Vor Gericht
Von wem ich es habe, das sag ich euch nicht,
das Kind in meinem Leib.
„Pfui!“ speit ihr aus: „die Hure da!“
Bin doch ein ehrlich Weib.
Mit wem ich mich traute, das sag ich euch nicht.
Mein Schatz ist lieb und gut,
trägt er eine goldene Kett am Hals,
trägt er einen strohernen Hut.
Soll Spott und Hohn getragen sein,
trag’ ich allein den Hohn.
Ich kenn ihn wohl, er kennt mich wohl,
und Gott weiß auch davon.
Herr Pfarrer und Herr Amtmann ihr,
Ich bitte, lasst mich in Ruh!
Es ist mein Kind, es bleibt mein Kind;
ihr gebt mir ja nichts dazu.
Goethe schrieb dieses Gedicht als 26-jähriger während seiner Sturm-und-Drang-Zeit. Es war in dem Jahr, in dem er erstmals nach Weimar kam (im November 1775), aber auch noch in Frankfurt eine Anwaltskanzlei führte.
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