Die Telefonzelle
Die Telefonzelle
Sie war noch gelb, aus einer andern Zeit,
als man noch mit dem Zeigefinger wählte,
verbunden wurde und noch Kleingeld zählte,
im Telefonbuch las; zur Sommerzeit
den Hitzestau ertrug, im Winter fror,
und meistens schrie, den Hörer dicht am Ohr.
Was waren das noch Zeiten, als bisweilen
die Menschen vor ihr wartend Schlage standen
und Zeit für Schwätzchen mit den Nachbarn fanden;
man notfalls bat, sich bitte zu beeilen;
als Liebespärchen nachts in ihr verweilten
und bei Gewitter stürmisch Küsse teilten?
Doch schließlich stand die Zelle oft verwaist
an ihrem Platz und harrte tapfer aus.
Das Mütterlein kam manchmal aus dem Haus
vor dem sie stand, und rief die Tochter meist
vergeblich an, sie weinte dann beim Gehen,
doch hat allein die Zelle das gesehen.
Und eines Morgens stand sie da – geschändet:
Die Glastür eingetreten und beschmiert,
der Apparat hing schief und demoliert,
der Hörer samt dem Geld im Schacht entwendet.
So stand sie nun herum, ein halbes Jahr.
Ein Penner nutzte sie als Pissoir.
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© Ralf Schauerhammer
Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller
Geändert von Thomas (03.06.2017 um 10:13 Uhr)
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