab ich vordergründig im Hinterkopf seit Internet und Winnenden: Ballereien. Nächstes Level, aufgestiegen, neues Spiel. Mit einer Million Scorer Punkten. Oder mit tausend Jungfrauen in der Software animiert.

Blumen sollten gegossen werden. Genauso, wie Bäume gepflanzt. Schönes Wetter heute. Morgen ist kein anderer Tag!

Keine Wahl. Nur Illusion.
Dies könnte genauso in einem beliebigen Tagebuch stehen. Nun besagt das nicht, daß der Text schlecht und die Gedanken unsinnig wären. Etwas aber besagt diese Analyse schon: Daß dieser Text kein Gedicht ist. Und das ist für diesen Faden schon relevant. Denn schließlich kommen wir alle hierher, um Gedichte vorzufinden.

LG W.
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Dichtung zu vielen Gelegenheiten -
mit einem leichtem Anflug von melancholischer Ironie gewürzt
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Geändert von Walther (29.05.2010 um 18:13 Uhr)
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