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Alt 31.03.2018, 15:34   #4
Sufnus
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Ein zwielichtiges Gedicht!

Der Titel lässt einen an die gleichnamige, bittere Sozialdystopie von Golding denken und dem Leser schwant nichts Gutes. Die Anspielung wird dann aber nicht weiter vertieft und es stellt sich ein ganz anderer Ton ein.

Wenn so niedlich von den im Grase krabbelnden Käferlein gesprochen wird, scheint es, als sei der alte Barthold Hinrich Brockes ("Irdisches Vergnügen in Gott") reinkarniert, nach dessen Theologie im Geist einer frömmelnden Frühaufklärung sich gerade im Unscheinbaren und in den bescheidensten unter den Mitwesen die Großartigkeit der göttlichen Schöpfung offenbart.

Der Lord of the Flies, der Herr der Fliegen, im Titel wäre dann nur der Gott der kleinen, übersehenen und zurückgesetzten Wesen, der Beschützer der Schwachen.

Kaum ist der Leser auf dieses Idyll eingestimmt, wechselt schon wieder der Tonfall: Das lyrische Ich geriert sich in größenwahnsinnigen Fantasien als Rächer der Zukurzgekommenen, eine ins merkwürdig Spießig-miefige verzerrte Westentaschenkarrikatur des strafenden Gottes alttestamenarischer Prägung: „ich wäre ziemlich ungerecht“… nunja… eher selbstgerecht… Und so schwadroniert hier also ein kleingeistiges lyrisches Ich drauflaus und ergeht sich in Machtphantasien gegen die Mächtigen. Dem will man keine Verantwortung in die Hände legen!

Das lyrische Ich zerlegt sich dabei so gründlich selbst, dass man als aufgeklärter Leser nicht anders kann, als diese Verse satirisch zu lesen: Der Autor macht sich hier über ein (vom Verfasser streng zu trennendes!) lyrisches Ich lustig, dass gegen die Tyrannei der Mächtigen zu Felde ziehen will, nur um den bestehenden Machtmissbrauch durch einen neuen zu ersetzen.

Aber es bleibt Beklemmung. Wird das jeder so lesen? Bekommt das Gedicht nicht womöglich Beifall von der falschen Seite? Unterdrückte, die gerne selbst einmal den Unterdrücker geben wollten? Und: Wie geschieden sind Autor und lyrisches Ich wirklich? Erich hat schon darauf hingewiesen, wer sich in Wahrheit hinter dem „Herrn der Fliegen“ verbirgt: Es ist die alte Bezeichnung für das Böse schlechthin, den Verführer und Weltzerstörer: Satan.

Ein zwielichtiges Gedicht!
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